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Singen Vögel wegen der Corona-Pandemie leiser?

Kathleen Schuster
17. April 2020

Die Ausgangssperre durch COVID-19 könnte ein noch nie da gewesenes Natur-Experiment in Sachen Lärmverschmutzung werden. Einige der stimmgewaltigsten Tiere weltweit profitieren schon jetzt von der leiseren Umwelt.

Nahaufnahme einer Taube
Bild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Weniger Verkehrsaufkommen wegen der Ausgangssperren durch das Coronavirus bedeuten auch weniger Abgasverschmutzung. Doch der Rückgang im Transportwesen hat noch einen anderen großen Umweltverschmutzer in die Schranken gewiesen: den Lärm.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind über 100 Millionen Menschen in Europa von Lärmverschmutzung betroffen. Allein in Westeuropa führt der Straßenverkehr zu zahlreichen vorzeitigen Todesfällen, die rund "1,6 Millionen gesunden Lebensjahren" entsprechen.

Neben den Auswirkungen von Lärm auf die menschliche Gesundheit ist Lärm außerdem eine riesige Umweltbelastung für andere Bewohner dieses Planeten – die Tiere.

Aber inwieweit haben Tiere in den Ländern, in denen es Ausgangssperren gibt, bereits von dem Sinken des Lärmpegels profitiert? Wie sich herausstellt, ist diese Frage schwer zu beantworten. 

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Vögel profitieren am meisten  

Vögel sind bei Weitem die sicht- und hörbarsten Tiere in Städten und profitieren mit am meisten von den jetzt ruhigeren Straßen und Parks.

Die Signale, die Vögel sich gegenseitig durch ihre Lieder senden, sind überlebenswichtig. Ohne die Fähigkeit zu singen, zu hören und gehört zu werden, würden Vögel es sehr schwer haben, den richtigen Partner zu finden oder ihr Terrain vor Feinden zu verteidigen.

Es gibt Berichte über vermehrte Vogelsichtungen während der Ausgangsperren. Ornithologen sagen jedoch, dass das an der erhöhten Wahrnehmung der Umwelt durch die Menschen liegt, die jetzt zu Hause sindBild: Imago/blickwinkel
Menschliche Aktivitäten beeinflussen das Verhalten von Vögeln. Sie animieren sie sogar dazu, zu weniger lauten Tageszeiten zu kommunizierenBild: picture alliance/chromorange/G. Fischer

Das ist für Vögel schwerer geworden, weil im Laufe des letzten Jahrhunderts menschengemachter Lärm – auch anthropogener Lärm genannt – rasant zugenommen hat.

Genau wie Menschen, die lauter sprechen müssen, wenn sie sich in einer lauten Umgebung befinden, müssen auch Vögel lauter singen, um richtig kommunizieren zu können in dieser lauten Welt. Das erklärt der Ornithologe Henrik Brumm, Leiter der Forschungsgruppe für Kommunikation und Sozialverhalten von Vögeln am Max Planck Institut für Ornithologie bei München.

"Das passiert sehr schnell," sagt Brumm der DW. " Wir haben herausgefunden, dass es ungefähr 300 Millisekunden dauert, also weniger als eine Sekunde, bis Vögel sich an einen gestiegenen Lärmpegel neu angepasst haben. Wenn also die Umgebung lauter wird, singen auch die Vögel lauter."

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Werden die Vögel leiser? Vielleicht

Es ist bereits bekannt, dass Vögel in den Morgenstunden am Wochenende leiser singen, sagt Brumm. Der Grund: es gibt weniger Verkehr, mit dem sie konkurrieren müssen.

Durch die Ausgangssperren in Europa hat sich in Deutschland die Passagierluftfahrt um 90% drastisch reduziert. Außerdem ist der Autoverkehr um mehr als 50% gesunken und es fahren 25% weniger Züge als gewöhnlich. 

Eine aktuelle Studie des Max Planck Instituts deutet außerdem darauf hin, dass chronischer Verkehrslärm einen negativen Einfluss auf die Embryo-Sterblichkeit und das Wachstum von Zebrafinken hat. Da die aktuellen Ausgangssperren in die Paarungszeit der Vögel fallen, könnte das im Gegenzug dazu führen, dass nicht nur mehr, sondern auch gesündere Junge schlüpfen. Allerdings nur dann, wenn ihre Eltern sich einen Nistplatz suchen, der auch nach dem Ende der Ausgangssperren ruhig und geschützt vor Menschen ist.

Obwohl das ohne Echtzeit-Daten schwierig nachzuweisen ist, sei es naheliegend, dass Vögel durch die aktuelle Ruhe leiser singen können als gewöhnlich – was ein großer Vorteil sei, so Brumm.

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Ob an Land oder im Meer - Lärm schadet Tieren  

Vögel sind aber nicht die einzigen Tiere, die von weniger Lärm profitieren. Laut einer aktuellen Studie im Wissenschaftsmagazin Biology Letters beeinflusst Lärmverschmutzung die unterschiedlichsten Arten – anfangen bei Fröschen, Garnelen, Fischen, Säugetieren oder Muscheln bis hin zu Schlangen.

Ein weiteres Gebiet, dass immer mehr Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit Lärmverschmutzung bekommt, ist der Ozean. Wie der Bioakustik-Experte Christopher Clark in einem Interview mit dem Yale Environment Magazin beschreibt, füllt etwa durch Öl- und Gasförderung verursachter Lärm komplette Ozeanbecken mit "einem gewaltigen Sturm aus Geräuschen."

Die Meeresbiologie wie auch die Ornithologie befinden in der Forschung zu Lärmverschmutzung noch in einem frühen Stadium. Eine wegweisende Studie, die in den Tagen nach dem 11.September 2001 durchgeführt wurde, deutet jedoch darauf hin, dass weniger Schiffsverkehr Wale offenbar ruhiger werden lässt.

Durch eine Untersuchung der Fäkalien von Glattwalen – eine Gattung der Bartenwale, die bis zu 15 Meter lang und bis zu 70 Tonnen schwer werden können – fanden die Wissenschaftler heraus, dass weniger Schiffe in den Gewässern an den Küsten der USA und Kanadas mit weniger Stresshormonen bei den Walen einhergingen.

Der Lärmpegel des Schiffsverkehrs, dessen Brummen bei 20-200 Hz trotz der niedrigen Frequenz das Leben im Meer stört, sank um 6 Dezibel, mit einem erheblichen Rückgang der Frequenz unter 150Hz.

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Eine historisch einzigartige Zeit für Wissenschaftler

Ebenso wie die Ornithologen fanden auch Meeresbiologen einen Zusammenhang zwischen Lärm und Störungen im Verhalten zum Beispiel bei der Futtersuche oder bei der Paarung.

Genau wie Vögel passen sich auch die Wale an. So singen sie lauter, um trotz Lärmstörungen gehört zu werden, egal ob bei hoch- oder niederfrequenten Tönen.

"Es ist eine wirkliche große Beeinflussung, die solche Aktivitäten im Ozean verursachen," erklärt Nathan Merchant, Experte für Geräusch und Bioakustik am britischen Zentrum für Umwelt, Fischerei und Aquakultur-Wissenschaft (CEFAS).

Hinzu kommt, dass verglichen mit Geräuschen am Land im Meer noch viel schwieriger ist, den Quellen der Lärmverschmutzung zu entkommen - sei es dem Lärm der Schifffahrt, der Windparks, oder der Abfolge von heftigen Druckwellen eines seismischen Druckluft-Tests, mit dem Öl- und Gasvorkommen in den Tiefen des Ozeans aufgespürt werden.

"Es hat viel damit zu tun, wie sich Geräusche unter Wasser ausbreiten. Töne können sich dort viel weiter und schneller verbreiten als durch die Luft," so Merchant im DW-Interview.

Messinstrumente vor der Küste Nordamerikas können zum Beispiel einen seismischen Luftgewehr-Test unter Wasser anzeigen, sogar in einer Entfernung bis zur brasilianischen Küste.

Um die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen, wurden viele Kreuzfahrten eingestellt, der Verkehr von Ölfrachtern hat sich wegen des gesunkenen Ölpreises verringert und auf den Bohranlagen wird mit einer Minimalbesetzung gearbeitet. Auf Meeresbiologen wartet ein Schatz an Daten, den sie allerdings erst einsehen können, wenn sie selber wieder in See stechen können.

"Wir haben derzeit Unterwasser-Geräusch-Rekorder im Meer, aber die haben keine Verbindungkabel zum Land. Also werden wir erst in ein paar Monaten an die Daten kommen, sobald wir wieder mit dem Schiff rausfahren können," sagt Merchant.

Die interessantere Frage könnte dann allerdings sein, wie die Meeresbewohner reagieren, wenn die menschliche Kakophonie wieder einsetzt, sobald die unvorhergesehene Ruhezeit endet.

Das Wattenmeer - Lebensraum zwischen Land und Wasser

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