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Corona: Wer sagt die Wahrheit?

21. Dezember 2021

Zur Pandemie, COVID-19 und SARS-CoV-2 kursiert viel Wissen, aber auch viel Desinformation. Um das Eine vom Anderen unterscheiden zu können, hilft es zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert.

Fakt oder Fake Symbolbild
Was ist was? Wer Fakten und Fake voneinander unterscheiden will, sollte ein paar grundsätzliche Normen der Wissenschaft kennenBild: S. Ziese/blickwinkel/picture alliance

Haben Sie sich auch schon darüber aufgeregt, dass Forschende in der Pandemie ständig ihre Meinung ändern? Oder dass "alternative Experten" nicht annähernd die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient haben? Schließlich sind die auch Doktor und Professor! Stattdessen immer dieselben Nasen: Christian Drosten, Sandra Ciesek oder Anthony Fauci. Das ist doch keine Meinungsfreiheit!

Wer kann also als glaubwürdiger Experte gelten und wer nicht? Wieso bleiben Wissenschaftler nicht einfach mal bei dem, was sie vorgestern noch gesagt haben? Anders gefragt: Wie funktioniert die eigentlich, diese Wissenschaft?

Wissenschaft ist ein fortlaufender Erkenntnisprozess

Zunächst einmal die schlechte Nachricht: Wissenschaft wird den Wunsch nach der Wahrheit und nach einem abgeschlossenen Erkenntnisgewinn nicht erfüllen können. Doch diesen Anspruch erhebt die Forschung auch gar nicht.

"Wissenschaft ist ein Prozess, in dem sich die Wissenschaft immer wieder selbst befragt, was dazu führt, dass die sie sich immer wieder korrigiert", sagt Ulrich Dirnagl, der zu Schlaganfällen an der Berliner Charité forscht. Außerdem leitet er das QUEST Center am Berlin Institute of Health (BIH). Dort sind Dirnagl und seine Kollegen für das Qualitätsmanagement der biomedizinischen Forschung am BIH zuständig. Sie betreiben quasi Forschung über Forschung.

So funktioniert die Corona-mRNA-Impfung

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Auch wenn wissenschaftliches Arbeiten immer nur ein Näherungsprozess sein kann, heißt das nicht, dass jede Hypothese oder Meinung gleich viel wiegt. 

Eine Bekannte ist Hebamme und sieht ganz viele Fehlgeburten nach der Impfung! So oder so ähnlich klingen manche Erfahrungsberichte, die kurzfristige Schnappatmung auslösen können. Hilfe! Die Frau ist Hebamme, die muss es doch wissen!

Hebamme hin oder her, eine Anekdote oder Beobachtung kann allerhöchstens der Ausgangspunkt für eine weitergehende Untersuchung sein. "Aus einer Anekdote lässt sich durchaus eine Hypothese generieren", sagt Dirnagl. "Die muss dann allerdings in kontrollierten Studien überprüft werden, um einen kausalen Zusammenhang herstellen zu können." 

Ein Zusammenhang zwischen der Impfung und einer erhöhten Fehlgeburtsrate konnte bisher nicht festgestellt werden, trotz mittlerweile mehr als 8,7 Milliarden verabreichter Impfdosen.

Organisierte Skepsis und Selbstkritik

Gut möglich also, dass die Beobachtung der Hebamme einem zutiefst menschlichen Mechanismus folgt − dem confirmation bias. Dieser Bestätigungsfehler führt dazu, dass wir vor allem die Informationen glauben, die unsere bereits vorhandenen Annahmen bestätigen.

Vor dieser sogenannten konfirmatorischen Informationsverarbeitung ist niemand gefeit. "Das Einzige was dagegen hilft ist, der eigene advocatus diabolus zu sein", sagt der Sozialpsychologe Roland Imhoff, der an der Universität Mainz zu Verschwörungsmentalität forscht. Dabei gehe es darum, ganz bewusst die der eigenen Meinung entgegengesetzte Position einzunehmen.

Da die Wissenschaft sich der Möglichkeit, dass sie irrt, viel bewusster ist als die meisten Querdenker es sind, wird sie die Sache mit den Fehlgeburten sehr wahrscheinlich weiterverfolgen. "Eine Norm der Wissenschaft ist die organisierte Skepsis", erklärt Ulrich Dirnagl. "In dem Wissen darum, dass wir uns in unseren Ergebnissen und Schlussfolgerungen irren können, sind wir Wissenschaftler grundsätzlich skeptisch. Auch uns selbst gegenüber."

Jede wissenschaftliche Publikation muss sich aus diesem Grund der Kritik der Fachwelt stellen. Das geschieht im sogenannten Peer Review-Verfahren vor der Veröffentlichung in einem Fachjournal, aber auch die auf Preprint-Servern hochgeladenen Forschungsergebnisse werden bereits von der Wissenschaftsgemeinschaft kritisch unter die Lupe genommen.

Spätestens nach der Veröffentlichung richten sich alle kritischen Blicke auf eine Studie. Auch in der Pandemie musste schon so manche zurückgezogen werden. Bild: Richard James Mendoza/NurPhoto/picture alliance

Auch wenn keines dieser Systeme perfekt ist, steigt doch die Wahrscheinlichkeit, dass Methodik- oder Rechenfehler erkannt werden.

"Zur organisierten Skepsis gehört weiterhin, dass gute Studien ganz am Ende über ihre Limitationen schreiben", sagt Dirnagl. Dort steht dann etwa, dass die Kohorte, also die untersuchte Gruppe, relativ klein war, dass es keine geeignete Kontrollgruppe geben konnte oder dass die Forschenden bestimmte Aspekte aus irgendwelchen Gründen nicht berücksichtigen konnten.

Zur Transparenz gehöre laut Dirnagl außerdem, dass die Publikation so geschrieben ist, dass andere Forschende die Untersuchung wiederholen können. Die beschriebenen Ergebnisse müssen reproduzierbar sein, damit sie glaubwürdig erscheinen. Eine Schwalbe macht schließlich noch keinen Frühling.

Falsifizierung ist das Ziel

In der Wissenschaft geht es nicht darum zu zeigen, dass etwas wahr ist. Das klingt jetzt komisch, hat aber einen einfachen Grund. "Es ist viel leichter, eine Hypothese als falsch zu entlarven", sagt Dirnagl. "Die Annahme, dass Schwäne weiß sind, ist so lange gültig, bis die ersten schwarzen Schwäne gesichtet werden."

Wäre das Ziel der Wissenschaft die Verifizierung einer Hypothese, also der Anspruch zu beweisen, dass die Annahme wahr ist, dann müsste man, um bei den Schwänen zu bleiben, alle Schwäne der Welt sichten. Die Möglichkeit, dass den Suchenden selbst bei gründlichster Arbeit doch ein Schwan durch die Lappen geht, kann dabei nie ausgeschlossen werden.

Experte ist nicht gleich Experte

Die wenigsten von uns sind selbst Forschende. Unsere Möglichkeiten, die in einer Studie angestellten Experimente und Berechnungen nachzumachen sind begrenzt. Und selbst wenn wir alle Virologen wären, hätten wir von Atmosphärenphysik keine Ahnung. Am Ende geht es um Vertrauen.

Roland Imhoff hat dieses Vertrauen in Experten zusammen mit seinen Kollegen Pia Lamberty und Olivier Klein in einer Studie abgeklopft: Menschen, die sich kaum zu Verschwörungserzählungen hingezogen fühlten, vertrauten einer Hypothese vor allem dann, wenn sie von einem Wissenschaftler vertreten wurde. Der Inhalt der Hypothese war zweitrangig. "Das galt lange als irrational", sagt Imhoff.

Es ergibt aber durchaus Sinn. "Wir sind als Gesellschaft darauf angewiesen, einen Konsens herzustellen und darauf zu vertrauen", sagt der Sozialpsychologe.

Christian Drosten wird deshalb so viel Vertrauen entgegengebracht, weil er an der Entdeckung von SARS-CoV-1 im Jahr 2003 beteiligt war und seitdem zu Coronaviren forscht. Auch zu SARS-2 hat er eine Vielzahl von Publikationen vorzuweisen.

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Online-Datenbanken für Forschungsarbeiten wie pubMed können dabei helfen, herauszufinden, ob sich die steilen Thesen aus dem von Oma zugeschickten Youtube-Video auch in der eigenen Forschung zu dem Thema niederschlagen.

"Es wird ja nicht einfach jemand zum Papst erklärt oder in den Adelsstand gehoben", sagt Roland Imhoff über die wiederholten Vorwürfe von Impfgegnern oder Coronaleugnern, man höre immer nur dieselben Stimmen zu bestimmten Forschungsfeldern. Auch Christian Drostens Publikationen müssen den kritischen Blicken der Kollegen standhalten. Nur weil sie standhalten, kann er als Experte gelten.

Aber jetzt auch noch in Datenbanken herumsuchen? Das ist ein ziemlich großer Aufwand! Es gibt allerdings ein paar Hinweise, die auch beim wissenschaftlichen Laien die Alarmglocken klingeln lassen sollten.

"Jemand, der eine hundertprozentige Wahrheit verkündet, verhält sich nicht wissenschaftlich seriös", sagt Ulrich Dirnagl. "Und wer eine extreme Hypothese vorbringt, wie beispielsweise, dass das Spike-Protein giftig ist, der muss auch extrem starke Belege dafür vorweisen." Da reicht kein Youtube-Video.

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