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GesellschaftDeutschland

Corona und der "Plan B" der Schulen

Mikhail Bushuev
14. November 2020

Eine knappes Zehntel der Schulen in Deutschland ist momentan von der zweiten Corona-Welle betroffen. Neue Lernkonzepte werden gesucht. Ein Lagebericht aus zwei Schulen.

Deutschland | Leeres Klassenzimmer Coronakrise
Die Schulen bleiben zunächst offen - ob über den Winter, vermag noch niemand zu sagenBild: imago images/Michael Weber

Die zweite Welle der Corona-Pandemie beeinträchtigt das öffentliche Leben in Deutschland. Noch gibt es keinen Teil-Lockdown für die Schulen. Aber die Auswirkungen der Pandemie sind deutlich spürbar. Mehr als 300.000 Schülerinnen und Schüler mussten nach Angaben des Deutschen Lehrerverbands in Quarantäne geschickt werden. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind mehr als 550 Schulen von den Isolierungsmaßnahmen betroffen - etwa jede zehnte Einrichtung. 

Eltern, Gewerkschaften und Lehrerverbände betrachten das zunehmende Infektionsgeschehen an Schulen mit Sorge. Denn was passiert, wenn die Infektionszahlen steigen? Wenn neben Sporthallen, Theatern und Restaurants auch Schulen flächendeckend geschlossen werden müssen? Sind diese mittlerweile für den Notfall besser gerüstet als noch im Frühjahr?

Konzepte für möglichen Lockdown

In der offenen Ganztagsschule Gottfried Kinkel in Bonn laufen die Vorbereitungen für eine solche Ausnahmesituation auf Hochtouren. Noch ist die Lage dort einigermaßen entspannt. Bisher musste nur eine Mitarbeiterin in Quarantäne geschickt werden. Neue Konzepte für einen möglichen Lockdown sind aber bereits getestet worden. Man experimentiere und sammele derzeit Erfahrung, wie man digitales und analoges Lernen verbinden kann, sagt Schulleiter Christian Eberhard im DW-Gespräch: "Wir haben ein Kind, das zu Hause blieb, für vier Stunden in den Unterricht dazugeschaltet. Das hat ganz gut funktioniert." Die Kinder hätten das toll gemacht, sich über den Rechner ausgetauscht und zusammen Aufgaben gelöst. Das Kind zu Hause "war glücklich, weil es Teil der Klassengemeinschaft war", berichtet Eberhard.

Kein Küsschen für Oma

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Leiter der der offenen Ganztagsschule Gottfried Kinkel in Bonn-Oberkassel Christian EberhardBild: C. Eberhard

Allerdings nahm die Schule bald von diesem Lernmodell Abstand, weil es Kleinkindern auf Dauer nicht zumutbar ist, lange Zeit online zu arbeiten. Die Ganztagsschule entwickelte ein alternatives Konzept, das sowohl im Präsenzunterricht, als auch im Falle eines Lockdowns zum Einsatz kommen soll. "Man bildet Lernpartnerschaften, so dass jedes Kind ein- bis zwei Lernpartner hat, mit denen es kooperativ lernen kann. Diese festen Lernpartner, sollen sich untereinander helfen, miteinander telefonieren und sich absprechen, so dass nicht alles über die Lehrkraft läuft", erklärt Christian Eberhard.

Gute Erfahrungen aus einer Grundschule

Für den Fall eines Lockdowns hat man an der Gottfried-Kinkel-Ganztagsschule Wochenplanungen und Rollenverteilungen vorbereitet. Der Tag würde mit einem "digitalen Morgenkreis" beginnen – einer Videokonferenz der Lehrer mit ihren Schülerinnen und Schülern. Danach beginnt der Unterricht, aus dem heraus Schulaufgaben und Aufträge für die nächsten Tage entstehen, schildert Christian Eberhard den Plan.

Werden VR-Brillen im digitalen Unterricht auch ihren Platz finden? Hier: Schüler der International School on the Rhine Bild: picture-alliance/dpa/I. Fassbender

Zwischen neun und zwölf Uhr sollen die Lehrerinnen und Lehrer mit den Kindern nur individuell oder in Kleingruppen arbeiten. In der Mittagszeit gäbe es digitale Treffen, um über Ergebnisse und Schwierigkeiten zu sprechen. Am Nachmittag hätten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit beispielsweise über die digitale Pinwand-App "Padlet" an gemeinsamen Projekten teilzunehmen. Den Nachmittag betrachtet man an der Grundschule als Bildungsangebot. Damit bleibe man eine Ganztagsschule, erklärt Schuldirektor Eberhard. Insgesamt fühle sich die Schule "gut gewappnet", sollte die Corona-Pandemie im Winter stärker wüten, als das zur Zeit der Fall ist.

Vier Szenarien auf einem Gymnasium

Im Friedrich-Ebert-Gymnasium in Bonn blickt man auch mit wachsender Sorge auf die steigenden Infektionszahlen in Deutschland. Letzte Woche mussten neun Schüler in Quarantäne geschickt werden. "Diese Schüler bekommen momentan zwar Unterricht. Aber aus der Distanz. Man hat ihnen den Wochenplan zugeschickt und für einige Fächer richten wir Videokonferenzen ein", berichtet Schulleiter Frank Langner. Nächste Woche will die Schulleitung im Falle einer Quarantäne ein neues Konzept umsetzen: Der Distanz- soll dem Präsenzunterricht gleichgestellt werden. Allerdings geht es nicht darum, beispielsweise vier Stunden Mathematik einfach durch einen ebenso langen Online-Unterricht zu ersetzen, sondern in den Hauptfächern würde der digitale Unterricht wegen der Belastung auf vielleicht eine Videostunde begrenzt. Der weitere Unterricht verläuft über Lernbegleitung: "Per Email, Telefon oder mit Hilfe von Videosequenzen, je nach konkreter Situation", schildert Frank Langner die Pläne.

Frank Langner, Leiter des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in BonnBild: Friedrich-Ebert-Gymnasium

Das Bonner Gymnasium hat sich auf vier mögliche Infektions-Szenarien vorbereitet: wenn ein Teil der Schüler, eine komplette Klasse, einzelne Lehrerinnen und Lehrer in Quarantäne sind oder die ganze Schule geschlossen werden muss. Dabei geht es auch um die kniffelige Frage, wie man Schüler-Leistungen bewertet. "Wenn ich eine Arbeit zugeschickt bekomme, weiß ich nicht, ob der Schüler selbst gearbeitet, oder ob da möglicherweise der große Bruder oder die große Schwester mitgeholfen hat", erläutert Schulleiter Langner das Problem mit dem Digitalunterricht.

Die Lösung: Bei einer kurzfristigen Quarantäne von 14 Tagen wird man mit Schülern Lernphasen einlegen und erst im Anschluss ihre Leistungen prüfen und bewerten. Bei einer längerfristigen Schließung sollen Leistungen "erst nach Besprechung mit den jeweiligen Schülern per Videokonferenz bewertet werden", so Langner. Für die interne Kommunikation nutzt das Friedrich-Ebert-Gymnasium auf freiwilliger Basis die "Teams"-App von Microsoft. Alternativ wurde die Video-Chat-App Yitsi installiert, "die datenschutzrechtlich noch mal einwandfreier ist, weil es über unseren eigenen Server läuft", betont der Schulleiter.

Eine rechtliche Grauzone beim digitalen Lernen

Die Digitalisierung an deutschen Schulen schreitet also voran, wie die beiden Beispiele zeigen. Dabei war die Gottfried-Kinkel-Ganztagsschule vor dem ersten Lockdown digital bei weitem nicht auf dem höchsten Stand. Das gilt auch für die Lehrer. Zwar seien einige Kollegen fit gewesen, aber "manche hatten aber noch nie ein iPad oder Tablet angefasst", sagt Schulleiter Christian Eberhard. Zu Anfang behalf man sich mit Zoom-Konferenzen. "Der Datenschutz ist zwar wichtig", so Eberhard, aber er gehe "nicht über alles". Wichtig sei vor allem das Recht der Kinder auf Lernen und auf Betreuung. Damit bewegt sich die Schule allerdings in einer rechtlichen Grauzone. Denn wie Eberhard erklärt, sei das Arbeiten über Zoom beispielsweise nicht verboten, aber auch nicht ausdrücklich erlaubt. "Manche Direktoren verunsichert das. Aber ich finde, die Spielräume (für Digitalisierung – Anm. der Red.) sind da." Mittlerweile hat Eberhards Lehrerkollegium an Medienfortbildungen teilgenommen und viele Apps gemeinsam mit den Kindern getestet. 

Zurück auf der Schulbank

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Frank Langner vom Bonner Friedrich-Ebert-Gymnasium räumt ein, dass er als Lehrer für das Fach Informatik einen Vorteil hatte, weswegen seine Schule mit der Digitalisierung schnell vorangekommen sei. Trotzdem gab es Hindernisse. Nach Langners Erfahrung fangen die Probleme bereits bei Bestellung der Hardware an: die Lieferzeiten sind im Moment wegen der großen Nachfrage sehr lang. Dazu kommen Engpässe bei der Wartung. Deshalb schlägt er vor, dass Schulen einen "digitalen Hausmeister" einstellen sollten. Ein solcher Support-Techniker würde "für drei bis vier Schulen schon reichen", schätzt Langner. Außerdem wünscht er sich eine finanzielle Sofortunterstützung zur Anschaffung von WLAN-Routern, Kabeln und sonstigem Zubehör, um die Schulen für den digitalen Lehrbetrieb fit zu machen.

Beide Bonner Schuldirektoren hoffen, den Präsenzunterricht aufrechterhalten zu können, denn dieser, so Christian Eberhard, sei "mit nichts auszugleichen. Ihn brauchen wir. Die Digitalisierung setzen wir ein, wenn sie einen Mehrwert hat, und nicht einfach nur, weil es digital ist."

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