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PolitikEuropa

Corona stresst die Demokratie

28. Januar 2021

Die Corona-Krise trifft zwar alle, aber sehr unterschiedlich. Risse wachsen zwischen Staaten und innerhalb der Gesellschaften, die schon durch Digitalisierung und Klimaschutz gefordert sind.

Viele jugendliche Protestierer bewegen sich auf der Straße in Eindhoven, in den Niederlanden. Vom Boden steigt Rauch auf
24.01.2021: Polarisierung schlägt in Gewalt um - Proteste in den NiederlandenBild: ROB ENGELAAR/ANP/imago images

Wenn es ein Zufall war, war es ein glücklicher: Gleichzeitig mit dem Beginn des in diesem Jahr - Corona-bedingt virtuellen - Weltwirtschaftsforum (WEF) veröffentlichte die "Bertelsmann Stiftung" ihre jüngste Studie. Während WEF-Gründer Klaus Schwab mit den Entscheidern der Welt "im zentralen Jahr 2021" Wege aus der Krise aufzeigen will, belegt die Bertelsmann-Studie, wie schlecht viele Industriestaaten für die Krise gewappnet sind.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel kündigt bei der "Davos Agenda Week" mit Blick auf Digitalisierung und Klimaschutz "Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß" an. Die Bertelsmann-Daten zeigen: Schon vor der Corona-Krise ließ in vielen der 41 OECD-Staaten das Wachstum nach, gab es Rückschritte bei der Nachhaltigkeit, stieg das Armutsrisiko, verringerte sich die Reformfähigkeit. Die Folge: Die Demokratien stehen unter Druck.

Wie zum Beweis verwüsteten kürzlich gewalttätige Randalierer in den Niederlanden mehrere Innenstädte, auch nachdem Rechtspopulisten Hass geschürt hatten.

Corona deckt Unterschiede auf - und verschärft sie

Basis der Bertelsmann-Analyse sind die "Sustainable Governance Indicators" (SGI). In dem jährlichen Ländervergleich werden die Nachhaltigkeit von Politik-Ergebnissen, die Robustheit der Demokratie-Standards und die Qualität der Regierungsführung analysiert.

Viele Industrieländer hätten nicht nur zu wenig beim Schuldenabbau getan, bei der Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit oder beim Aufbau effektiver sozialer Sicherungssysteme, stellt Thorsten Hellmann fest, einer der Autoren der Studie.

Im DW-Interview weist Hellmann auf die wachsenden Unterschiede zwischen den Ländern hin: "Es steht zu befürchten, dass die Corona-Pandemie diese Unterschiede noch einmal gnadenlos aufdecken und vor allen Dingen auch weiter verschärfen wird", warnt der Wirtschaftswissenschaftler.

Hellmanns Sorge: Wenn Corona zu mehr Armut führt, zu größeren Einkommensunterschieden, dann könnte aus der Corona-Krise eine soziale Krise werden: "Das ist im Regelfall ein Nährboden für Populisten. Es besteht die Gefahr, dass demokratische Standards weiter ausgehöhlt werden." Deshalb müssten die demokratischen Kräfte in den Ländern jetzt zusammenstehen, fordert Hellmann.

Thorsten Hellmann: "Corona-Krise könnte soziale Krise werden"Bild: Kai Uwe Oesterhelweg

Dass die Corona-Pandemie die Ungleichheit auch in Deutschland verschärft, wird schon beim Blick auf die Bildung offensichtlich. Längst nicht jeder Haushalt hat tragfähige Internetverbindungen und ausreichend Endgeräte für den von der Pandemie erzwungenen Distanz-Unterricht. Dazu kommen sehr unterschiedliche Möglichkeiten der Eltern, ihre Kinder beim digitalen Unterricht zu unterstützen.

Schwindendes Vertrauen in die Regierung

Die sozialen und politischen Folgen von COVID-19 und wie die Menschen in Deutschland damit umgehen, untersucht ein Forscherteam an der Universität Konstanz. In zwei großangelegten Umfragen wurden im Frühjahr und Herbst letzten Jahres gut 15.000 Menschen befragt. Maßgeblich betreut wird das Projekt von Marius Busemeyer. Besonders überrascht hat den Politikwissenschaftler die Antwort auf die Frage, wie viel Vertrauen die Menschen in die Informationen der Bundesregierung über die Corona-Krise haben: "Da sind nur 50 Prozent der Leute der Meinung, dass die Regierung wirklich wahrheitsgetreu informiert hat. Das war eine Zahl, wo ich doch sehr ins Stutzen kam. Das heißt ja, dass die Hälfte der Leute da irgendwie Zweifel hat."

4.10.2020: Nur schwer erreichbar - Querdenker-Demonstranten in Konstanz Bild: Felix Kästle/dpa/picture-alliance

Die Überraschung ist auch deshalb so groß, weil die Befragungen sonst zeigen, dass in Deutschland das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen relativ hoch ist. Auch in der Corona-Krise hat Busemeyers Team zumindest bis in den November hinein keinen massiven Vertrauensverlust festgestellt. Mit Blick auf die "Querdenker-Bewegung" spricht Busemeyer im DW-Interview von einer Minderheit in der Größenordnung zwischen zehn und 15 Prozent, die abgehängt sei: "Wir haben hier eine Spaltung, die zwar nicht mitten durch die Gesellschaft verläuft, aber zwischen dieser sich radikalisierenden Minderheit und dem Rest der Gesellschaft."

Querdenken in der Parallelwelt

In Konstanz gab es am 4. Oktober 2020 eine Querdenker-Demonstration mit nach Polizeiangaben knapp 3000 Teilnehmern. Eine Gelegenheit für die Wissenschaftler, die Teilnehmer gezielt zu befragen. Es überrascht nicht, dass unter den Querdenkern Vertrauen Mangelware ist: Drei von vier Befragten halten es für gut vorstellbar, dass Gruppen von Wissenschaftlern die Öffentlichkeit bewusst täuschen. Ebenso viele lehnen die Aussage ab, dass die Demokratie gut funktioniere. Den etablierten Medien schlägt tiefes Misstrauen entgegen: Neun von zehn der Befragten informieren sich über eigene Recherchen im Internet, gut die Hälfte über Gruppen auf den Internet-Plattformen WhatsApp und Telegram.

Marius Budemeyer: "Viele Stellschrauben drehen"Bild: Ines Njers

Marius Busemeyer sieht die Gefahr, "dass sich da parallele Öffentlichkeiten entwickeln" und man diese Menschen nur noch sehr schwer erreichen könne. Dass Proteste gegen Corona-Maßnahmen in Gewalt umschlagen wie in den Niederlanden, hält Busemeyer auch in Deutschland nicht für ausgeschlossen.

Als mögliche Gegenmaßnahmen empfiehlt der Politikwissenschaftler mehr politische Bildung und konkrete Hilfen für die sehr hart von Corona getroffenen Gruppen: "Es gibt aber keine einfache Lösung. Das ist ein langfristiges Projekt, wo man an vielen Stellschrauben drehen muss."

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