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Politik

Corona: "Testen? Warum denn?"

12. März 2020

Es war keine journalistische Recherche, die DW-Redakteurin Sabine Kinkartz in ein Berliner Krankenhaus verschlug. Was sie dort erlebte, ließ sie ratlos zurück und passt in ein Bild, das sich vielerorts zeigt.

Deutschland Weitere Entwicklung beim Coronavirus
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Jetzt gelte ich also als Corona-Kontaktperson. Jedenfalls für das DW-Sicherheitsmanagement, das mir erstmal Home-Office verschrieben hat. Gestern Nachmittag habe ich eine junge Freundin ins Krankenhaus gebracht. Mit Corona hatte das nichts zu tun, jedenfalls noch nicht zu dem Zeitpunkt.

In der Notaufnahme war nicht viel los. Die Ärzte und manche der Schwestern trugen einen Mundschutz. Meine Freundin wurde stationär aufgenommen und ich begleitete sie auf ihr Zimmer. Dort lag eine Patientin im Bett, die heftig hustete und schniefte. Sie sei seit dem Morgen dort, sagte sie. Vielleicht sind Journalisten besonders misstrauische Menschen. Jedenfalls folgte ich dem Pfleger, der uns den Weg gewiesen hatte, zurück auf den Flur und fragte ihn, ob die Zimmergenossin auf Corona getestet sei. "Warum das?", fragte er und blickte mich mit leicht erstauntem Blick an. "Weil sie heftig hustet und schnieft", erwiderte ich ungläubig. "Ja wissen Sie, wir haben eben Grippe-Zeit, da ist das so", sagte er und ging.

Die Labore arbeiten unter HochdruckBild: Imago-Images/photothek/T. Trutschel

Ich ging auch, aber nur, um zuhause ein paar Sachen zu holen. Zurück im Zimmer kam der Pfleger, um das Abendessen anzukündigen. Für meine Freundin in einem Raum neben der Küche, wo ein Buffet mit Brötchen, Aufschnitt und Salat aufgebaut war. Die Zimmergenossin bekam ihr Essen vom Pfleger ans Bett geliefert. Ohne Mundschutz.

Ich fragte ihn, ob es für meine Freundin kein anderes Zimmer gebe. "Nein", sagte er bedauernd, "wir sind voll". Eigentlich dürfe er mir das nicht sagen, aber zu meiner Beruhigung: "Die Patientin war nicht in einer Krisenregion und hatte keinen Kontakt zu einem Corona-Infizierten." Aha.

Quarantäne oder auch nicht

Heute morgen, ich war gerade im Büro angekommen, bekam ich eine Textnachricht. "Sitze auf dem Bett, muss Mundschutz tragen und darf das Zimmer nicht verlassen", schrieb meine Freundin. Es sei jetzt doch ein Corona-Test gemacht worden. Wo die Zimmergenossin sei, schrieb ich fragend zurück. "Hier bei mir", schrieb sie zurück. Das Ergebnis des Abstrichs komme aber erst morgen.

DW-Redakteurin Sabine KinkartzBild: DW/S. Eichberg

Daraufhin rief ich auf der Station an, um Einzelheiten zu erfahren. Die Schwester verwies mich an den Stationsarzt. Der werde mich zurückrufen. Das passierte zwar nicht, 15 Minuten später erhielt ich dafür eine neue Textnachricht. "Quarantäne ist aufgehoben, ich darf mich ohne Mundschutz wieder frei bewegen und gehe jetzt zur Ergotherapie." Das ließ mich ratlos zurück.

Test-Kapazitäten sind beschränkt

Zwei Stunden später ließ mir der Arzt ausrichten, die Patientin sei kein offizieller Verdachtsfall nach den Kriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI), von daher seien meine Freundin, ich und auch das medizinische Personal keine Kontaktpersonen. Das RKI empfiehlt Corona-Tests nur für Patienten, die Symptome zeigen und Kontakt zu bestätigten COVID-19-Fällen hatten oder in einem Risikogebiet waren. Denn die Test-Kapazitäten sind auch in Deutschland beschränkt. Wenn das Ergebnis des Abstrichs vorliege, so der Arzt weiter, werde entschieden, ob wir Kontaktpersonen seien und erst dann werde auch bei uns ein Abstrich gemacht. Mehr dazu morgen.

Für meinen Arbeitgeber gelte ich bis dahin vorsorglich als Kontaktperson. Ich finde das richtig und werde zu Hause bleiben, auch wenn das angesichts dessen, was mancherorts passiert, beinahe sinnlos erscheint. Auf Twitter findet man viele Berichte, die in mir den Eindruck erwecken, dass meine Erlebnisse im Krankenhaus kein Einzelfall sind.

Eine befreundete Krankenschwester, die in mehreren Berliner Krankenhäusern arbeitet, macht ähnliche Erfahrungen in ihrem Job. Auch wenn sie offensichtlich eine Atemwegsinfektion hätten, würden Patienten nicht automatisch getestet.

Zwischen Panik und Fahrlässigkeit

Gestern haben die zwölf Berliner Amtsärzte nach einer gemeinsamen Sitzung Alarm geschlagen. Sie fordern, das öffentliche Leben angesichts der Corona-Krise weitgehend einzustellen. Clubs und Bars müssten geschlossen werden und alle Veranstaltungen mit Publikum abgesagt werden. "Sonst werden wir es nicht mehr kontrollieren", sagte Amtsarzt Patrick Larscheid in einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

"Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass wir in der jetzigen Phase der Pandemie praktisch alle sozialen Kontakte unterbinden müssen, wenn wir noch eine Chance haben wollen, die Zahl der Infizierten möglichst niedrig zu halten", erläuterte Larscheid. Es reiche nicht aus, Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen.

"Das ist gar nicht relevant. Wir haben es zum Beispiel in den Clubs gesehen, wo wir jetzt mehrere Ausbruchsgeschehen in Berlin haben." Dort seien wenige Leute zusammengekommen, hätten aber intensiven Kontakt gehabt. "Das ist viel gefährlicher als wenn Leute in großen Massen zusammensitzen." Wenn jetzt nicht auf der ganz kleinen Ebene radikal gehandelt würde, werde Deutschland das ganze Geschehen überrollen, ähnlich wie in Italien, warnt der Amtsarzt.

Meine Mutter winkt ab

Auf der Rückfahrt vom Büro nach Hause rief ich meine 82-jährige Mutter an und riet ihr, was ich ihr seit ein paar Tagen rate: Nun nach Möglichkeit wirklich zu Hause zu bleiben. Ihre Antwort war auch heute dieselbe wie zuvor. "Ich glaube ja nicht daran, dass das wirklich so schlimm wird und ich bleibe auch nicht zu Hause. Ich wasche mir zehnmal am Tag die Hände, umarme und küsse niemanden und halte Abstand."

Ich versuchte es auf die drastische Art. "Wenn Du im Krankenhaus liegst, dürfen wir Dich nicht besuchen. Auch nicht, wenn Du stirbst." Ihre Antwort: "Kind, darüber werdet Ihr Euch doch wohl hinwegsetzen." Auf Twitter sah ich kürzlich eine Nachricht, in der eine Frau eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von älteren Menschen suchte, die die Gefahr durch das Coronavirus nicht wahrhaben wollen. Ich glaube, ich werde mich der Suche anschließen.

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