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Politik

Corona und wir: Tage im Schatten des Virus

1. Juni 2020

In der Corona-Krise hat sich das Leben von COVID-Erkrankten verändert. Im Tagebuch schauen wir seit Beginn der Pandemie auf Menschen in Deutschland, ihr Leben in Quarantäne, den Kampf gegen das Virus.

Deutschland München Coronavirus Intensivpflege
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Die Pandemie bestimmt seit Monaten unseren Alltag. Für viele Menschen ist aus der Bedrohung eine Belastung geworden, für einige eine Gefahr. Wir begleiten M., einen jungen Mann in Quarantäne, den Risikopatienten Peter Kowaleski, katholische Ordensschwestern, die Ärztinnen Susanne Biemann und Karla Keller sowie den COVID-19-Patienten Michael Forst durch diese Zeit.

Sonntag, 15. März 

In der Nacht bekommt der 23-jährige M. eine Whatsapp-Nachricht. "Wollte dir nur Bescheid geben. Bin positiv auf Corona getestet worden". Mit der Absenderin hatte er zehn Tage zuvor die Nacht verbracht. An Schlaf kann er jetzt nicht mehr denken. Stattdessen sucht er im Internet nach allen wichtigen Telefonnummern, vom Hausarzt, dem Gesundheitsamt, der nächsten Teststelle. Dann schickt er allen Freunden, die er in den letzten zehn Tagen gesehen hat eine Nachricht. Es sind viele.

Montag, 16. März  

Überraschend schnell erreicht M. morgens das Gesundheitsamt. Bis 21. März soll er in Quarantäne bleiben. Nein, ohne Symptome kann er nicht getestet werden. Das Gesundheitsamt nimmt seine Daten auf. Der Hausarzt will ihm die Krankschreibung per Post schicken. Als nächstes der Anruf bei seiner Arbeitsstelle. Der Student M. arbeitet als Kassierer in einem Supermarkt. Nun kann M. als Verdachtsfall für die Zeit seiner Quarantäne nicht mehr arbeiten. Die Prüfungen Anfang April an der Universität auf unbekannten Zeitpunkt verschoben. Für das nächste Semester ist noch nichts online gestellt. M., der sonst sehr unbekümmert und kontaktfreudig ist, fängt an sich selbst zu beobachten. Leichter Schnupfen, ein gutes Zeichen? Jeden Abend misst er nun mit seiner Mutter, bei der er lebt, Fieber. Zehnmal haben sie heute schon Backgammon gespielt. Zum ersten Mal weiß er nichts Richtiges mit seiner Zeit anzufangen.

Dienstag, 17. März

Susanne Biemann hat ein, wie sie sagt, "außergewöhnlich ruhiges Wochenende" hinter sich. Die Palliativmedizinerin betreut unheilbar kranke Patienten zuhause und hatte Rufbereitschaft. Doch das Telefon blieb stumm. "Wie alle anderen Menschen auch sind unsere Patienten derzeit mehr mit der neuen Situation beschäftigt, als mit sich selbst." Biemann ist eigentlich Anästhesistin und hat viele Jahre auch auf der Intensivstation gearbeitet. Ihr alter Arbeitgeber hat bereits nachgefragt, ob sie, wenn die Zahl der Corona-Patienten im Krankenhaus zunimmt, aushelfen könne. Biemann hat zugesagt und will sich, wenn der Notfall wie derzeit erwartet eintritt, in ihrer Palliativpraxis beurlauben lassen.

Susanne Biemann am Bett einer PatientinBild: privat

Mittwoch, 18. März

Das Gästehaus Kloster Arenberg wird geschlossen. Alle müssen abreisen. Auf der Terrasse des Klostercafés genießen die letzten Gäste den Kaffee in der Sonne. Keiner weiß, wann das Haus wieder öffnet. "Das ist heftig", sagt Schwester M. Ursula (44). Sie gehört zum Seelsorge-Team des Klosters. Viele hätten das Haus als sichere Insel wahrgenommen, auch zu Beginn der Corona-Krise. Für die Arenberger Dominikanerinnen selbst, Durchschnittsalter 81 Jahre, sei es "ein herber Schock" gewesen, als sie erst einmal keine Messe mehr feiern durften: "Selbst im Krieg wurde Eucharistie gefeiert." Um ihre alten Mitschwestern, viele herzkrank, macht sich die Ordensfrau große Sorgen.

Peter Kowalewski in Berlin hätte gegen das Virus kaum eine Chance. Der fast 80-Jährige musste mehrere Krebsoperationen in den vergangenen Jahren über sich ergehen lassen. Die letzte Operation hat sein Lungenvolumen extrem verkleinert. Nun ist er auf eine regelmäßige Physiotherapie angewiesen. Doch das Sportstudio, in dem der Physiotherapeut arbeitet, hat geschlossen. "Ich habe Angst, dass ohne Übungen meine Lunge noch schlechter wird", sorgt sich Peter Kowalwski. Drei Stunden später wird die Bundeskanzlerin in einer Fernsehansprache alle Deutschen auffordern, auf Kontakte weitgehend zu verzichten.

Samstag, 21.März 

M's Quarantäne ist beendet. Doch wirklich viel ändert sich nicht. Seine Fußballmannschaft spielt nicht, Clubs und Uni sind geschlossen, seine Freunde bleiben wie er Zuhause. Nun ist er fast froh, einen systemrelevanten Nebenjob zu haben - als Kassierer im Supermarkt. Die meisten Kunden sind jetzt auch freundlicher als sonst, sagt er.

Deutschland macht dicht - auch das Gästehaus der Ordensgemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen ist geschlossenBild: DW/A. Grunau

Sonntag, 22. März. 

"Liebe Gäste, ohne Sie … ist alles doof" - so beginnt Schwester Ursulas Video mit Impressionen aus dem geschlossenen Gästehaus Kloster Arenberg: Speiseraum, Klostercafé, alles leer und "doof", dazu Frühlingsbilder aus dem Klosterpark. "Bleiben Sie behütet", so endet das Video. Auf Facebook kommentieren die Gäste: "Was für schöne Bilder in dieser 'doofen' Zeit!" Auf alle Aktivitäten im Blog oder auf Social Media gebe es sehr berührende Reaktionen, berichtet Schwester Ursula.

Blauer Himmel über Deutschland: in den ersten Wochen der Corona-Pandemie scheint meist die SonneBild: Imago Images/blickwinkel/M. Gann

Karla Keller sitzt im Garten. Milchschaum auf dem Kaffee, Auberginen auf dem Grill und ein blauer Himmel ganz ohne Kondensstreifen. Ein bisschen sieht es aus wie Urlaub. Aber es liegt ein Schatten über der Idylle im Garten. Keller ist Ärztin in einem kleinen Krankenhaus im Rheinland. In wenigen Stunden beginnt ihre Nachtschicht und sie wird ihren ersten Corona-Patienten kennen lernen. Sie hat schlecht geschlafen, seit Tagen bestimmt das Virus nicht nur alle Nachrichten, sondern auch Kellers Träume. "Es ist die Ruhe vor dem Sturm”, sagt sie.

Montag, 23. März

In voller Montur: Ärztin Karla Keller muss im Kontakt mit Corona-Patienten Schutzkleidung tragenBild: privat

"Die Nacht war beängstigend”, sagt die Ärztin Karla Keller. Sie klingt müde, kommt gerade von der Nachtschicht. Ihr erster Corona-Patient ist nicht sehr alt und war bisher eigentlich fit. "Und trotzdem musste ich ihn auf die Intensivstation verlegen. Es ist erschreckend. Man hat das Gefühl, man fängt bei null an." Denn mit COVID-19, mit der vom Coronavirus verursachten Lungenkrankheit, die tödlich sein kann, haben sie und ihre Kollegen keine Erfahrung. "Und alles was wir tun, ist mit einem riesigen logistischen Aufwand verbunden, um Ansteckung zu vermeiden. Man kann nicht eben mal schnell röntgen." Viel Zeit für ein Gespräch bleibt Keller nicht. Ihre Kinder freuen sich, dass sie zuhause ist. Sie haben schon die Malstifte hervorgeholt. Eine Ablenkung vom Corona-Alltag auch für ihre Mutter.

Aufregung in Kloster Arenberg: Eine Mitarbeiterin wurde positiv auf Corona getestet. Sie hatte mit drei Ordensschwestern Kontakt. Die Quarantäne ist eine Herausforderung, sagt Schwester Ursula, denn eine der drei ist dement: "Wie kann man ihr erklären, dass sie ihr Zimmer nicht verlassen darf, Abstand halten soll? Die Situation ist auch für unsere Mitarbeiterinnen auf der Pflegestation überfordernd." Einschließen wollen sie die Schwester nicht.

Mittwoch, 25. März

Palliativärztin Susanne Biemann betreut weiterhin todkranke Menschen zuhause. Auch in ihrer Gemeinschaftspraxis fehlen Masken und andere Schutzkleidung. Die Ärzte haben schon überlegt, ob man einige Patienten besser nur noch telefonisch betreuen sollte, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Aber die Kranken brauchen den physischen Kontakt. Viele sind verunsichert. "Angesichts der Bedrohung durch COVID-19 wächst bei den Patienten die Angst, dass es ihnen noch mehr aus der Hand genommen wird, wie lange sie noch leben dürfen." Die Ärztin nimmt sich bei ihren Hausbesuchen nun oft mehr Zeit. "Wir haben doch jetzt alle kaum noch private Termine." Die 44-Jährige versucht, ihre Patienten zu beruhigen und ihnen Zuversicht zu geben. Die braucht sie aber auch selbst. "Man muss sich gegen das beunruhigende und überall spürbare unterschwellige Vibrieren abgrenzen", beschreibt sie ihre Gefühle. 

Freitag, 27. März

Peter Kowalewski verlässt jetzt nur noch selten das Haus. Seit fünf Tagen gibt es in seinem Wohnblock in Berlin weder Heizung noch warmes Wasser. Die Heizungsanlage ist kaputt, Ersatzteile seien wegen Corona schwer zu bekommen, schreibt die Hausverwaltung. "Das kommt noch strafverschärfend dazu”, meint der ehemalige Wasseringenieur. Mittlerweile macht es sich bei ihm bemerkbar, dass er keine Physiotherapie bekommt. Gelenke und Brustkorb schmerzen. Seine Einkäufe bringt ihm jetzt jemand aus dem Kleingartenverein. Andere Freunde versorgen ihn mit warmen Mahlzeiten, stellen sie vor seine Tür. So sehr ihm die Kontakte fehlen, solche Gesten empfindet er als "große Zuneigung”.

Bei den Arenberger Dominikanerinnen werden Gesichtsmasken genäht. Schwester Marietta (92), sonst zuständig für Ordenskleider, produziert Masken "in Großproduktion", berichtet Schwester Ursula. Die Schwestern beten täglich intensiv für alle Kranken und Pflegenden. Sorgen machen sie sich um ihre Mitschwestern in Bolivien, wo das Dengue-Fieber wütet. Schon jetzt sei das Gesundheitssystem überlastet. Hadert die Ordensfrau mit Gott? Nein, sagt sie: "Ich hadere mit der Flüchtlingssituation. Wie können wir zulassen, dass uns die auf einmal völlig egal sind, die immer noch vor unserer Haustür sterben?"

Freitag, 3. April

M. ist von seiner Uni überrascht. Fast alle Professoren haben die Aufgaben online gestellt. Ab nächste Woche geht der Unterricht in Chatgruppen los. Er braucht nun dringend ein Headset. Kopierpapier und Druckerfarbe gehen dem Ende zu. Die Lieferzeiten bei den Onlinehändlern dauern ewig. Also muss er im Freundeskreis auf Suche gehen, fragen, wer noch was übrig hat.

Peter Kowalewski vor seiner Kleingartenlaube in BerlinBild: DW/B. Stehkämper

Samstag, 4. April 

Peter Kowalewski ist seit vielen Tagen erstmals wieder in seinen Kleingarten gegangen. Die zehn Minuten Fußweg bringen ihn etwas aus der Puste. Eine Stunde sitzt der stattliche Mann vor seiner Laube in der Sonne. Immer wieder sprechen ihn Gartenfreunde über den Zaun an. Es ist der erste schöne, warme Tag in Berlin in diesem Jahr.

Montag, 6. April

Beerdigung bei den Arenberger Dominikanerinnen: Schwester Ambrosia wurde 1918 geboren, als die Spanische Grippe weltweit Millionen Menschen tötete. Mit 101 Jahren stirbt sie in der Corona-Pandemie, aber nicht am Virus, sagt Schwester Ursula. Abschied und Beerdigung erfolgen mit viel Abstand der Schwestern, aber auch das sei Luxus: Manchen sei es jetzt ja gar nicht möglich, sich von ihren Liebsten zu verabschieden.

Der Friedhof der Arenberger Dominikanerinnen bei KoblenzBild: DW/A. Grunau

Medizinerin Susanne Biemann, die nach zehn Jahren als Fachärztin für Anästhesie aus dem Krankenhaus in eine Gemeinschaftspraxis für Palliativmedizin wechselte, hat Post von ihrer alten Klinik bekommen. Ein Arbeitsvertrag "für alle Fälle", falls sich die Situation in den Krankenhäusern verschärfen sollte. Der Vertrag sieht zwei bis drei Arbeitsstunden pro Woche als Assistenzärztin zu nicht festgelegten Zeiten vor. Ein "Minijob", auch finanziell. Sie sei "ernüchtert", sagt Biemann, die beschlossen hat, den Vertrag erst einmal nicht zu unterschreiben. Die Klinik vermittle ihr das Gefühl "nicht dramatisch gebraucht" zu werden. Bei ihren todkranken Patienten, viele davon haben Krebs im Endstadium, sieht das ganz anders aus. "Im November und im Frühjahr sterben besonders viele Menschen", weiß die Ärztin aus Erfahrung. Normalerweise betreut sie etwa 24 Patienten. Derzeit sind es - weil Biemann urlaubsbedingt auch noch eine Kollegin vertreten muss - sogar 45.

Dienstag, 7. April

Peter Kowalewski ist ganz aufgeregt. Am Tag zuvor hatte die Deutsche Welle einen Fernsehbeitrag über ihn ausgestrahlt. Daraufhin meldete sich seine alte Jugendliebe per Mail. Vierzig Jahre hatte er nichts von Eli gehört, seit sie nach Kalifornien gezogen ist. Nun tauschen sie sich über ihr Leben aus. "Wir hatten einen wunderschönen Urlaub am Tegernsee”, schwärmt der schwerkranke Mann. Die Eintönigkeit der Tage ist für ihn überraschend beendet worden.

Mittwoch, 8. April

Michael Forst liefert sich selbst ins Johanniter-Krankenhaus in Bonn ein. Er klagt über Fieber und "ganz ordentlich Husten”. Der 58-Jährige hatte noch nie eine Grippe oder ähnliche Krankheiten, kennt die typischen Symptome wie Gliederschmerzen und Unwohlsein nur vom Hörensagen. Jetzt spürt er sie: es geht ihm schlecht. Da er selbst als Pressesprecher des Krankenhauses arbeitet, ist ihm klar: "Ich muss mich sofort auf Corona testen lassen, um den Rest der Belegschaft zu schützen.”

Donnerstag, 9. April

Michael Forst hat die Nacht im Krankenhaus verbracht. Doch es geht ihm nicht besser - es geht ihm richtig übel. Forst hat sich mit dem Corona-Virus infiziert, er leidet an COVID-19. Der Sauerstoffgehalt in seinem Blut fällt schnell ab - auf nur noch ein Drittel der Sauerstoffsättigung eines Gesunden. Forst soll auf die Intensivstation verlegt werden. Er schlüpft in ein weißes OP-Hemd, dann setzt sein Bewusstsein aus. Die Ärzte haben ihn in ein Koma versetzt, mit einem Schlauch im Rachen wird er nun künstlich beatmet. 

Freitag, 17. April

COVID-19-Patient Michael Forst liegt weiter im Koma im Johanniter-Krankenhaus in Bonn und wird künstlich beatmet. Der Journalist hatte sich das Koma immer als ruhigen Schlaf vorgestellt. Doch Forst erlebt eine unruhige Zeit mit intensiven Träumen. "Eine Mischung aus Verfolgungsjagd, verrückten Dingen und Lebensstationen, die an mir vorbei geflogen sind. Tendenz: eher negative als positive Erlebnisse." Einmal darf ihn seine seine Frau besuchen. Doch davon merkt Michael Forst nichts. 

Freitag, 24. April

Michael Forst ist von den Wochen im Koma gezeichnetBild: privat

Nach mehr als zwei Wochen an der Beatmungsmaschine zieht Michael Forst zum ersten Mal wieder aus eigener Kraft Luft in seine Lunge. Die Ärzte haben ihn aus dem Koma geweckt. Als er an sich hinunter schaut, ist er "total entsetzt". Er hat dick geschwollene Finger und kann sich kaum bewegen. Wasser hat sich in seinem Gewebe eingelagert. Es juckt an seiner Nase. Forst versucht, seine Hand dem Gesicht zu nähern. Keine Chance. Er ist noch zu schwach, sein ganzer Körper fast wie gelähmt nach den Wochen im Komabett. "Ich hatte gedacht, nach einem Koma wird man einigermaßen erholt wach. Aber das war bei mir leider nicht so."

Dienstag, 28. April

Während die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland schon seit Anfang April langsam zurückgeht, verschäft sich in anderen Teilen der Welt die Corona-Krise. Bei den Arenberger Dominikanerinnen verliert man den Rest der Welt nicht aus dem Blick. Generalpriorin Schwester Scholastika, oberste Chefin der Ordensgemeinschaft, schreibt im Blog: "Was mich und meine Gemeinschaft zutiefst schmerzlich trifft und mich weinen lässt, ist eine aktuelle Nachricht aus Bolivien: Schwester Rosa Maria berichtet, dass sich letzte Woche ein 12-jähriges Mädchen das Leben genommen hat, weil es als älteste Tochter seine jüngeren Geschwister bereits Tage hungern sah - es wollte die Familie durch seinen Tod entlasten."

Donnerstag, 30. April

Michael Forst wird auf auf die Normalstation verlegt. Er nutzt jetzt jede freie Minute, um seine geschwächten Muskeln zu stärken, und sei es, indem er sie im Liegen anspannt. Forst kämpft darum, wieder ganz gesund zu werden. "Man kriegt nichts geschenkt. Ich gehe davon aus, dass ich ein Jahr brauchen werde, um den Zustand wiederherzustellen, den ich vor der Erkrankung hatte." Die Ärzte staunen, dass er relativ schnell wieder auf die Beine kommt. Aber noch ist die Erkrankung nicht ausgestanden. "Es gibt die Gefahr, dass ich Essensreste in die Speiseröhre bekomme. Denn das könnte zu einer neuen Lungenentzündung führen." Forst muss deshalb viele Atem-Übungen machen.

Daumen hoch: die sinkende Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland freut Karla KellerBild: privat

Mittwoch, 6. Mai

Im Krankenhaus von Karla Keller wird derzeit kein einziger Corona-Fall behandelt. Die erste Welle scheint überstanden, die Politiker lockern immer weiter die Einschränkungen zum Schutz vor dem Virus. Keller macht sich aber auch Sorgen um diejenigen, die nicht an Corona erkrankt sind. "Wenn Menschen einen Herzinfarkt erleiden und sich nicht in die Klinik trauen, dann kann auch das eine tödliche Folge der Corona-Pandemie sein."

Samstag, 9. Mai

Michael Forst setzt sich auf die Kante seines Krankenhausbetts. Er legt sich wieder hin. Er setzt sich wieder auf. Sitzen. Liegen. Sitzen. Liegen. Vielleicht einhundert mal. "Ich bin körperlich durch die Beatmungsgeräte sehr in Mitleidenschaft gezogen", sagt Forst. "Es werden einige Monate sein, in denen ich die Muskeln wieder aufbauen muss, die mir verloren gegangen sind." 

Freitag, 15. Mai

Michael Forst darf das Krankenhaus verlassen. Einerseits: ein gutes Gefühl. Auf der anderen Seite flößt ihm die Heimkehr Respekt ein. "Denn die Verantwortung aus dem Krankenhaus wird ja jetzt auf die Familie übertragen. Und alle Wehwehchen müssen erst einmal zuhause geregelt werden. Gott sei dank ist meine Frau Apothekerin und in dieser Hinsicht sehr versiert."

Montag, 18. Mai

Schwester Rosa Maria von den Arenberger Dominikanerinnen berichtet aus Bolivien: "Die Pandemie verbreitet sich jeden Tag mehr. Hier in Santa Cruz haben wir etwa 2000 Erkranke und unsere Hospitäler sind nicht für solche Erkrankungen eingerichtet. Es fehlt an allem, an Beatmungsgeräten, an Schutzkleidung, an Medikamenten, die ja hier jeder Patient selbst mitbringen muss. Das führt zu einer Katastrophe, denn es fehlt die Nahrung. Das Nötigste fehlt." Die Ärmsten leben auf engstem Raum, den in der Corona-Krise gebotenen Abstand kann hier keiner halten. Durch Ausgangssperren haben sie alle Verdienstmöglichkeiten verloren.

Die Arenberger Dominikanerinnen sind auch in Corona-Zeiten in Bolivien aktivBild: Arenberger Dominikanerinnen

Dienstag, 19. Mai

Susanne Biemann ist erschöpft. Elf Wochen hat sie nun durchgehend gearbeitet. Viele ihrer Patienten sind in dieser Zeit gestorben. An ihren unheilbaren Krankheiten, nicht an COVID-19. "An meiner Arbeit als Palliativmedizinerin hat sich eigentlich nichts geändert", stellt Biemann mit Blick auf die Corona-Pandemie fest. "Aber an meinem Leben." Oft sei sie heiser, wenn sie abends nach Hause komme. "Ich muss den Angehörigen viel mehr erklären." Viele verzichten auf Besuche, weil sie Angst haben, ihre todkranken Eltern, Großeltern oder Kinder mit dem Corona-Virus anzustecken. Biemann macht ihnen dann deutlich, dass ihr Fernbleiben viel schlimmer ist. "Abstandsregeln ja, aber kein Verzicht auf Besuche." Es gebe Masken und Desinfektionsmittel. Die Verunsicherung, die Biemann bei ihren Patienten zu Beginn der Pandemie noch vielfach spüren konnte, ist gewichen. "Viele sagen: Ich will keine Maske tragen und mich auch sonst nicht einschränken. Ich sterbe doch sowieso."

Michael Forst hofft, dass seine Krankheitsgeschichte Menschen zu Denken gibt, die Corona immer noch unterschätzen. "Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die Unverbesserlichen dadurch ihre Ansicht ändern. Das würde wohl erst passieren, wenn wir eine größere Welle erleben, wenn mehr Betroffene darüber sprechen oder wenn es Prominente erwischt." Er informiert sich intensiv über COVID-19. "Wir sind ja noch nicht am Ende. Jeden Tag kommen ja neue Erkenntnisse dazu, welche Folgen die Erkrankung haben kann. Auch die Niere kann betroffen sein, auch das Gehirn." Vielleicht werde das für mehr Vorsicht bei denjenigen führen, die sich und andere nicht schützen.

Donnerstag, 21. Mai

Susanne Biemann hat das verlängerte Wochenende genutzt, um nach Regensburg zu fahren. Der erste Urlaub seit Ende Februar. Eine geplante Fortbildung Anfang Mai in Meran ist wegen der Pandemie ausgefallen. Nun genießt sie die Erholung um so mehr. "Ich hatte einen tollen Blick von der Walhalla (Nationaldenkmal, Anm. d. Red.) auf die Donau", schwärmt Biemann, die sich nach Wochen der Ausgangsbeschränkungen über die neu gewonnene Bewegungsfreiheit freut. "Das ist eine Perspektive." Für Anfang Juni hat sie zwei Wochen Urlaub geplant. "Ich fahre ein paar Tage nach Usedom und will anschließend im Elbsandsteingebirge wandern gehen." Die Ärztin will Kraft tanken, auch mit Blick auf den Herbst. Spätestens dann rechnet sie mit einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen. "Ich bin skeptisch", sagt sie und ihre Stimme klingt bedauernd.

Hilfe kommt auch aus Deutschland: in den Barrios wird für tausende Familien gekochtBild: Arenberger Dominikanerinnen

Donnerstag, 28. Mai

In dieser Krisenzeit spenden Deutsche für die Ärmsten der Armen. Bei den Arenberger Dominikanerinnen gehen Spenden für Bolivien ein. Dort kochen Schwester Rosa Maria und ihre Mitschwestern für diejenigen, die gar kein Geld haben, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Die Schwestern versorgen mittlerweile mehr als 3000 Familien in den Barrios, den Armenvierteln am Rande von Santa Cruz. Während sich die Gemeinschaft in Deutschland auf die Wiedereröffnung des Gästehauses am Pfingstmontag vorbereitet, macht sich Schwester Rosa Maria große Sorgen: In einigen Barrios gehen die letzten Vorräte zu Ende - alle Geldreserven der Bewohner und der Rest der Lebensmittel in den kleinen Lädchen ist aufgebraucht.