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Coronakrise: Wie Kultur jetzt im Netz stattfindet

18. März 2020

Drinbleiben statt rausgehen: Die Pandemie macht erfinderisch. Das öffentliche Kulturleben steht still, doch Künstler, Musiker und Literaten gehen online. Genauso wie Museen, Musikveranstalter und Kunstmessen.

Blick in den leeren Konzertsaal der Bayerischen Staatsoper
Blick in den leeren Konzertsaal der Bayerischen StaatsoperBild: picture-alliance/RelaXimages

Eigentlich wollten sie aus der Not eine Tugend machen, sagt Claudia Schaffer. Beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband ist sie zuständig für die Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises. Die diesjährige Gala mit 500 Gästen und viel Pomp sollte wegen Infektionsgefahr abgesagt und stattdessen ins Internet verlegt werden, als "Livestream-Gala". Doch es kam anders: Noch während die Vorbereitungen liefen, verschärfte die Bundesregierung die Hygienebestimmungen. Nun war selbst ein Online-Event nicht mehr möglich. Das Nachsehen hatten all die blinden und sehbehinderten Menschen. Für sie sind Hörfilme, ausgestattet mit einer speziellen Audiodeskription, die gesprochene Beschreibungen zwischen die Schauspielerdialoge streut, der einzige Zugang zum Medium Film. "Es war ein Rennen gegen die Zeit", bedauert Schaffer, "und wir haben ihn verloren".

Will mit der Kunstwelt in Kontakt bleiben: Die Berliner Galeristin Tanja WagnerBild: Daniel Faró/Galerie Tanja Wagnerd

Sie ist nicht die einzige. Vorstellungen wurden abgesagt, Theater, Konzerthäuser und Kinos stehen leer. Die Menschen bleiben zuhause. Da liegt es nah, Online-Zugänge zur Kultur zu schaffen. Wohl deshalb ist die Idee in kürzester Zeit zum Megatrend avanciert. Die Motivationen sind allerdings so verschieden wie die Art der Projekte. "Als Corona-Krise los ging, dachten alle, dass jetzt die Galerien schließen werden", sagt die Berliner Galeristin Tanja Wagner, "da war mir schnell klar, dass ich was machen muss, um mit der Kunstwelt in Kontakt zu bleiben". So sei die Idee für ihr Online-Programm entstanden. Ab sofort stellt sie jede Woche wechselnd die Videoarbeit einer Künstlerin in einer virtuellen Videothek vor. Parallel erläutert sie das Werk auf Social-Media-Kanälen wie Instagram. "Wie lange diese Krise dauern wird, weiß ich natürlich nicht", sagt die Galeristen. "aber dass mir Kunst und Kultur wichtig bleiben, schon". Die Menschen bräuchten eben mehr als nur Nachrichten und "ständig Apokalypse".

Kunst im virtuellen Raum

Weltweit hatte die coronabedingte Absage der für Mitte März geplanten Kunstmesse Art Basel Hong Kong für Aufsehen gesorgt. Kritik gab es am langen Zögern der Verantwortlichen, die sich erst spät zu diesem Schritt entschieden. Immerhin gilt der Kunstmarkt in Asien als besonders umsatzstark und deshalb wichtig für die Branche. Umso schneller hat das Management jetzt eine virtuelle Alternative aus dem Hut gezaubert: "Online Viewing Rooms"heißen die 235 digitalen Kojen, die man nun per Mausklick betreten kann, um gut 2000 Kunstwerke zu betrachten, frei von jeder Ansteckungsgefahr. Dabei ist der Global Player Larry Gagosian, der Künstler wie Georg Baselitz online anbietet. 

Allerdings steckt das Angebot der Baseler Messeleitung nach Ansicht von Urs Meile noch in den Kinderschuhen. "Die Idee ist gut, aber ausbaufähig", sagt der Schweizer Kunsthändler mit Galerien in Luzern und Peking. "Wenn keine Messen und auch keine Ausstellungen mehr stattfinden, möchte ich dennoch Kontakt zu meinen Kunden halten und ihnen gute Informationen liefern." Deshalb hat Meile die Art-Basel-Idee technisch weitergeführt. Auf seiner Website bietet er einen eigenen "Online Viewing Room", der ein realistischeres Raumgefühl und zusätzliche Infos ermöglicht.

Der Galerist Urs MeileBild: Galerie Urs Meile

Klavierklänge gegen die Einsamkeit

Nicht nur dort, auch auf Googles Online-Ausstellung "Once Upon A Try" bleibt man in diesen Tagen unter sich. Immerhin soll ein Besuch der Website, die in Zusammenarbeit mit 120 Museen weltweit entstand, einen realen Museumsbesuch ersetzen. So rücken Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten näher, und auch Prominente: Unter anderem kann man sich von Tilda Swinton höchstselbst die Geschichte des Universums erzählen lassen. Oder: Wer wusste schon, dass die Welt der US-Krankenschwester Clara Maas die Erforschung des Gelbfieber-Erregers verdankt? Sie ließ sich anstecken, um andere zu retten.

Gegen die Einsamkeit streamt seit Tagen der Pianist Igor Levit an. Seine kostenlosen Hauskonzerte kommen mal aus einem Münchner Bühnenraum, mal aus seinem Wohnzimmer und werden verbreitet über den Kurznachrichtendienst Twitter (@igorpianist folgen, wer keinen Twitter-Account hat, kann es hier anhören, sogar im Nachhinein:  

Mal spielt der Künstler in Socken, mal in Pulli und Jeans und spendet so Trost in der häuslichen Isolation. 

Konzerte aus dem Wohnzimmer ins Wohnzimmer - der Pianist Igor LevitBild: Peter Adamik

Trost haben die Veranstalter renommierter Filmfestivals nötig. Wegen Infektionsgefahr mussten sämtliche Kinos in Deutschland schließen. Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund-Köln wurde abgesagt. Auch die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, deren 66. Ausgabe eigentlich im Mai anstand, können nicht stattfinden. Eine Verschiebung sei nicht möglich, heißt es. So kündigt Festivalleiter Lars Henrik Gass eine Online-Variante an. "Wir sind der Meinung", so Gass im Kölner Stadt-Anzeiger, "dass die Vermittlung von Kultur in einer gesellschaftlichen Krise aufrechterhalten werden muss".

"Wenn niemand mehr zur Kultur rausgehen kann", sagt Adina Burchartz von dringeblieben.de, "dann bringen wir die Kultur eben in dein Wohnzimmer". Vor zwei Tagen erst ist die Gruppe junger Kölner, die eigentlich das digitale Veranstaltungsmagazin "rausgegangen.de" und eine dazugehörige App betreibt, mit einem Streamingdienst online gegangen. "Da jetzt alles dicht ist", sagt Burchartz, "und kein Konzert, keine Ausstellung, nichts mehr stattfindet, haben wir unser Konzept ins Gegenteil verkehrt". Heißt: Ab sofort können sich Künstler und andere Kreative um einen Auftritt bei "dringeblieben.de" bewerben. Ihr Konzert, ihr Theaterstück oder Party, wird dann live über das Internet gestreamt. So gab es bereits erste Konzerte, eine Talk-Runde, sogar eine morgendliche Kinder-Disko für Schüler. Zuschauer können per Chat mit den Künstlern sprechen oder ihnen Spenden schicken. Am Wochenende hat ein professioneller Barkeeper Premiere, wenn er live einen Online-Cocktail-Workshop abhält.

Kostenloses Musikstreaming

Blick in den leeren Konzertsaal der Bayerischen StaatsoperBild: picture-alliance/RelaXimages

Die Berliner Staatsoper führt wegen der Corona-Krise einen Online-Spielplan ein. Auf der Internetseite des Opernhauses finden sich ab sofort frei zugängliche Aufzeichnungen aus dem Repertoire des Hauses, das seinen Probenbetrieb einstweilen komplett eingestellt hat: "Gesundheit", so die Staatsoper in einer Mitteilung, "geht immer vor". Wie viele andere Häuser ist auch die Bayerische Staatsoper coronabedingt mindestens bis zum 19. April geschlossen. Für Intendant Nikolaus Bachler war das eine schwierige Entscheidung: "Ein Theater, das nicht spielen darf, existiert nicht", sagte Bachler der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb soll es weiter Vorstellungen geben, zwar vor vor leeren Rängen, aber übertragen ins Internet. So soll auch am 11. April die Uraufführung "7 Deaths of Maria Callas" der Performance-Künstlerin Marina Abramovic gestreamt werden.

Derweil haben die Berliner Philharmoniker eine "Digital Concert Hall" eröffnet. Mehr als 600 Konzerte aus zehn Orchesterjahren sind noch bis zum 31. März kostenlos auf der Internetseite abrufbar. "Wir vermissen unser Publikum jetzt schon sehr und wünschen uns, dass wir einander auf diese Weise zumindest virtuell weiter begegnen können", sagt Olaf Maninger, Medienvorstand des Orchesters. Im Angebot sind auch 15 Konzerte mit dem neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko.

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