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Politik

In Montenegro spitzt sich die Lage zu

Radomir Kračković | Zoran Arbutina
17. Mai 2020

Trotz Corona geht der Kirchenstreit in Montenegro in eine neue Runde. Es gab Proteste, sogar ein Bischof und acht Priester wurden verhaftet. Jetzt sind sie zwar wieder auf freiem Fuß, die Spannungen im Land aber bleiben.

Montenegro - Protest der Serbisch-Orthodoxen Kirche
Bild: DW/D. Savović

Obwohl die Pandemie im Land immer noch nicht für beendet erklärt wurde und zahlreiche restriktive Maßnahmen - Versammlungsverbot inklusive - in Kraft sind, fand sich Montenegro wieder da, wo es schon vor zwei Monaten war: mitten in einem Streit zwischen dem Staat und der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) um das Kircheneigentum. In mehreren montenegrinischen Städten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Polizei, es gab Verhaftungen und viele Verletzte.

Der Anlass war eine Prozession (serbisch: litija) in der Stadt Niksic am 12. Mai. Da sie nicht erlaubt war, wurden Bischof Joanikije und acht andere Priester verhaftet. Sie hätten, so die Anschuldigung, die Gesundheit der Menschen während der Epidemie gefährdet. Joanikije verteidigte sich mit dem Hinweis, er hätte die Gläubigen nicht zur Prozession aufgerufen, sie seien vielmehr spontan gekommen, "das Volk passierte", wie man das in der Region gerne bezeichnet. Zur Zusammenkunft haben allerdings im montenegrinischen Parlament die Abgeordneten der Oppositionspartei Demokratische Front (DF) aufgerufen - gegen die dann auch Strafanzeigen erstattet wurden. In der Vergangenheit hatten sie mehrmals und lauthals die Position der SPC vertreten.

Nach der Verhaftung des Bischofs kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der SPC und der Polizei in mehreren Städten: 26 Polizisten wurden verletzt, zahlreiche Bürger wurden verprügelt und 50 Menschen verhaftet. Inzwischen wurden Joanikije und die anderen Priester unter dem Jubel der Anhänger aus der 72-stündigen Untersuchungshaft entlassen. Gegen sie wird jetzt Anklage erhoben. 

Proteste der Serbischen-Orthodoxen Kirche: "Das Volk passierte"Bild: DW/Z. Vuksanović

Gefährliche Lage

"Diese Eskalation hat die ohnehin bestehenden Spannungen in der Gesellschaft zusätzlich erhöht", sagt der politische Analytiker Sergej Sekulović der DW, "und es ist zurzeit schwer zu sagen, wie es weiter geht".

Die Aussichten seien allerdings nicht gut, die Gefahr einer weiteren Zuspitzung sei real, meint der Journalist Vladan Žugić. Denn bis Ende des Jahres sollen in Montenegro Parlamentswahlen und Anfang nächsten Jahres dann eine neue Volkszählung stattfinden. Bald werden sich auch in Montenegro die schweren wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zeigen, insbesondere wenn die Tourismus-Saison wie erwartet schwach ausfällt.

Gleichzeitig beharren beide Seiten unnachgiebig auf ihren Positionen: "Die Regierung verschließt die Augen vor vielen Problemen, die es in Montenegro gibt. Und ein Teil der Opposition befürwortet immer noch die Politik aus den 1990-er Jahren", so Žugić. Damals tobte der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, Montenegro bildete zusammen mit Serbien einen Staatenbund. "Die Erfahrung zeigt, dass davon vor allem die regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) profitiert, sowie der radikale Teil der Opposition, mit der DF an der Spitze", fügt der Journalist hinzu.

Eine endlose Krise

Dass die Zeichen nicht auf Entspannung stehen, zeigen auch die ersten Reaktionen nach der Verhaftung der Geistlichen. So rechtfertigte der Premierminister Duško Marković das Vorgehen der Sicherheitskräfte mit der Behauptung, Montenegro sei von Extremisten angegriffen worden und die Serbisch-Orthodoxe Kirche würde "unter dem Vorwand der Wahrung der Religionsfreiheit die öffentliche Gesundheit gefährden".

Andererseits beschuldigte Erzbischof Amfilohije die Polizei, während der Proteste Kinder verprügelt zu haben und bot gleichzeitig an, sich anstelle des Bischofs Joanikije festnehmen zu lassen.

Die Auseinandersetzungen zwischen dem montenegrinischen Staat und der Serbisch-Orthodoxen Kirche dauern seit Ende vergangenen Jahres an. Stein des Anstoßes ist eine Bestimmung im neuen Gesetz über die Religionsfreiheit, das Ende Dezember vom montenegrinischen Parlament verabschiedet wurde. Danach sollen alle Objekte und Liegenschaften, die zurzeit der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) in Montenegro gehören, dem Staat übertragen werden - wenn die Kirche nicht nachweisen kann, dass sie diese schon vor 1918 besaß. Die SPC ist der Überzeugung, dass man ihr damit zahlreiche Kloster und Kirchen nehmen will. Auch vor der jüngsten Eskalation gab es Prozessionen und Proteste, allerdings waren die Auseinandersetzungen nie so heftig wie jetzt.

Bereits im Dezember 2019 protestierte die Serbisch-Orthodoxe Kirche in Podgorica gegen das neue KirchengesetzBild: Reuters/S.Vasiljevic

Montenegro ist in der Frage der nationalen Identität tief gespalten: Während sich ein Teil der gut 600.000 Montenegriner als Angehörige einer größeren serbischen Nation sieht, begreifen sich die anderen als eigenständige Angehörige eines montenegrinischen Volkes und unterstützen eine eigene Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche.

Parlamentswahlen werfen Schatten voraus

Nun ist es offen, wie es weiter geht, denn die Fronten scheinen verhärtet zu sein: Während die Anhänger der SPC schon seit Tagen, trotz des Verbots, in mehreren Städten protestieren und rufen "Wir geben unsere Heiligtümer nicht ab!", hat die zuständige Gesundheitsbehörde angekündigt, wegen der Epidemiegefahr noch für lange Zeit keine Massenveranstaltungen zuzulassen.

Beobachter sind überzeugt, dass die jüngste Eskalation vor allem in Zusammenhang mit den bevorstehenden Parlamentswahlen steht.

"Die opositionelle Demokratische Front (DF) möchte sich als 'Wächter der Heiligtümer' profilieren, denn bisher ist die Kirche die Kraft, die diese Proteste anführt", ist Publizist Vladan Žugić überzeugt. "Die DF versucht sich als die eigentliche Schutzmacht des Serbentums in Montenegro darzustellen."

Die regierenden Sozialisten wiederum wollen die von der Kirche organisierten Protest-Prozessionen verhindern, denn auch unter ihren Wählern sind nicht wenige Gläubige, die zu der Serbisch-Orthodoxen Kirche stehen. "Die Regierung versucht von ihrem erfolgreichen Kampf gegen das Coronavirus zu profitieren. Die Botschaft lautet: Nur wir können die Sicherheit und die Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten", sagt der Politologe Sergej Sekulović.

"Es kann gut sein", so Sekulović weiter, "dass beide Seiten zu dem Schluss kommen, es wäre für sie besser, in einer Atmosphäre der starken gesellschaftlichen Polarisierung in die Wahlen zu gehen." Die Situation könnte allerdings außer Kontrolle geraten und die Folgen wären dann verheerend für das ganze Land.