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Politik

Wirrwarr um Beherbergungsverbot

12. Oktober 2020

Bürger aus deutschen Städten, in denen es besonders viele neue Corona-Ansteckungen gibt, dürfen nicht mehr überall im Inland in Hotels übernachten. Die Bestimmungen sind verwirrend und uneinheitlich.

Sonnenaufgang Warnemünde
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Die verwirrenden Beschränkungen in der Corona-Krise in Deutschland machen nicht einmal vor dem höchsten Gericht des Landes halt. An diesem Dienstag findet vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verhandlung über den umstrittenen CETA-Handelsvertrag mit Kanada statt. Die Linkspartei im Bundestag hat gegen den Vertrag geklagt, die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali möchte an der Verhandlung teilnehmen. Kann sie auch, aber sie darf nicht, wie sonst, am Abend zuvor in Karlsruhe übernachten.

Denn die Stadt, in der das Bundesverfassungsgericht seinen Sitz hat, liegt im Bundesland Baden-Württemberg. Und dort gilt seit kurzem ein Beherbergungsverbot für Menschen, die aus deutschen Regionen mit hohen Corona-Infektionen stammen. Die Hauptstadt Berlin zählt zu diesen Hoch-Infektionsgebieten. Also muss die Politikerin wie viele ihrer Kollegen aus anderen Parteien auch ganz früh am Morgen den Zug aus Berlin nehmen, dort selbstverständlich eine Maske tragen und kann dann in Karlsruhe im Gerichtssaal Platz nehmen. Der Gerichtstermin beginnt extra später, damit die Politiker aus Berlin das zeitlich schaffen. Spät am Abend muss die Linken-Vertreterin aber wieder raus aus Baden-Württemberg. Immerhin: Sollte sie zu müde sein, um die rund sechsstündige Zugfahrt zurück nach Berlin durchzustehen, kann sie etwa auf halber Strecke in Thüringen übernachten. Dort gibt es kein Beherbergungsverbot.

Selbst innerhalb Deutschlands ist Urlaub oft nicht ohne weiteres möglichBild: Stefan Puchner/dpa/picture-alliance

Politik will neuen Lockdown verhindern

Deutschland und die Corona-Krise Mitte Oktober: Die Infektionszahlen steigen wieder. Die Politik will aber diesmal einen harten Lockdown wie im Frühjahr vermeiden. Der Wirtschaft soll ein erneuter Stillstand erspart bleiben, Schulen und Kitas bleiben geöffnet.Die erhöhte Zahl von Ansteckungen führt aber jetzt zu einer Vielzahl von Bestimmungen, oft unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern, deren Sinnhaftigkeit von vielen Experten und Bürgern mehr und mehr angezweifelt werden.

Am Montag etwa sagte der Präsident des renommierten Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, in einer Mitteilung, die steigende Zahl der bestätigten Corona-Fälle in Deutschland sei nach Berechnungen seiner Experten nicht nur auf mehr Ansteckungen zurückzuführen, sondern auch auf zusätzliche Tests. "Die Zahlen vom Oktober können nicht direkt mit denen vom April verglichen werden", so Fuest. Entscheidungsträger in der Politik und Akteure des Wirtschaftslebens sollten deshalb weder mit zu rigiden Beschränkungen noch mit zu laxen Maßnahmen auf die Lage reagieren: "Wir brauchen Beschränkungen, die wirtschaftliche Aktivität ermöglichen, statt sie zu verhindern." Einem generellen Lockdown erteilte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine Absage. Er sagte in einer Sendung der "Bild"-Zeitung: "Wir haben gelernt aus den letzten sechs Monaten. Wir wissen heute, was gefährlich ist und was nicht." Dagegen hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gerade vor der Gefahr eines zweiten Lockdowns gewarnt.

Viele Teststationen sind zu Beginn der Ferien überlaufenBild: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa/picture-alliance

Alles dreht sich um die "Sieben-Tage-Inzidenz"

Die neue Zauberformel im Kampf gegen das Virus ist jetzt die so genannte "Sieben-Tage-Inzidenz". Sie besagt, wie viele von einhunderttausend Einwohnern einer Stadt oder einer Region sich innerhalb von sieben Tagen angesteckt haben. Liegt diese Zahl über 50, gilt diese Stadt oder diese Region als Risikogebiet. Drei von vier Millionenstädten in Deutschland zählen mittlerweile dazu, Köln, München und die Hauptstadt Berlin, nur Hamburg nicht. Und immer mehr große Städte vor allem in Nordrhein-Westfalen kommen ständig dazu. In eher dünnbesiedelten Ländern wie Schleswig-Holstein fürchtet man deshalb, dass innerdeutsche Urlauber aus solchen Städten das Virus mitbringen könnten. Manuela Schütze von der "Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein" sagt dennoch im Gespräch mit der DW: "Es gibt kein Einreiseverbot. Die Liste mit den Hoch-Inzidenz-Gebieten wird ständig aktualisiert. Wer aus solchen Gebieten kommt, muss einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist." Ausgenommen von dieser Pflicht sind Menschen, die Familien besuchen, und Geschäftsreisende.

Masken sind, wie hier im Risikogebiet Köln, sogar in der Fußgängerzone vorgeschriebenBild: Marius Becker/dpa/picture-alliance

Unsicherheit zu Beginn der Herbstferien

Solche Tests fordern seit vergangener Woche viele Bundesländer, deshalb bilden sich an den Teststationen etwa in Berlin lange Schlangen. Viele Deutsche haben im Sommer auf einen Urlaub im warmen Süden verzichtet und freuen sich jetzt auf ein paar freie Tage im Herbst an Reisezielen im Inland. In mehreren Ländern beginnen gerade die Herbstferien. Aber die Organisation einer solchen Reise wird durch die neuen Bestimmungen schwierig.

Auch deshalb halten viele Politiker die Beherbergungsverbote für falsch. So sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Sonntag im ZDF, solche Verbote zum Beispiel zwischen Berlin und Brandenburg hätten angesichts von Hunderttausenden Pendlern keinen Sinn. Und der Regierungschef im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), erklärte, sein Land habe eine entsprechende Regelung zwar verankert, aber nicht in Kraft gesetzt. Für die FDP sagte deren Vorsitzender Christian Lindner: "Die pauschale Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb Deutschlands empfinde ich als unverhältnismäßig."

"Brauchen mehr Wissen über die Wirkung von Reisen!"

Tatsächlich waren im Sommer Reiserückkehrer aus dem Ausland, vor allem aus dem warmen Süden Europas, ein Grund für steigende Infektionszahlen in Deutschland. Ob aber das Reisen innerhalb Deutschlands zum Anstieg der Ansteckungen geführt hat, ist umstritten. So sagte etwa die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Franziska Brantner, am Montag der DW. "Wir brauchen verständliche, nachvollziehbare Regeln. Auch mit Blick auf den europäischen Austausch braucht es auch mehr Wissen über die wirklichen Auswirkungen von Reisen, vor allem von welcher Art von Reise, auf das Infektionsgeschehen."

Tatsächlich sehen viele Experten den Grund für die nach oben schnellenden Zahlen eher in den vielen privaten und öffentlichen Feiern und Partys ohne Mundschutz und Abstand. Auch deshalb gilt in Berlin seit kurzem eine Sperrstunde ab 23 Uhr. Mehrere Bundesländer wollen das umstrittene Beherbergungsverbot Mitte der Woche bei einem erneuten Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin nochmals diskutieren.

Um 23 Uhr ist Schluss! Sperrstunde in BerlinBild: Annette Riedl/dpa/picture-alliance

Söder für hohe und einheitliche Strafen

Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU), der schon lange als Vertreter einer harten Linie im Kampf gegen das Virus gilt, hat jetzt dafür plädiert, bei Verstößen gegen die Maskenpflicht ein Bußgeld von 250 Euro im ganzen Land zu verhängen. Eine Regelung, die es in Bayern schon gibt. Generell für mehr Einheitlichkeit ist auch der im ganzen Land bekannte Virologe Christian Drosten. Er sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland:" "Das Virus wird sich immer gleichmäßiger verteilen. Wir werden mehr und mehr in eine Situation kommen, wo man besser pauschal reguliert". Davon ist man in Deutschland aber im Moment weit entfernt.

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