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GesellschaftDeutschland

Was macht Corona mit den Deutschen?

4. September 2020

Die Deutschen sind zwar stolz darauf, wie ihr Land die Pandemie gemeistert hat, gleichzeitig denkt jeder Dritte, dass die Regierung die Krise größer aussehen lässt, als sie ist. Wie passt das zusammen?

Coronavirus | Bayern | Teststation Kiefersfelden A93
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Zu welchem gesellschaftlichen Typ gehören Sie? Sind Sie der "Offene", für den Weltoffenheit und kritisches Denken an erster Stelle stehen? Oder zählen Sie sich zu den "Pragmatischen", denen das private Fortkommen wichtig ist, aber Kontrolle immer vor Vertrauen geht? Oder aber ist Ihnen als "Etablierter" gesellschaftlicher Frieden am wichtigsten?

Die Organisation "More in Common" hat die Gesellschaft sogar in sechs gesellschaftliche Typen innerhalb der Bevölkerung eingeteilt, mit verschiedenen Werten und Grundüberzeugungen. Und diese Typen sind nicht gleich gut durch die Pandemie gekommen.

"Die Menschen in Deutschland erleben die Corona-Krise ganz unterschiedlich, von einem übergreifenden zwischenmenschlichen Erleben der Krise kann so noch nicht die Rede sein", sagen Laura-Kristine Krause und Jérémie Gagné von "More in Common" zu ihrer neuesten Umfrage bei 2000 Menschen, über das, was dieses besondere Jahr mit der deutschen Gesellschaft macht. "Wo die einen mit der Krisenpolitik sehr zufrieden sind, fühlen sich viele mit ihren Problemen allein gelassen."

Das unterschiedliche Erleben der Corona-Krise sei eine Gefahr für den Zusammenhalt und habe das Potenzial, die Dreiteilung der Gesellschaft noch zu vertiefen, sagen die Organisatoren der Studie.

Eine Dreiteilung in die gesellschaftlichen Stabilisatoren, zu denen auch die "Involvierten" zählen, denen Bürgersinn und Miteinander wichtig sind. In die gesellschaftlichen Pole mit den "Wütenden", die eine nationale Ordnung anstreben und misstrauisch sind. Und in das unsichtbare Drittel mit den "Enttäuschten", die fehlende Wertschätzung und Gerechtigkeit beklagen.

Kein Wunder, dass die sechs Typen auch unterschiedlich empfänglich für Verschwörungstheorien sind. Fast jeder dritte Deutsche glaubt, dass die Regierung die Krise größer aussehen lässt als sie ist, um ihre eigene Agenda durchzusetzen. Und das liegt vor allem an den systemkritischen "Wütenden", die lautstark den Diskurs bestimmen.

"Die Vertrauensreserven in der Gesellschaft waren tatsächlich schon vor Corona gering, in Teilen der Bevölkerung sehen wir ein tiefes Misstrauen gegenüber politischen Institutionen", so Krause und Gagné, "darüber sollten wir aber nicht vergessen, dass rund 70 Prozent der Menschen in Deutschland bislang mit der Corona-Politik eher zufrieden sind."

Verschwörungstheorien werden paradoxerweise auch befeuert, eben weil Deutschland - anders als seine europäischen Nachbarn - bislang so gut durch die Krise gekommen ist. "There is no glory in prevention", hatte der bekannteste deutsche Virologe Christian Drosten mantrahaft wiederholt - und damit am Ende recht gehabt.

Laura-Kristine Krause und Jérémie Gagné von More in Common Deutschland in Berlin

Statt Ruhm für die gute Prävention gegen die Verbreitung des Virus zu ernten, mit der die Zahl der Corona-Toten in Deutschland vergleichsweise niedrig gehalten werden konnte, zweifeln einige deswegen die Gefährlichkeit des Virus und die Schutzmaßnahmen an.

Bilder wie aus dem italienischen Bergamo blieben den Deutschen erspart, dort hatte fast jede Familie einen Angehörigen verloren. In Deutschland sind 9321 Menschen (Stand 3.9.2020) in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben - und das bei 83 Millionen Einwohnern.

Doch gleichzeitig irrte Christian Drosten. Denn die deutsche Regierung erhält Bestwerte für ihr Krisenmanagement und schneidet in allen Kategorien teils deutlich besser als die Regierungen von Italien, Polen, der Niederlande, Großbritannien und Frankreich. "Wenn man sich die Zahlen anschaut, hat Deutschland alles richtig gemacht", sagt ein Teilnehmer der Umfrage.

Demzufolge überrascht nicht, dass die Deutschen sagen, der Umgang Deutschlands mit der Krise hätte sie stolzer auf ihr Land gemacht. Oder wie eine befragte Person erklärte: "Ein gewisser Stolz ist schon da. Was wir in der Kürze in der Zeit auf die Beine gestellt haben. Für jeden Einzelnen, der mitgemacht hat, Chapeau, also Hut ab, super."

Dazu passt auch das Ergebnis einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass populistische Einstellungen in Deutschland stark rückläufig seien. Demnach bröckelt die Mitte nicht, sie wird sogar stabiler, vor allem wegen der Regierungsarbeit in der Coronakrise. Nur noch jeder fünfte Deutsche sei anfällig für Populismus.

Laura-Kristine Krause und Jérémie Gagné von "More in Common" kommen in ihrer Studie allerdings auch zu der Erkenntnis, dass "die Menschen weniger kompromissbereit gegenüber Andersdenkenden als vor der Krise sind, den Menschen scheint es also schwerer zu fallen, sich auf andere Ansichten einzulassen als vorher".

Die deutschen Politiker sollten sich in Zukunft verstärkt um das sogenannte "unsichtbare Drittel" kümmern, die "Pragmatischen" und die "Enttäuschten", empfehlen die Studienautoren. "Sie sind persönlich und politisch schlecht eingebunden, fühlen sich häufig gesellschaftlich desorientiert. Ihnen sollte viel mehr Aufmerksamkeit gelten."

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