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Politik

Coronavirus: Menschengemacht und aus Labor?

Christopher Nehring
6. Mai 2020

Seit einigen Tagen machen Sensationsmeldungen über Geheimdiensterkenntnisse zum Coronavirus die Runde. Über Verschwörungstheorien und die neuen Geheimdienstpapiere ein Bericht von Christopher Nehring.

Bio-Sicherheitslabor in Wuhan, China
Bio-Sicherheitslabor in Wuhan, ChinaBild: picture-alliance/Photoshot/Y. Gang

In einem Bericht der Geheimdienstallianz der fünf großen englischsprachigen Staaten (USA, UK, Kanada, Australien und Neuseeland, genannt „Five Eyes") wird von einem unbekannten Fledermausvirus aus China gesprochen, das in einem Labor in Wuhan untersucht wurde. Diesen Geheimdienstbericht bekam die australische Tageszeitung "The Daily Telegraph" in die Hand. Seit dessen Veröffentlichung stiegen die Meldungen über das "von Menschen gemachte Virus aus dem Labor in Wuhan" sprunghaft an. Außerdem habe die Welt wertvolle Zeit im Kampf gegen das Virus verloren, weil China Informationen unterschlagen haben soll - Anschuldigungen dieser Art erhoben nicht nur US-Präsident Donald Trump, sondern auch die deutsche Boulevard-Presse. Ein gigantischer Skandal also?

Neue Töne aus den USA

Das Wichtigste zuerst: Das Corona-Virus ist nicht künstlich von Menschen erzeugt oder gar planmäßig verbreitet worden. Für Unsinn dieser Art, mit dem Verschwörungstheoretiker weltweit ähnliche, unhaltbaren Annahmen über die Herkunft des AIDS-Virus aus den 1980er Jahren aufwärmen, gibt es nicht nur in dem Geheimdienstbericht keinen Beweis. Vielmehr veröffentlichte auch der US-amerikanische Geheimdienstdirektor, dem alle 17 US-Geheimdienste unterstehen, eine Presseerklärung, in der klargestellt wird: Genauso wie die Mehrheit aller Wissenschaftler haben auch die US-Geheimdienste keinerlei Grund zu der Annahme, dass Covid-19 von Menschen gemacht oder genetisch modifiziert wurde. Gleichzeitig untersuchen die US-Geheimdienste weiterhin die Frage, ob das Virus über Tiere auf Menschen übertragen wurde oder bei einem Unfall in einem Labor in Wuhan austrat.

US-Botschafter und Geheimdienstkoordinator Richard GrenellBild: picture-alliance/AA/M. Miskov

Mit dieser Presserklärung, die der nicht gerade für diplomatische Töne bekannte US-Botschafter in Berlin und neue Geheimdienstkoordinator im Weißen Haus, Richard Grenell, letzten Donnerstag veröffentlichte, machen die US-Geheimdienste eine geradezu sensationelle Ausnahme von der Regel, aktuelle Ereignisse nicht zu kommentieren.

Kein Geheimprojekt

Nur wenige Tage nach dieser offiziellen Mitteilung folgte dann der Artikel des australischen "Saturday Telegraph". Auch hier findet der Bericht, der offenbar vom australischen Geheimdienst ASIS stammt, keine Belege dafür, dass die Corona-Pandemie von Menschen gemacht ist.

Der zweifelsohne spannendste, bislang aber vernachlässigte Aspekt des australischen Geheimdienstberichts sind seine Hintergrundinformationen über die Forschung mit Corona-Viren. Denn seit fast 15 Jahren, so der "Saturday Telegraph",  untersucht ein chinesisches Team von Virologen um Dr. Shi Zhengli, Direktor des Zentrums für Auftretende Infektionskrankheiten des Wuhan Instituts für Virologie, die in Fledermäusen auftretenden Coronaviren. Davon gibt es über 5.000 Arten, von denen Dr. Shi mindestens 50 untersuchte. Keineswegs jedoch war dies ein chinesisches Geheimprojekt. Stattdessen kooperierte das Team zum Beispiel mit dem Tiergesundheitslabor des "Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation CSIRO" in Australien. Dr Shi selbst sowie sein Mitarbeiter Peng Zhou verbrachten dort mehrere Jahre. Ein anderer Partner war die Universität von North Carolina, USA.

Seit Jahren wird an Coronaviren geforschtBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Ujetto

Das Ziel der Forschungen war es, die in Fledermäusen auftretenden Viren zu isolieren und ihre Übertragbarkeit auf den Menschen zu untersuchen. Im November 2015, also ziemlich genau vier Jahre vor dem Ausbruch der jetzigen Pandemie, kam eine Studie von Dr. Shi mit der Universität von North Carolina zu dem Ergebnis, dass SARS-ähnliche Viren direkt von Fledermäusen auf Menschen überspringen könnten und das es keine Behandlung dagegen gibt. 2019 kam ihre nächste Studie zu dem Schluss: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass zukünftige SARS- oder MERS-artige Corona-Viren-Ausbrüche von Fledermäusen ausgehen werden und dass es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass dies in China passiert."

Absage an Spekulationen

Dabei erwähnten die Forscher auch explizit das hohe Risiko ihrer Forschungen, sollte es zu einem Unfall kommen und Viren freigesetzt werden. Eines davon sind Sicherheitsstandards in Laboren. Hier tauchten zum Beispiel Berichte von US-Diplomaten in China auf, die im Dezember 2019 über - bislang unbestätigte - Sicherheitsmängel in dem Labor in Wuhan berichteten.

Der australische Geheimdienstbericht erteilt also wüsten Spekulationen und Anschuldigungen eine Absage. Deshalb ist es auch die Position der australischen Regierung, dass das Virus mit 95-prozentiger  Sicherheit von einem Markt in Wuhan stamme. Es bleibe aber ein kleines, 5-prozentiges Restrisiko, dass das Virus - unabsichtlich - bei einem Unfall während seiner Erforschung ausgetreten sein könnte. Mit diesen Schlussfolgerungen, die ja auch durch das Statement der US-Geheimdienste gedeckt werden, stehen die Australier in krassem Gegensatz zur Trump-Regierung. US-Außenminister (und ex-CIA-Chef) Mike Pompeo sprach so noch am Sonntag von "enormen Beweisen für eine Herkunft aus dem Wuhan-Labor."

Vertuschung in China

Der brisante Teil des australischen Geheimberichts ist aber ein anderer: Mit deutlichen Worten beschreibt ASIS in dem 15-seitigen Papier, wie China Informationen und dringend benötigte Proben über den Corona-Ausbruch im Dezember zerstörte und zurückhielt. Besonders gravierend sei auch der Fall von Huang Yan Ling, die ebenfalls Mitarbeiterin in dem Forschungslabor von Wuhan war. Nach anfänglichen chinesischen Pressemeldungen wurde vermutet, sie sei der weltweit erste Corona-Fall („patient zero") gewesen. Kurze Zeit später verschwand sie, ihre gesamte Online-Biographie wurde gelöscht und bis heute fehlt jede Spur von ihr.

Wuhan wurde im Januar wegen Coronavirus abgeriegeltBild: picture-alliance/Kyodo

Ebenso sollen im Januar zahlreiche Ärzte in Wuhan, die über das Auftreten einer neuen Viruserkrankung sprachen, wegen des "Verbreitens von Gerüchten" festgenommen worden sein. Weiterhin habe die Regierung in Peking auch Suchbegriffe wie "SARS variation", "Wuhan seafood market” und „Wuhan unknown pneumonia” aus Online-Suchmaschinen löschen lassen. Klare Anzeichen für eine Zensur, mit der das kommunistische Regime alle Informationen zum Ausbruch der Pandemie zu kontrollieren suchte. Am schwersten wiegt jedoch der Vorwurf, China habe bereits im Dezember um die Übertragbarkeit des Virus von Mensch zu Mensch gewusst, dies aber zunächst geleugnet und erst am 20. Januar 2020 die WHO informiert. Allerdings: In Anbetracht der öffentlich zugänglichen und bekannten Forschungsergebnisse von Dr. Shi, die der Geheimbericht ja im Detail aufführt, war dies keine Überraschung mehr.

Leugnen, Verhaften und Zensieren sind typische Reflexe diktatorischer Regime auf unvorhergesehene Krisen. Krankheiten, Naturkatastrophen oder Unfälle bedeuten eine große Gefahr für das ohnehin ständig herausgeforderte Machtmonopol in Diktaturen. Und Krisen dieser Art legen bereits lange bestehende Missstände offen. Die Kommunistische Partei, sei es zum Beispiel nach Tschernobyl 1986 in der Sowjetunion oder 2020 in China, kann und will das nicht riskieren. Damals wie heute mit tödlichen Folgen.

Trotz Risikoanalyse kaum Maßnahmen

Die Geheimdienstberichte aus Australien und den USA zeigen aber auch, dass die Versuche, China die alleinige Verantwortung für das Ausmaß der Pandemie zuzuschieben, zu kurz greifen. Tatsache ist, dass Forschungserkenntnisse zu Corona-Viren und ihren Gefahren seit Jahren öffentlich waren. Auch gab es bereits vor Jahren Katastrophenschutzübungen mit ähnlichen Szenarien.

In Deutschland spielte 2012 eine "Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz" das Szenario einer Virus-Pandemie durch. Das Ergebnis: Ungenügende Vorbereitung, fehlende Kapazitäten und Materialien sowie bei Plänen zur Eindämmung. Und mehr: auch Ende Januar - es scheint lange, lange her - ergriff keine Regierung, weder in Europa noch den USA, ernsthafte Maßnahmen. Erst als das ganze tödliche Ausmaß der Corona-Pandemie in Italien sichtbar wurde, kam es, teilweise im Stundentakt, zu hektischen Maßnahmen. Dass eine andere Informationspolitik Chinas im Dezember letzten Jahres und der damit vielleicht gewonnene Monat einen tatsächlichen Unterschied gemacht hätte, darf bezweifelt werden.

Dr. Christopher Nehring ist Historiker und wissenschaftlicher Leiter im Deutschen Spionagemuseum (Berlin)

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