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"Superspreader" erleichtern Kampf gegen Pandemie

3. Juni 2020

Dass nur einzelne COVID-19-Infizierte für die meisten Infektionen verantwortlich sind, klingt dramatisch, erleichtert aber eine zielgerichtetere Pandemie-Bekämpfung.

Berliner Nachtleben
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kembowski

Je intensiver SARS-CoV-2 beforscht wird, desto mehr erfahren wir auch über die Infektionswege des neuartigen Coronavirus. Das ist grundsätzlich sehr erfreulich, weil sich die Pandemie so viel gezielter bekämpfen lässt, aber gleichzeitig erscheinen zahlreiche zu Beginn der Pandemie getroffenen Maßnahmen im Nachhinein als wenig zielführend oder unnötig.

Entsprechende Diskussionen werden auch die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse über die Rolle der "Superspreader" oder "Superspreader-Events" nach sich ziehen.

Wie wird man zum Superspreader?

Als "Superspreader" bezeichnet die Epidemiologie einen Infizierten, der besonders viele Menschen ansteckt. Dafür kann die Person nichts: Jeder Infizierte kann zum Superspreader werden, wenn er zum falschen Moment mit vielen Menschen Kontakt hatte.

Entscheidend ist aber auch der Zeitpunkt, denn ein Infizierter kann offenbar auch schon hochansteckend sein, bevor sich bei ihm die ersten Symptome zeigen. In dieser Phase scheint die Virenlast im Rachen besonders hoch zu sein.

Allerdings haben viele Infizierte keine oder kaum Symptome und merken deshalb gar nicht, dass sie sich angesteckt haben und selber ansteckend sind.

Hinzu kommt außerdem, dass bestimmte Menschen offenkundig mehr und länger Viren verbreiten als andere. Möglicherweise hängt dies mit ihrem Immunsystem oder auch mit der Verteilung von Virusrezeptoren in ihrem Körper zusammen.

Wie kommt es zum Superspreading-Event?

Trifft solch ein hochansteckender Superspreader auf sehr viele Personen, kann er in kürzester Zeit auf sehr begrenztem Raum überdurchschnittlich viele Menschen ebenfalls infizieren.

Nach zahlreichen Infektionen nach Privatfeiern in Göttingen wurden 700 Bewohner dieses Hauses unter Quarantäne gestellt. Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Grundsätzlich konnten solche Infektions-Cluster weltweit nachgewiesen werden. Zu solchen "Superspreading-Events" zählen etwa die explosionsartige Infektionshäufung wie jüngst bei Großfamilienfeiern in Göttingen, Gottesdiensten in Frankfurt oder Karnevalsfeiern in Heinsberg.   Dazu gehören auch Infektions-Häufungen in Clubs oder nach einem Zumba-Tanzkurs in Seoul, in der berüchtigten Ski-Bar im österreichischen Ischgl,  Ausbrüche auf mehreren  Kreuzfahrtschiffen oder in fleischverarbeitenden Betrieben in Nordrhein-Westfalen.

Verbreitung durch Aerosole?

Bei der Untersuchung dieser Superspreading-Events zeigten sich einige Faktoren, die offenbar die rasche Ausbreitung der Infektionen begünstigten. Grundsätzlich ist das Infektionsrisiko in geschlossenen Räumen deutlich höher als im Freien. Und je mehr Menschen sich treffen, desto größer ist natürlich auch das Ansteckungsrisiko. Aber warum?

Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass das aggressive SARS-CoV-2-Virus nicht nur durch eine Tröpfchen-Infektion übertragen wird, sondern auch über Aerosole, die vor allem in engen, schlecht gelüfteten Räumen länger in der Luft bleiben als die viel schwereren Tröpfchen. 

Gemeinsames Singen stärkt die Gemeinschaft, kann aber auch SARS CoV-2 leichter verbreitenBild: Reuters/D. Goldman

Die Untersuchungen der genannten Superspreader-Events zeigte auch, dass sich diese Aerosole durch lautes Sprechen oder Schreien - etwa in der Bar, der Disko oder auch in Sporthallen - deutlich weiter verbreiten. Gleiches gilt auch für das Singen - etwa in Gottesdiensten oder in Chören. Manche Menschen stoßen dabei zudem deutlich mehr Aerosole aus als andere.

Berechnung des Risikos

Wie strikt die Corona-Maßnahmen sein müssen, hängt maßgeblich von der Zahl der Neuinfektionen ab. Entscheidend ist dabei die sogenannte Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Ein R-Wert von 2 bedeutet, dass ein Infizierter zwei weitere Personen infiziert. Ziel der Kontaktbeschränkungen ist es demnach, diese Zahl möglichst niedrig - unter 1 - zu halten.

Neben dem durchschnittlichen R-Wert ist aber auch der sogenannte Dispersionsfaktor k entscheidend, denn er gibt an, wie häufig eine Krankheit auftritt und wo sich möglicherweise Cluster bilden. Auch hier ist ein möglichst kleiner k-Wert besser, da die Streuung kleiner ist und sich die Infektionsausbreitung auf wenige oder sogar nur eine Person zurückführen lässt. 

Bislang ist noch nicht klar, wie groß der Dispersionsfaktor k beim neuartigen SARS-CoV-2-Virus tatsächlich ist. In einer vielbeachteten Studie kommen Akira Endo, Adam Kucharski und Sebastian Funk von der London School of Hygiene and Tropical Medicine zu dem Ergebnis, dass der k-Wert bei nur  0,1 liegen könnte. Laut diesem Preprint, das erst noch durch ein Peer-Review nachgeprüft werden muss, könnten demnach lediglich 10 Prozent der Infizierten für 80 Prozent der Infektionen verantwortlich sein.

Diese Ergebnisse decken sich mit ähnlichen Untersuchungen, unter anderem des renommierten Chefvirologen der Berliner Charité, Christian Drosten, wonach rund 20 Prozent der Infizierten für 80 Prozent der Ansteckungen verantwortlich sein sollen. 

Was bedeuten die Erkenntnisse für die Corona-Beschränkungen?

Nach dem Ausbruch der Pandemie haben Forscher weltweit unter Hochdruck Informationen über das völlig neuartige Coronavirus zusammengetragen. Und auf Grundlage dieser Erkenntnisse haben Politiker ebenfalls unter Hochdruck tiefgreifende Entscheidungen treffen müssen, wie die Bevölkerung am besten vor SARS-CoV-2 geschützt werden kann.

Die Debatte über das zunächst verspottete  und mittlerweile verpflichtende Tragen von Mund-Nase-Masken spiegelt recht deutlich wieder, dass Entscheidungen gegebenenfalls den neuen Erkenntnissen angepasst werden müssen - auch wenn dies nicht alle verstehen oder verstehen wollen.

Die bisherigen Erkenntnisse zu den Superspreadern bedeuten, dass die meisten Infizierten wenn überhaupt nur wenige anstecken, dass aber einige wenige Infizierte sehr viele Menschen anstecken. Das ist zunächst einmal eine sehr gute Nachricht, weil die Corona-Schutzmaßnahmen dadurch viel zielgerichteter gesteuert werden können.

Für die Seuchenbekämfung ist es viel schwieriger, einzelne Superspreader zu identifizieren und zu isolieren, zumal wenn die Infizierten kaum oder keine Symptome zeigen. Kontrollieren lassen sich allerdings die Begleitumstände, die ein "Superspreading-Event" begünstigen.

Gespenstische Leere bei Geisterspielen statt Jubel, Geschrei und Umarmungen Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Wenn weiterhin größere Menschenversammlungen vor allem in geschlossenen Räumen verboten und die Hygiene- und Abstandsregeln befolgt werden, lässt sich die Ausbreitung des Virus hoffentlich leichter eindämmen. Gesellschaften müssen also nicht zwingend komplett "runtergefahren" werden, mit den bekannt dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Bis ein Medikament oder eine Impfung gegen SARS-CoV-2 gefunden ist, könnten die Kontaktbeschränkungen so schrittweise gelockert werden und auch Betriebe, Schulen, Kitas etc. langsam zu einer gewissen Normalität zurückkehren. 

Was wenn nicht?

Sicherlich können die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft Großveranstaltungen oder das gemeinsame Singen verbieten, Auflagen etwa für die Betriebe oder die Gastronomie erlassen und auf eine Wahrung der Abstandsgebote drängen.

Nicht alle halten sich so konsequent an die vorgegebenen Abstandsregeln wie hier in San FranciscoBild: picture-alliance/dpa/J. Chiu

Letztlich aber liegt es im Sozialverhalten des Einzelnen. Und natürlich wird es durch Partys oder gemeinsame Treffen - spätestens wenn das Wetter die Aktivitäten zwangsläufig wieder nach drinnen verlagert - zu sehr vielen Situationen kommen, in denen z.B. die Abstand- oder Hygienevorschriften nicht eingehalten werden. Ist dann ein einzelner Superspreader dabei, kann dies sehr schnell einen Superspreading-Event auslösen.

Damit sich das Virus dann nicht gleich verbreiten kann, müssen bei solchen Superspreading Events die neuen Infektions-Cluster schnellstmöglich gefunden und alle Kontaktpersonen umgehend isoliert werden. Erst danach werden alle Kontaktpersonen getestet, das grenzt das Übertragungsrisiko ein und spart wertvolle Zeit.

Japan zum Beispiel hat mit dieser Methode nicht nur die Ausbreitung des Virus langsam aber vergleichsweise erfolgreich eindämmen, sondern auch einen drastischen Lockdown verhindern können.

 

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