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Politik

Der Countdown für die "Putsch-Gerichte" läuft

7. Oktober 2016

Nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli wurden mittlerweile 70.000 Menschen überprüft und über 31.000 inhaftiert. Jetzt wird über die Einrichtung sogenannter "Putsch-Gerichte" diskutiert.

Verhaftungen in der Türkei nach Putschversuch (Copyright: picture-alliance/Zuma/T. Adanali)
Bild: picture-alliance/Zuma/T. Adanali

Der Putschversuch am 15. Juli 2016 versetzte die gesamte Türkei in einen Schockzustand. Seitdem sind mittlerweile knapp drei Monate vergangen. Angesichts der vielen Menschen, die mit dem Putsch in Verbindung gebracht und deshalb überprüft oder festgenommen wurden, stellt sich die Frage, wie der Prozess zum Putschversuch aussehen soll.

Sowohl Ministerpräsident Binali Yildirim als auch Justizminister Bekir Bozdağ haben zur Einrichtung sogenannter "Putsch-Gerichte" Stellung genommen. Juristen jedoch sind der Meinung, dass viele Fragen noch offen sind, was die Gewährung universell geltender Standards in der Rechtsprechung angeht.

Entstehen neue Gerichte?

Anfang September wurde bekannt, dass der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) für den Prozess zu Ereignissen vom 15. Juli sogenannte "Putsch-Gerichte" in Ankara, Izmir und Istanbul einrichten möchte. Die Presse berichtete über eine Ermächtigungsverordnung, die der HSYK vorbereitet hat.

Ministerpräsident Binali Yildirim glaubt, Prozesse gegen Putschisten würden zügig durchgeführtBild: Getty Images/AFP/A. Altana

Dabei meinte Justizminister Bekir Bozdağ, dass keine speziellen Gerichte für Putschisten notwendig seien. "Es steht fest, welche Gerichte die Prozesse gegen diejenigen führen werden, die den Putschversuch begangen haben." Desweiteren hatte Bozdağ erklärt, man wolle riesige Gerichtssäle für die Prozesse mit zehntausenden Angeklagten errichten lassen. Der Bau des Gerichtssaals für 900 Personen auf dem Gelände des Sincan Gefängnisses in Ankara geht derzeit weiter. Die Bauarbeiten werden bald abgeschlossen.

Yildirim: Die Prozesse werden zügig durchgeführt

Bezüglich der "Putsch-Gerichte" sagte Ministerpräsident Binali Yildirim bei der Fraktionssitzung am 4. Oktober abschließend, die Prozesse würden zügig durchgeführt. Außerdem betonte er, man arbeite daran, die Arbeit der Gerichte zu erleichtern, angesichts der Tatsache, dass viele Staatsanwälte und Richter suspendiert wurden. "Es gibt Möglichkeiten, die Prozesse zu verkürzen. Dafür werden spezialisierte Gerichte gebildet. Es werden Mechanismen zur Einigung eingeführt. In manchen Fällen wird eine außergerichtliche Einigung stattfinden."

Nach Angaben von Juristen, die mit der DW gesprochen haben, ist es nicht leicht, einen Prozess, bei dem über 30.000 Menschen inhaftiert und Zehntausende in Polizeigewahrsam genommen wurden, schnell zum Abschluss zu bringen. Den in letzter Zeit häufig von Seiten der Regierung vorgebrachten Vorschlag, "spezielle Gerichte einzurichten" bewerten sie in Bezug auf universelle juristische Standards als nicht akzeptabel.

Kein Einblick in die Prozessakte

Nach Ansicht des Anwalts Ergin Cinmen wissen nicht einmal die Staatsanwälte, die die Befragung zum Putschversuch durchführen werden, wie die Gerichte diese Prozesse handhaben sollen. "Wir wissen nicht, ob es einen riesigen Prozess gibt oder ob auch die Lokalgerichte beauftragt werden", so Cinmen. Außerdem betont er, dass es nach dem Strafgesetz nicht erlaubt sei, wegen des Putschversuchs vom 15. Juli Sondergerichte einzusetzen. Auch sei es nach dem aktuellem Gesetz illegal, die Fälle der in Polizeigewahrsam genommenen oder inhaftierten Personen geheim zu halten. "Der Verteidiger erfährt weder, was die Beschuldigungen sind, noch welche Beweise ihnen zugrunde liegen. Die Informationen, die die Anwälte nicht bekommen, werden aber wiederum von regierungsnahen Medien wild verbreitet", so Cinmen. 

Ergin Cinmen war auch Anwalt der Journalisten-Brüder Mehmet und Ahmet Altan, die seit gut zwei Wochen inhaftiert sind. Man habe verhindert, dass er als Verteidiger Einsicht in die Prozessakte bekommt, sagt Cinmen. Seiner Meinung nach hat die Türkei nach dem 15. Juli - was die Justiz betrifft - versagt. "Die Entwicklungen zeigen, dass diese Gesetzlosigkeit andauern wird. Wir gehen davon aus, dass die Prozesse zum Putschversuch vom 15. Juli mit so vielen Angeklagten und so vielen verschiedenen Anschuldigungen mindestens fünf Jahre dauern werden."

Ein anderes Streitthema ist die Gefahr, dass Prozesse mit so vielen Angeklagten nicht gerecht sein könnten. Der Anwalt Tugut Kazan warnt davor, dass Massenprozesse zu ungerechten Urteilen führen könnten. Richtiger wäre, wenn Richter jeden Fall einzeln prüfen würden, so Kazan. "In einem Prozess mit 500 oder sogar 1000 Angeklagten gerät alles so durcheinander, dass man am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht."

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