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PolitikNahost

Corona in Nahost: Viel Skepsis gegen Impfungen

Cathrin Schaer
21. April 2021

In Nahost und Nordafrika wird teils bereits im großen Stil gegen das Coronavirus geimpft, ganz vorne sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Trotzdem bleiben viele Menschen in der Region skeptisch. Woran liegt das?

Zwei libanesische Frauen mit Maske
Libanesische Frauen mit Maske in der Hauptstadt BeirutBild: Joseph Eid/AFP/Getty Images

In der vergangenen Woche hätte Mahmoud seinen Termin für die COVID-19-Impfung gehabt - eigentlich. Doch der 34 Jahre alte Beamte ließ den Termin im Krankenhaus in Bagdad ungenutzt verstreichen. Dabei war es gar kein Problem gewesen, einen Termin für die AstraZeneca-Impfung zu bekommen.

"Die Europäer sagen doch, dass der Impfstoff nicht sicher ist", meint Mahmoud, eher pauschalisierend. Seinen Nachnamen möchte er nicht veröffentlicht sehen, da er für ein irakisches Ministerium arbeitet und in dieser Eigenschaft offiziell nicht ohne explizite Erlaubnis mit Medienvertretern sprechen darf.

Zudem hatte es noch weitere - unfundierte - Gründe gegeben. "Die Impfung ist hier so schnell angekommen", sagt Mahmoud der DW im zweifelnden Tonfall. "Das ist merkwürdig. Im Irak bekommt man solche Dinge normalerweise gar nicht, ohne dafür zu bezahlen - oder ohne jemanden dafür zu bezahlen! Aber sie [die Impfung] ist kostenlos und für jeden erhältlich. Das finde ich durchaus verdächtig", sagt er.

Zwischen Skepsis und Ablehnung

Mahmoud ist ein typisches Beispiel für einen Impfskeptiker. Obwohl er durchaus gebildet und belesen ist und auch drei Personen kennt, die an COVID-19 gestorben sind, traut er den Impfungen und Impfstoffen nicht recht über den Weg. Wobei betont werden muss: Impfskeptiker sind nicht identisch mit Impfgegnern oder -verweigerern, ihre Ablehnung ist nicht zwingend kategorisch und auch nicht immer dauerhaft.

Doch erst kürzlich haben Datenwissenschaftler beschrieben, dass Konzepte, die auf den Aufbau einer so genannten "Herdenimmunität" gegen COVID-19 setzen, auch durch Impfskeptiker gefährdet sind, da diese oftmals eine schnelle Umsetzung von Immunisierungs-Kampagnen verzögern.

Impfung in einem Krankenhaus in BagdadBild: Ahmad al-Ruba Ye/AFP/Getty Images

Gleichzeitig zeigen mehrere Studien und Umfragen, dass Mahmoud bei Weitem nicht der einzige Impfskeptiker in der Region ist. Der Nahe Osten zähle weltweit zu den Regionen mit der niedrigsten Impfakzeptanz, so das Ergebnis einer Studie aus dem vergangenen Januar, die in einem medizinischen Fachblatt auf Englisch erschienen ist. In dieser Studie wurde die weltweite Impfbereitschaft untersucht. Beim Nahen Osten zeigten sich die Wissenschaftler insbesondere alarmiert von der niedrigen Impfakzeptanz in Kuweit (23 Prozent) und Jordanien (28 Prozent).

Prinzipiell ja, aber später 

In vielen anderen arabischen Ländern sieht es ähnlich aus. Im Irak ergab eine Umfrage durch lokale Wissenschaftler im vergangenen Januar, dass sich zwar jeder einzelne der 1069 befragten Einwohner irgendwann einmal impfen lassen wolle. Doch gleichzeitig stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der Befragten - rund Zweidrittel - sich genau so wie Mahmoud mit der Impfung lieber Zeit lassen will.

Bei einer Umfrage auf Englisch unter ägyptischen Medizinstudenten aus dem gleichen Monat ergab sich ein ähnliches Bild: Praktisch alle Studenten gaben an, sie würden sich irgendwann impfen lassen - aber 46 Prozent wollten damit noch warten. Eine Telefonumfrage unter Tunesiern schloss mit dem Ergebnis, dass sich nur rund ein Drittel impfen lassen möchte.

Im Libanon halten Beamte die weit verbreitete Impfskepsis für die nur schleppende Registrierung auf dem offiziellen Regierungsportal für Impfungen  verantwortlich. Mitte April hatten sich dort erst 17 Prozent der Libanesen registriert.

Mangelndes Vertrauen

Nicht alle diese Umfragen sind repräsentativ oder genügen wissenschaftlichen Standards - sie lassen jedoch erkennen, auf welchen Gründen die Impfskepsis in der Region offenkundig beruht. Nicht selten sind es demnach die Angst vor potentiellen Nebenwirkungen, Misstrauen gegenüber den Regierenden, die die Impfungen anbieten oder die Impfkampagnen vorantreiben - sowie Misstrauen angesichts der Tatsache, dass die Corona-Impfstoffe so schnell entwickelt wurden.

Eine Intensivstation in BeirutBild: Diego Ibarra Sanchez/Getty Images

In Ländern wie Irak, Tunesien und dem Libanon hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die nationalen Regierungen und lokalen Gesundheitssysteme. Dies wird durch Studien des unabhängigen wissenschaftlichen Netzwerks Arab Barometer bestätigt, das fortlaufend die öffentliche Meinung in der Region untersucht. Bereits früher haben Umfragen ergeben, dass viele Bürger wenig überzeugt von der Kompetenz der eigenen Regierung sind und glauben, dass entweder Korruption oder Inkompetenz oder beides zugleich vorherrschen. 

Doch es gibt auch arabische Länder, die der Pandemie sichtbar erfolgreich entgegentreten und auch erfolgreich Impfkampagnen fahren. Teils dürfte dies, wie in Marokko, an frühzeitig verhängten harten Lockdowns, teils aber auch an der Zusammenarbeit mit Impfstoff-Produzenten liegen, wie etwa der langfristigen Kooperation zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und der staatlichen chinesischen Firma Sinopharm. 

Möglich erscheint, dass diese Maßnahmen auch mit einer höheren Impfbereitschaft in diesen Regionen zusammenhängen oder eine solche begünstigen. Laut einer Online-Umfrage von "YouGov" wollten sich beispielsweise im März 82 Prozent der befragten Einwohner in den Vereinigten Arabischen Emiraten noch impfen lassen. Eine Telefonumfrage unter 1238 Marokkanern ergab, dass 88 Prozent angeblich mit dem Krisenmanagement ihrer Regierung zufrieden sind, 91 Prozent gaben an, sie  wollten sich entsprechend auch impfen lassen.

Verschwörungstheorien

Für die insgesamt dennoch hohe Impfskepsis in der Region dürfte es aber noch einen weiteren Grund geben: das hohe Maß an Desinformation.

In einigen Ländern, wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien, sind die Medien stärker zensiert - genauso wie die offiziellen Berichte über Impfungen, sagt der libanesische Experte für Open-Source-Verifizierungen, Mahmoud Ghazayel, der DW. So hatten Umfragen im März ergeben, dass angeblich 62 Prozent der Bewohner in Saudi-Arabien einer Impfung positiv gegenüberstehen. Wie sehr man solchen Zahlen trauen kann, ist zwar ungewiss, doch scheint das Misstrauen anderswo deutlich größer zu sein. In Ländern wie dem Irak, in dem die meisten Medien durch teils gegeneinander opponierende politische, ethnische oder religiöse Gruppen finanziert sind, traue die Bevölkerung den Medien oft noch weniger über den Weg, meint Ghazayel.

"Die Menschen holen sich ihre Informationen dort nicht nur über alternative Medien und Nachrichtenportale, sondern auch über Gruppen auf WhatsApp, Telegram oder Instagram. Über diese drei kostenlosen Applikationen kann aber jeder ungehindert alles Mögliche veröffentlichen, es gibt keine Wahrheitsprüfung oder Begrenzung."  

Auf solchen Kanälen lesen arabische Nutzer dann mitunter Fake News, in denen behauptet wird, COVID-19-Vakzine enthielten Spuren von Alkohol oder Schweinefleisch - beides ist gläubigen Muslimen verboten - oder dass Impfstoffe die Genetik von muslimischen Babys veränderten. Auch fragwürdige Heilmittel werden über soziale Medien beworben und finden teils auch Zuspruch. So haben erst im März 46 Prozent der Befragten bei einer Umfrage des tunesischen Netzwerks "Partnership for Evidence-Based Response to COVID-19 angegeben, sie glaubten, die Krankheit könne auch mit Heilkräutern besiegt werden.

Eine Frage der Haltung

Wenn soziale Medien die Hauptinformationsquelle für COVID-19 Impfungen sind, dann sei häufig auch Impfskepsis zu registrieren, urteilten jordanische Wissenschaftler in einer Studie aus dem vergangenen Januar, in der sie sich mit Impf-Verschwörungstheorien in Jordanien und Kuweit beschäftigten.

Allerdings gibt es auch positive Trends. So fanden  Meinungsforscher bei YouGov heraus, dass die Haltung zu Vakzinen sich in vielen Ländern der Region langsam zum Positiven verändere. Außerdem wird in einigen arabischen Ländern inzwischen so stark und regelmäßig geimpft, dass lokale Behörden sich dabei zwangsläufig auch aktiv mit dem Phänomen Impfskepsis auseinander setzen müssen.

Eine allgemeine und umfassende Impf-Pflicht ist bisher zwar nicht erlassen worden, doch manche Regierungen der Region machen durchaus bestimmte Privilegien und auch die Tätigkeit in bestimmten Berufen von einer Impfung abhängig. 

Erst im vergangenen Monat hat der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi neue Gesundheitsverordnungen erlassen: Mitarbeiter in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen, Verkäufer und alle im Gastgewerbe müssen demnach ein verpflichtendes Impfzertifikat oder Immunität nachweisen.

Auch in Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es ähnliche Verordnungen, sowie einen Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen.

"Der beste Weg, mit der hohen Impfskepsis umzugehen, ist es, deutliche, ehrliche, transparente Botschaften auszusenden", sagt der syrische Gesundheitsexperte Hazem Rihawi von der "American Relief Coalition for Syria". Rihawi denkt dabei an Aufklärung und Kommunikation "auf allen Ebenen - und ganz besonders durch Schlüsselfiguren, religiöse Anführer und Frauen." 

Aus dem Englischen übertragen von Jennifer Holleis. 

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