Coronavirus: Leben ohne Sozialkontakt?
13. März 2020Eine Mail nach der anderen trudelt ein. Der Arbeitgeber: sagt für die nächsten Wochen alle Konferenzen ab. Der Konzertveranstalter: gibt Bescheid, dass der Lieblingskünstler am Wochenende nicht auftreten wird. Die Großeltern: werden den Besuch bei den Enkeln verschieben. Alles aus Angst, zur Verbreitung des Coronavirus beizutragen.
So oder so ähnlich dürfte momentan das E-Mail-Postfach oder der Handychat vieler Deutscher aussehen. Das öffentliche Leben in Deutschland bewegt sich langsam auf den Stillstand zu. Die Bundesliga kickt erst vor leeren Rängen - und nun gar nicht mehr. Auf Spielplätzen bleibt die Schaukel unbesetzt, in Pendlerzügen und Kantinen hat man plötzlich ungewohnte Beinfreiheit. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis neben Schulen und Kindergärten auch Restaurants und Kinos geschlossen bleiben wie jetzt schon in Italien.
Soziale Kontakte: unerwünscht
"Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass wir in der jetzigen Phase der Pandemie praktisch alle sozialen Kontakte unterbinden müssen, wenn wir noch eine Chance haben wollen, die Zahl der Infizierten möglichst niedrig zu halten", sagt Patrick Larscheid. Der Amtsarzt von Berlin-Reinickendorf hat vom Berliner Senat entschiedenere Schritte gegen die Ausbreitung des Corona-Virus gefordert. Das öffentliche Leben müsse zum Schutz der Bevölkerung weitestgehend eingeschränkt werden.
Die Entscheidung, Veranstaltungen mit über 1000 Besuchern abzusagen, sei zu wenig. Alles müsse geschlossen werden, wo Menschen zusammen kommen. "Sonst werden wir es nicht mehr kontrollieren können", so Larscheid. Sozialer Kontakt ist schließlich nicht nur Grundlage menschlichen Glücks – Nähe kann auch krank machen, wenn Viren von einer Person zur anderen wandern.
Italien reagiert, aber es reagiert zu spät
Drohen also bald italienische Verhältnisse in Deutschland? Als Maßnahme gegen die Ausbreitung des Virus sind in Italien alle Geschäfte bis auf Apotheken und Supermärkte vorerst geschlossen, Bars, Restaurants und sogar Friseurläden haben dicht gemacht.
"Erst vor wenigen Tagen habe ich Euch gebeten, Eure Gewohnheiten zu ändern und zu Hause zu bleiben", sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte in einer Videobotschaft, und weiter: "Ich war mir bewusst, dass dies ein erster Schritt war und nicht der letzte sein würde. Es ist Zeit, einen weiteren Schritt zu machen."
Das öffentliche Leben kommt in Italien also komplett zum Erliegen. Und auch Deutschland ist nicht mehr weit davon entfernt, einen weiteren Schritt dahin zu gehen. Als der Virologe Alexander Kekulé vor zehn Tagen für zweiwöchige Corona-Ferien in Deutschland für alle plädierte, um durch die Unterbrechung der Infektionsketten die Seuche im Frühstadium einzudämmen, wurde der Wissenschaftler von vielen noch belächelt.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann antwortete damals, die Politik dürfe keine Maßnahmen ergreifen, "die unverhältnismäßig sind und deshalb Hysterie auslösen". Das Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund, nur 40 Kilometer von der am stärksten betroffenen Stadt Heinsberg entfernt, fand denn auch am Wochenende vor über 50.000 Zuschauern statt.
Realität mit dem Virus ändert sich jeden Tag
Nur ein paar Tage später sind hat sich die Ausgangslage komplett verändert und Sportereignisse mit Publikum sind praktisch undenkbar. Auch von Unverhältnismäßigkeit spricht niemand mehr: ebenfalls in Mönchengladbach fand gegen den 1.FC Köln das erste Geisterspiel ohne Zuschauer statt, die Deutsche Eishockey-Liga hat die Saison wie inzwischen auch die Fußball-Bundesliga vorzeitig abgebrochen.
In vielen deutschen Kinos wird jetzt ein Sitzplatz zwischen den Kinobesuchern freigelassen, viele Deutsche meiden die Lichtspielhäuser aber aus Angst vor einer Ansteckung. Überall werden Schulen geschlossen, Baden-Württemberg hat den Beginn des Sommersemesters für die Studenten nach hinten verschoben. Kulturveranstaltungen wie das traditionelle Bonner Beethovenfest fallen aus, genauso wie zahlreiche Messen oder auch die Lateinamerika-Karibik-Woche in Berlin. Das öffentliche Leben wird schrittweise zurückgefahren, aber immer noch im Zeitlupentempo.
Genug Einsatz?
Die Passagierzahlen am Frankfurter Flughafen gingen in der letzten Februarwoche um 14,5 Prozent zurück. Die Taxibranche vermeldet Einnahmeverluste von bis zu 40 Prozent, und schlägt vor, dass Inhaber von Jahres- oder Monatskarten für den öffentlichen Nahverkehr zum halben Preis Taxi fahren können. Wer in Berlin mit dem Bus fahren will, darf nur noch hinten einsteigen, um den Fahrer nicht anzustecken. Und Fernverkehrszüge werden nun alle zwei statt alle vier Stunden gereinigt, Türen, Haltegriffe und Gepäckablagen desinfiziert.
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat mehreren Ländern unzureichende Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie vorgeworfen. "Wir sind zutiefst besorgt, dass manche Länder dieser Bedrohung nicht mit dem Maß an politischem Einsatz begegnen, wie es notwendig wäre, um das zu kontrollieren", erklärte der Äthiopier in Genf. Welche Länder er damit meinte, blieb offen. Sehr gut möglich, dass er seine Kritik auch auf Deutschland bezogen hat.