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Politik

"Corona wird handhabbar werden"

Irene Anastassopoulou
28. Oktober 2021

Özlem Türeci und Ugur Sahin sind nicht enttäuscht darüber, dass sie den Medizin-Nobelpreis nicht bekommen haben. "Wir kriegen tagtäglich Massen von Nobelpreisen", sagen die BioNTech-Gründer im Gespräch mit der DW.

Berlin, Deutschland | Axel Springer Award für Biontech-Gründer
Ugur Sahin und Özlem Türeci, die Gründer des Mainzer Corona-Impfstoff-Entwicklers BioNtechBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

DW: Frau Türeci, Herr Sahin, Sie haben vor Kurzem in Thessaloniki den Kaiserin-Theophanu-Preis erhalten, der für außerordentliche Verdienste um Europa verliehen wird. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Ugur Sahin: Das ist ein Preis, der, wenn Sie so wollen, die europäische Kultur repräsentiert. Ein Preis, der in einer Stadt verliehen wird, aus der auch unser Freund und Partner Albert Bourla, der Vorstandsvorsitzende von Pfizer, kommt. Wir haben den Preis zu einem Zeitpunkt erhalten, als wir auch wirklich wieder reisen konnten. Wegen der vielen Einschränkungen haben wir das in letzter Zeit kaum gemacht.

Was bedeuten Ihnen Thessaloniki und Griechenland?

Özlem Türeci: Thessaloniki und Griechenland sind uns sehr nah und die Kultur dort ist jener Kultur sehr ähnlich, aus der unsere Eltern kommen und die wir von unseren Familien kennen. Und das ist schön, ich habe fast ein wenig Nostalgie empfunden, als wir dort waren.

Sahin: Griechen und Türken haben ja sehr viele Gemeinsamkeiten. In Deutschland habe ich eine ganze Reihe griechischer Freunde beim Fußball gehabt. Wir haben zusammen Fußball gespielt und gemerkt, dass wir dieselbe Art von Leidenschaft haben, dieselbe Art, Einsatz zu zeigen. Für uns ist das natürlich auch ein Zeichen, dass wir global denkende Menschen sind. Wir denken nicht in Nationalitäten, wir denken nicht in Religionen, wir denken nicht in politischen Dimensionen, sondern wir denken einfach darüber nach, wie Menschen zusammen agieren können, um Herausforderungen gemeinsam zu lösen.

Pfizer-CEO Albert Bourla (l.) und Sahin Ugur (M.) bei der Preisverleihung in ThessalonikiBild: Irene Anastassopoulou/DW

Ihre Vorfahren stammen aus Thessaloniki.

Sahin: Mütterlicherseits kam mein Urgroßvater aus Thessaloniki. Dann ist seine Familie nach Kreta gezogen und von dort aus später nach Iskenderun in der Türkei gegangen, wo ich geboren wurde. Ich weiß noch, dass meine Mutter immer wieder Geschichten aus der Zeit ihres Vaters und Großvaters erzählt hat, darüber, wie eng damals die Beziehungen zwischen Griechen und Türken waren.

Stichwort Corona. Wie wird es weiter gehen? Wann wird die Pandemie vorbei sein?

Türeci: Das ist eine schwierige Frage, weil wir ja jeden Tag Neues über das Virus lernen, etwa, wie es auf Impfungen reagiert. Dieses Wissen ist notwendig, um beurteilen zu können, wann die Pandemie vorbei sein wird. Aber was man sicherlich schon jetzt sagen kann, ist, dass schrittweise eine neue Normalität eintreten wird. Das fühlen wir ja jetzt schon. Wir lernen, wie wir mit dem Virus umgehen können. Viele von uns sind schon geimpft und neue Freiheitsgrade werden gewonnen. Es wird eine Normalität eintreten, in der auf der Basis der Immunität weite Teile der Bevölkerung freier agieren können. Wir werden sicherlich noch ein paar Jahre mit dem Virus zu tun haben. Dabei werden auch Antworten auf die Fragen gefunden werden, die bisher noch unklar sind. Die Zukunft wird zum Beispiel zeigen, ob weitere Virusvarianten auftreten, die gegen die bisherigen Impfungen immun sind, und ob Impfungsanpassungen erfolgen müssen. Das Virus wird im Laufe der Jahre etwa den Status bekommen, den wir schon vom Grippevirus kennen, gegen das sich einige Bevölkerungsgruppen jährlich oder zweijährlich impfen lassen, andere nicht. Corona wird eine handhabbare Viruserkrankung werden.

Arbeiten Sie an einer neuen Impfung, an einer neuen Generation Ihres Impfstoffes gegen weitere Virus-Mutationen?

Sahin: Ja, wir testen derzeit Variantenimpfstoffe an einer relativ kleinen Zahl von Freiwilligen. Eine Studie zur südafrikanischen Beta-Variante des Virus ist fast abgeschlossen, eine weitere zur Delta-Variante läuft, vor allem um Daten zu sammeln. Es gibt momentan keine Notwendigkeit, den Impfstoff zu wechseln. Aber wir wollen zeigen, dass wir neue Variantenimpfstoffe herstellen und sie klinisch testen können und dass die genauso sicher sind, wie der Impfstoff, den wir jetzt schon nutzen. Falls dann in den nächsten Jahren eine Variante auftaucht, an die der Impfstoff angepasst werden muss, werden wir das sehr schnell tun können, weil wir den entsprechenden Prozess bereits etabliert haben. Wir werden uns ohne Aufregung darauf vorbereiten können, dass der Impfstoff unter Umständen alle zwei Jahre neuen Virus-Mutationen angepasst werden muss.

Ist es notwendig, dass auch Kinder gegen Corona geimpft werden?

Sahin: Ob das notwendig ist, können wir nicht sagen. Wir generieren Daten und reichen diese dann bei den zuständigen Behörden ein. Impfstoffe für die 12- bis 15-Jährigen haben die Behörden ja bereits genehmigt.

Türeci: Vor drei Wochen haben wir Daten für die Fünf- bis Elfjährigen eingereicht, die liegen nun bei den Behörden, und die müssen sie im Gesamtkontext der Volksgesundheit beurteilen. Das macht jede Nation, jede Regierung für sich. Und das läuft jenseits unseres Einflusses. Wir werden gegen Ende dieses Jahres auch noch Daten für noch jüngere Kinder, für ein Alter von sechs Monaten bis vier Jahren, einreichen. Die Studien dazu laufen schon.

Sahin: Es ist sehr wichtig, dass man ein Angebot hat. Wenn die Impfstoffe genehmigt werden, dann kann jeder Mensch für sich entscheiden, ob er es wahrnehmen möchte oder nicht.

Sind Sie enttäuscht, dass es nach so viel Forschung noch Leute gibt, die es ablehnen, sich zu impfen? Oder haben Sie Verständnis dafür?

Sahin: Wir können das nachvollziehen und sind absolut nicht enttäuscht. Was wir von unserer Seite tun, ist, transparent Informationen bereitzustellen. Ich finde es gut, dass sich die Experten auch in den Medien äußern. Auf diese Weise hat jeder Mensch die Möglichkeit zu verstehen, wie die Lage ist. Das Einzige, was ich jedem empfehle, ist, nicht nur einseitige Informationen in Anspruch zu nehmen, sondern sich möglichst breit zu informieren. So kann man dann auch zu einer guten Entscheidung für sich selbst kommen.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn Leute sagen, es gehe um eine neue Technologie, von der man noch nicht wisse, welche Spätfolgen sie haben könne?

Sahin: Wir verstehen das. Es ist aber auf der anderen Seite auch so, dass Impfstoffe grundsätzlich sehr, sehr gut vertragen werden, das gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Ohne Impfstoffe hätte sich unsere Gesellschaft nicht so weit entwickeln können, wie sie heute ist. Und unser Impfstoff beruht zwar auf einer neuen Technologie, aber die haben wir gut verstanden, denn diese Technologie gibt es ja schon seit 30 Jahren.

Unser Impfstoff ist nicht einfach so aufgetaucht, sondern er beruht auf einem Biomolekül, das in unserem Körper, in jeder Körperzelle ist. Wir bringen da nichts Fremdes ein und haben dafür eine sehr gute wissenschaftliche Grundlage, weil seit über 30 Jahren in die entsprechende Forschung investiert worden ist. Deshalb konnte unser Impfstoff so schnell entwickelt werden.

Viele Menschen waren sicher, dass Sie für Ihre bahnbrechende Entwicklung den diesjährigen Medizin-Nobelpreis bekommen. Sind Sie enttäuscht, dass Sie ihn nicht bekommen haben?

Sahin: Ich glaube, man kann nicht enttäuscht sein, wenn man etwas, das so selten ist wie ein Nobelpreis, nicht bekommt.

Türeci: Der große Preis, den wir bekommen haben, ist, dass Hunderte Millionen von Menschen mit etwas, woran wir lange gearbeitet haben, geimpft worden sind und dass wir von vielen Leuten E-Mails, Danksagungen und Fotos mit der Oma, die man jetzt endlich besuchen darf, bekommen. Das sind tagtäglich Massen von Nobelpreisen, die uns sehr viel wert sind.

Weltweit wollen Regierungen die Menschen dazu bewegen, sich mehr impfen lassen. Könnten sie noch mehr tun?

Türeci: Alle Regierungen bemühen sich ja und haben smarte und interessante Wege entwickelt, um die Impfbereitschaft zu fördern. Dabei sollten sie sich auch etwas voneinander abgucken. Die Kölner Oberbürgermeisterin etwa hat uns erzählt, dass sie manchmal selbst mitfährt und dabei ist, wenn in Stadtteilen Impfangebote gemacht werden. Das ist zum Beispiel etwas, das andere Entscheidungsträger nachahmen könnten.

 

Dr. Özlem Türeci und Dr. Ugur Sahin sind die Gründer der Mainzer Firma BioNTech. Sie wurden am 13.10.2021 in Thessaloniki von der griechischen Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou für die Entwicklung des ersten Impfstoffs gegen das Coronavirus mit dem diesjährigen Kaiserin-Theophanu-Preis ausgezeichnet.

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