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EU-Kommissar sieht "Revolution" beim Haushalt

28. Mai 2020

Die 27 Mitgliedsstaaten sollen dem 1,85 Billionen-Haushalt der EU zügig zustimmen. EU-Kommissare werben für den Etat, der erstmals auf Krediten fußt - und auf zusätzlichen Steuern. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild Wirtschaft und Finanzen
Bild: picture-alliance/K. Ohlenschläger

Am Tag nach der Vorstellung des europäischen Haushalts mit seinem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbau-Programm bemühen sich in Brüssel gleich mehrere EU-Kommissare, den Vorschlag zu erläutern. Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, lobte das riesige Finanzpaket, das erstmals auch mit gemeinsamen Schulden finanziert werden soll, als "historisch für die Welt, aber zumindest historisch in der europäischen Geschichte".

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Gentiloni sagte in Brüssel, die von der Pandemie am stärksten getroffenen Staaten wie Italien oder Spanien würden von dem Aufbauprogramm am stärksten profitieren können. Die Staaten müssten jetzt sinnvolle Investitionsprogramme und Projekte entwickeln, die dann von der EU finanziert würden. Das neue Instrument für den Wiederaufbau sei kein Rettungsschirm, der an strenge Auflagen und Reformen für die Staatshaushalte der Empfängerländer gekoppelt wäre. Trotzdem müsse auch Italien, das bis zu 80 Milliarden Euro als Zuschuss für Projekte erhalten soll, sich an den wirtschaftspolitischen Prioritäten der EU, also Klimaschutz, Digitalisierung und Zukunftstechnologie, orientieren.

EU-Kommissar Gentiloni: Alle Länder können profitieren, manche besonders vielBild: DW/B. Riegert

"Wir haben nicht wahnsinnig viel Zeit"

Der EU-Kommissar Johannes Hahn, der für den Haushaltsentwurf verantwortlich ist, nannte das Zahlenwerk eine "Revolution", die der Situation aber angemessen sei. Um die drastische Rezession nach der Corona-Krise zu bekämpfen, sei es richtig, dass die EU zum ersten Mal massiv Schulden machen werde. "Wir haben nicht wahnsinnig viel Zeit. Wir müssen schnell sein, denn die Unterstützung der Wirtschaft überall in der EU ist notwendig", sagte Johannes Hahn vor Journalisten in Brüssel.

EU-Kommissar Hahn: Das ist eine RevolutionBild: DW/M. Luy

Der Haushaltskommissar erläuterte, dass für die Rückzahlung des notwendigen gemeinsamen EU-Kredits von rund 450 Milliarden Euro vier neue Abgaben und Steuern eingeführt werden sollen. Diese Abgaben, im EU-Jargon "Eigenmittel" genannt, sollen ab 2028 genutzt werden, um den Kredit zu tilgen. Der EU-Kommissar erhofft sich Einnahmen von 10 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr. Hahn bestritt aber im Gespräch mit der DW, dass nun die nächste Generation mit Steuern, Abgaben oder "Eigenmitteln" für die Kosten der Krise aufkommen müsse. "Wir wenden uns ja überhaupt nicht an den einzelnen Steuerzahler, sondern es geht mehr um Steuergerechtigkeit. Wir wollen eine Digitalsteuer für große Unternehmen, die vom Zugang zum EU-Binnenmarkt profitieren", sagte der EU-Kommissar der DW. Große Internetfirmen sollten zur Kasse gebeten werden.

Neue Steuern sollen Wiederaufbaukredit finanzieren

Eingeführt werden soll eine Abgabe auf Plastikprodukte, die nicht recycelt werden können. "Außerdem soll es eine CO2-Grenzsteuer für solche Unternehmen geben, die außerhalb der EU produzieren und nicht klimafreundlich und umweltfreundlich sind, während unsere europäischen Unternehmen sich an Standards halten müssen und deshalb möglicherweise teurer produzieren." Darum sei es nur gerecht, wenn man eine Grenzsteuer einführe, um gleiche Bedingungen und Spielregeln zu schaffen, sagte Johannes Hahn der DW. Die EU versucht schon seit längerem solche Steuern auf internationaler Ebene durchzusetzen. Die USA zum Beispiel lehnen eine solche Grenzsteuer, man könnte sie auch Zoll nennen, ab. Auch die Besteuerung von digitalen Unternehmen wie Amazon oder Google wertet US-Präsident Trump als frontalen Angriff.

Steuern auf Kohlenstoff, Internethandel und Plastik sollen den EU-Haushalt mitfinanzierenBild: picture-alliance/Bildagentur-online/Ohde

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte der DW, dass man versuchen werde, die digitalen Steuern und eine Mindestbesteuerung von Konzernen auf internationaler Ebene durchzusetzen. "Wenn wir das nicht schaffen, werden wir im kommenden Jahr eine europäische Lösung vorschlagen", erklärte Gentiloni.

Noch nicht alle überzeugt

Die Reaktionen aus den 27 Mitgliedsstaaten, die dem Haushaltsentwurf inklusive Aufbauprogramm noch zustimmen müssen, sind teils positiv, wie aus Polen und Italien, und teils zurückhaltend, wie aus Österreich. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land zusammen mit Dänemark, Schweden und den Niederlanden zu den "sparsamen" Nettozahlern zählt, nannte den Entwurf  "einen Ausgangspunkt für Verhandlungen." Kurz lehnt vor allem ab, dass 66 Prozent des Wiederaufbauprogramm als Zuschüsse verteilt werden sollen. Der Österreicher plädiert dafür, mehr rückzahlbare Kredite an Italien, Spanien, Griechenland und andere auszureichen.

Widerstand? Die "sparsamen Vier" im Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (Archiv)Bild: Getty Images/AFP/

Mit dem Finanzierungsmodell, nämlich massiver gemeinsamer Kreditaufnahme durch die EU, haben sich wohl alle 27 EU-Staaten angefreundet. EU-Haushaltksommissar Hahn sieht keinen besseren Weg, denn dadurch würden die EU-Mitglieder im Moment nicht finanziell belastet und die Rückzahlung werde in die nächste Haushaltsperiode nach 2027 verschoben. "Die Wirtschaft ist in der EU ist so miteinander verflochten, dass es in unser aller Interesse ist, dass die Erholung auch überall in Europa einsetzt. Sonst funktioniert das nicht", sagte Johannes Hahn im Gespräch mit der DW in Brüssel. "Ich bin klar überzeugt, dass wir recht schnell eine Übereinkunft unter den Mitgliedsstaaten haben werden."

Bis spätestens Oktober sollen sich die Mitgliedsstaaten jetzt einigen und das Europäische Parlament zustimmen. Dann müssen auch noch alle nationalen Parlamente dem Wiederaufbau- Programm und der Kreditaufnahme durch die EU zustimmen. "Das ist eine Herkulesaufgabe", so EU-Kommissar Johannes Hahn.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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