Cowboy war gestern: Die Country-Musik hat ihr verstaubtes Image hinter sich gelassen und begeistert immer mehr Menschen. Was ist das Geheimnis zum Erfolg?
Anzeige
Mit Cowboystiefeln und kariertem Flanellhemd geht's auf zum Country-Musikfestival. Allerdings nicht in Texas oder Tennessee, sondern im leicht maroden britischen Badeort Blackpool, wo vom 3. bis 5. September 2021 das British Country Music Festival stattfindet. Besucher aus aller Welt freuen sich auf Two-Step und Line Dance und vor allem auf gute Musik.
Das typisch amerikanische Musikgenre feiert schon seit ein paar Jahren ein weltweites Revival mit Veranstaltungen in ganz Europa - auch in Deutschland. Vor Corona waren Konzerte in Städten wie London oder Amsterdam regelmäßig ausverkauft. Baylen Leonard, ein in London ansässiger Country-Musik Experte und Radiomoderator, hat festgestellt: "Die Menschen haben erkannt, dass es bei der Country-Musik nicht darum geht, wo man gerade ist - ob in den Südstaaten der USA oder am Strand von Spanien. Es geht um die Geschichten und Emotionen."
Milly Olykan, Vizepräsidentin für internationale Beziehungen bei der Country Music Association (CMA) in Nashville, Tennessee, kann das nur bestätigen: "Das, was die Menschen an der Country-Musik anspricht, sind die tollen Liedtexte", sagt sie.
Crossover zum Pop
Schwerpunkt von Olykans Arbeit ist es, den Vorurteilen gegenüber Country-Musik entgegenzuwirken. "Nicht nur ältere Leute hören Country, sondern auch viele junge", betont sie. Das Publikum wäre im Laufe der Jahre immer jünger geworden.
Doch wie ist es überhaupt zu diesem weltweiten Siegeszug der einstigen Nischenmusik gekommen? "Es begann alles mit Taylor Swift, die sich am Anfang ihrer Karriere nie als Country-Künstlerin vermarkten ließ, aber eindeutig eine Country-Künstlerin war", sagt Olykan. So habe sich der Crossover zum Pop vollzogen. Kacey Musgraves machte es ein paar Jahre später nicht anders und zog so ebenfalls Leute in den Bann der Country-Musik. Und dann kam wohl es noch die erfolgreiche Fernsehserie "Nashville" dazu, so Olykan, die von Dramen und Intrigen im Leben einiger -fiktiver- Country-Musikerinnen und -Musikern erzählt. Eine Serie, die nicht nur von in die Jahre gekommenen Kenny-Rogers-Fans geguckt wurde.
Laut Baylen Leonard, der auch ein Country-Musikfestival organisiert, wurde die Musik nicht zuletzt durch Streaming-Dienstanbieter viel zugänglicher: "Man muss nicht mehr in die Country-Abteilung eines Plattenladens gehen. Man hört sich einfach etwas auf einer Streaming-Plattform an, und dann schlägt ein Algorithmus etwas anderes vor, das einem gefallen könnte."
Diese Entwicklungen hat die Country-Musikindustrie in Europa genutzt: "2012 wurde das Country to Country-Musikfestival in der O2-Arena in London ins Leben gerufen. Und schon im zweiten Jahr lief es so gut, dass Glasgow und Dublin als Veranstaltungsorte hinzukamen. Inzwischen hat das Festival auch in Berlin und Amsterdam Fuß gefasst", so Olykan.
Anzeige
Kunterbunter Country in aller Welt
Laut Olykan ist Großbritannien nach den USA inzwischen der größte Zielmarkt des Genres. Aber auch im übrigen Europa, insbesondere in Deutschland und Skandinavien, wächst das Interesse. Der fulminante Aufstieg von Country-Musik in Großbritannien ist auch mit Zahlen belegt: Nach Angaben der British Phonographic Industry (BPI), der offiziellen Musik-Charts im Vereinigten Königreich, verzeichnete das Genre im zweiten Quartal 2021 bei Streaming-Diensten im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 19 Prozent. Und 2019 wuchs der Markt sogar um ganze 47 Prozent.
Aber auch andere digitale Plattformen helfen bei dem globalen Feldzug des Country: "TikTok ist auch ein großartiges Mittel, um neue Country-Künstler zu entdecken, wie zum Beispiel Priscilla Block und Callista Clark", findet Milly Olykan. "Einige Künstler haben dank TikTok sogar fette Plattenverträge bekommen", fügt Baylen Leonard hinzu. Dabei fällt immer wieder der Begriff "Crossover".
"Es gibt immer mehr Country-Interpreten, die in den Pop-Bereich eintreten, und mehr Pop-Künstler, die Country machen. Und ich denke, das ist für beide Seiten von Vorteil", sagt Olykan.
Aber auch ältere Country-Legenden feiern ein Comeback und wagen dabei viel mehr als früher. Dabei spielt laut Baylen Leonard die Vielfalt eine immer größere Rolle: "Eines der häufigsten Missverständnisse über Country-Musik ist, dass es bei den Texten immer um Trucks, Bier, Hunde und Pistolen geht und dass Country unbedingt weiß, konservativ und intolerant sein muss", stellt er klar. Er wolle ja nicht behaupten, dass es keine Probleme gebe, aber "es gibt auch immer mehr schwarze Künstler, es gibt immer mehr Künstler mit allen möglichen sexuellen Orientierungen. Es gibt für jeden etwas. Außerdem sind die Wurzeln der Country-Musik ohnehin schwarz. Das Banjo ist schließlich ein afrikanisches Instrument."
Die Hohepriesterin des Country
Die Entwicklung des Country hin zu einer pluralistischen und weltoffenen Musikform dokumentiert wahrscheinlich keine Künstlerin besser als Dolly Parton. Schon vor einem halben Jahrhundert sang sie mutig über das Schicksal von Frauen, die von ihren Cowboys verlassen wurden. Das gab dem damals eher spießigen und von Männern dominierten Musikgenre eine neue Dynamik. Heutzutage muss die Mutter der Country-Musik die Botschaften ihrer Lieder nicht mehr unter ihren beeindruckenden Perücken verstecken - auch wenn sie diese nach wie vor mit großer Leidenschaft trägt.
"Dolly Parton ist nicht nur eine globale Ikone. Sie ist auch ein Vorbild für viele in Tennessee. Sie ist absolut authentisch, so wie sie ist. Bei ihr ist nichts gekünstelt. Sie liebt einfach alle Kinder Gottes", schwärmte Baylen Leonard kurz nach einem Interview mit Parton in seiner Radiosendung.
Parton verbindet die Geschichte des Country nahtlos mit der Gegenwart. Eines ihrer jüngsten Projekte ist die achtteilige Netflix-Serie "Dolly Parton's Heartstrings", in der mit viel Feingefühl und Respekt gesellschaftliche Themen wie Homosexualität, Emanzipation oder Rassismus behandelt und die Werte der Country-Musik betont werden: Gemeinschaft, Freundschaft, Zusammenhalt, Verständnis und Empathie.
Außerdem ist Parton auch Protagonisten eines der weltweit erfolgreichsten Podcasts: "Dolly Parton's America". Die Show begleitet sie auf einer Erinnerungsreise in die Meilensteine ihrer Karriere, wobei in jeder Folge die großen Aufreger aus der jeweiligen Zeit in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Podcast-Reihe wirkt fast wie eine Inventuraufnahme von Partons unermüdlichen Kampf gegen die Fesseln des Patriarchats. Da ist sogar für Leute, die der Country-Musik sonst abschwören, jede Menge Zündstoff mit dabei.
Zurück in den Sattel
Der Country-Musikmarkt folgt also gleich auf mehreren Ebenen dem Expansionskurs. "Wie jede hochwertige Kunstform ist auch Country kein Museumsstück. Er ist eine lebendige, atmende, sich entwickelnde Kunstform. Und das gilt heute genauso wie damals schon bei Künstlern wie Johnny Cash und Hank Williams und Patsy Kline", findet Leonard. "Von daher ist das alles eigentlich gar kein Revival. Es ist lediglich die Fortführung einer langen, reichhaltigen Tradition."
Die 20 größten Namen der Country Musik
Country Music ist eine der weltweit erfolgreichsten Musikrichtungen. In Europa verbindet man damit vielfach aber nur Cowboyhut und Western-Feeling. Höchste Zeit, die wichtigsten Vertreter der Szene kennenzulernen.
Bild: Imago/ZUMA Press
Hank Williams
Trotz seines kurzen Lebens wird Hank Williams immer noch als einer der wichtigsten Größen des Country gehandelt. Der junge Mann aus Alabama galt in der unmittelbaren Nachkriegszeit als eine Ikone, die wieder gute Laune unters Volk bringen konnte. Seine Hits wie "I Saw The Light" und "Lovesick Blue" sind auch heute noch jenseits von Honky-Tonk-Bars beliebt. Williams stirbt 1953 mit nur 29 Jahren.
Bild: Imago/United Archives International
Tammy Wynette
"Stand by Your Man": Ein rührender Song über Loyalität und Liebe verschafft Tammy Wynette 1968 den großen Durchbruch. Die "First Lady of Country" singt aber auch voller Selbstbewusstsein über "D-I-V-O-R-C-E" - also Scheidung - zu einem Zeitpunkt, als die Emanzipation der Frau noch lange nicht im Country angekommen war. Nach einer beeindruckenden Laufbahn stirbt Wynette 1998.
Bild: picture-alliance/Photoshot
Conway Twitty
Es gab eine Zeit, da war die Country Musik anspruchslos. Sie musste angenehm klingen und durfte kein heißes Eisen anfassen - erst recht kein politisches. In diese Welt passte Conway Twitty wie maßgeschneidert. Mit Bierbauch und Bouffant-Frisur wirkt sein Stil heute schon fast wie eine Parodie des Country. Hits wie "Hello Darlin'" machten ihn zu einem Star der Branche. Conway Twitty starb 1993.
Bild: Imago/ZUMA Press
Patsy Cline
Ihre tiefe Stimmlage hat einen hohen Wiedererkennungswert: Wenn Patsy Cline ihren Hit "Crazy" singt, geht es ans Eingemachte. Cline ging 1961 auf Krücken ins Tonstudio, um den von Country-Star Willie Nelson geschriebenen Song aufzunehmen. Kurz zuvor hatte sie einen schweren Autounfall gerade noch überlebt. Zwei Jahre später stirbt Patsy Cline jedoch tragischerweise bei einem Flugzeugabsturz.
Bild: picture-alliance/Photoshot
Johnny Cash
Johnny Cash ist aus der Welt der Country Musik kaum mehr wegzudenken. Mit Elementen aus dem Blues machte Cash den Country rebellisch. Auch heute noch begeistern seine Hits wie "I Walk the Line" und "Ring of Fire". Johnny Cash starb 2003, doch auch nach seinem Tod wurden noch mehrere Aufnahmen der Country-Legende veröffentlicht. Insgesamt verkaufte er über 90 Millionen Alben.
Bild: picture-alliance/KPA
Loretta Lynn
Die Grande Dame des Country ist schon über 60 Jahre im Geschäft. Loretta Lynn wird für Ihre Bodenständigkeit geschätzt, aber auch dafür, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt und in Ihrer Musik schon seit Jahrzehnten ganz offen Frauenrechte anspricht. Sie schrieb sogar einen Hit zum Thema Verhütung - "The Pill".
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Fury
Willie Nelson
Texaner sind unheimlich stolz auf "ihren" Willie Nelson. Er besticht nicht nur durch seinen ruhigen Stil und Hits wie z.B. "On The Road Again", sondern ist auch sozial engagiert und setzt sich dabei vor allem sehr für Umweltthemen ein. Nelson unterstützt öffentlich auch die Demokraten in den USA. Dadurch zeigt er: Country ist nicht nur etwas für konservative Republikaner.
Bild: Busacca/Getty Image
Dolly Parton
Für eingefleischte Fans ist Dolly Parton die Königin des Country. Seit über 50 Jahren ist sie unermüdlich im Showgeschäft unterwegs. Bei ihrem Namen denken die meisten gleich an ihren Megahit "Jolene". Dabei war ihr größter (wenn auch indirekter) Erfolg "I Will Always Love You." Parton schrieb den Song schon 1973. Doch erst 20 Jahre später landet Whitney Houston damit ganz oben in den Charts.
Bild: Getty Images
George Strait
In Texas darf man kein böses Wort über George Strait verbreiten. Die Musik von "King George" schallt überall aus den Scheunen und Honky-Tonk-Bars im Lone Star State. Strait orientiert sich am alten Country aus den 40er bis 60er Jahren, aber sein Sound klingt dabei auch durchaus zeitgenössisch. Über 60 Mal war George Strait schon die Nummer 1 in den Country Charts.
Bild: Imago/ZUMA Press
Reba McEntire
Sollte Dolly Parton eines Tages sterben, so wird die Krone der Country Musik wahrscheinlich an Reba McEntire weitergereicht. Seit den 1970er Jahren ist McEntire eine wichtige Figur in der Country-Szene - dabei wollte sie ursprünglich Grundschullehrerin werden. Die Dame mit dem Rotschopf ist bekannt für Hits wie "You Lie" und "Fancy". Außerdem genießt sie auch viel Anerkennung als Schauspielerin.
Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Pizello
Garth Brooks
Garth Brooks rockt den Country wie kein anderer, doch sind seine Songtexte dabei oft auch sehr einfühlsam und durchaus vielschichtig. Seine Balladen wie "If Tomorrow Never Comes" sind geschmeidige Songs, die auf die Tränendrüse drücken. Aber er hat auch fröhlichere Lieder im Repertoire wie "I've Got Friends in Low Places", zu denen Line Dancing angesagt ist.
Bild: picture alliance/AP Photo/C. Pizzello
Shania Twain
In den 90er Jahren fangen die Damen des Country an, das Musikgenre immer mehr umzukrempeln. Frauen sollten nicht nur ihren Männern hinterhertrauern, sondern auch Spaß haben. Das dachten sich Stars wie Shania Twain. Die gebürtige Kanadierin hat international Erfolg, denn ihre Hits wie "That Don't Impress Me Much" und "Man, I Feel Like a Woman" klingen sehr nach Popmusik.
Bild: Getty Images/E. Miller
Blake Shelton
Blake Shelton ist derzeit einer der größten Namen des Genre und feiert große Erfolge: Seine Karriere als Musiker ist nicht aufzuhalten und als Talentshow-Juror entdeckt er die nächste Generation von ambitionierten Country Stimmen. Und er ist mit Gwen Stefani verheiratet: die beiden werden als das aktuelle Traumpaar des amerikanischen Showbiz gehandelt.
Bild: picture alliance/dpa/AP Photo/A. Harris
LeAnn Rimes
Im zarten Alter von 15 fragte sich LeAnn Rimes "How Do I Live Without You" und wurde mit ihrem Song in den 90ern über Nacht zu einem der jüngsten Country-Stars aller Zeiten. Mit 18 sang sie den Titelsong zum Kinofilm Coyote Ugly - "Can’t Fight the Moonlight". Ihre Musik deckt eine überraschende Bandbreite von Themen ab: von Heimatliebe bis hin zu Herzschmerz.
Bild: Getty Images/IEBA/J. Davis
Cowboy Troy
Wer glaubt, dass Country nichts für Farbige ist, liegt falsch. Der Texaner Cowboy Troy mischt schon seit Mitte der 2000er Jahre erfolgreich mit und mischt auch gerne zwischendurch Rap Elemente in seine Country-Songs. Troy Lee Coleman III, wie er gebürtig heißt, ist einer der angesagtesten Namen in der modernen Country-Musik.
Bild: Getty Images/Happy Valley Ja/R. Diamond
Miranda Lambert
Vor allem in ihrer Heimat Texas wird Miranda Lambert gefeiert. Sie hat schon zwei Grammys gewonnen und wurde insgesamt 16 Mal für den Musikpreis nominiert. In vielen ihrer Songs gibt sie sich als überzeugte Feministin, wie zum Beispiel in "Gunpowder and Lead". Doch singt Miranda Lambert auch souverän Balladen wie zum Beispiel "The House That Built Me".
Bild: picture-alliance/Landov/C. Lipson
Keith Urban
Man muss nicht im tiefen Süden geboren sein, um Country zu mögen. Das beweist der Australier Keith Urban. Mit seinen schicken Frisuren, seiner warmen Tenorstimme und Top Hits wie "Break on Me" bricht er die Herzen - auch das seiner Frau, der Schauspielerin Nicole Kidman, die ebenfalls gebürtig aus Australien stammt.
Bild: Imago/ZumaPress/J. Moore
Carrie Underwood
Carrie Underwood macht Musikkarriere wie es heutzutage immer häufiger gang und gäbe ist: 2005 gewinnt sie beim Talentwettbewerb "American Idol" und ist seitdem nicht mehr zu stoppen. Mit Hits wie "Last Name" und "Before He Cheats" schafft sie den Sprung in die Pop-Charts der USA. Underwood singt aber auch Lieder mit christlich-religiösen Inhalten und setzt sich außerdem für Tierrechte ein.
Bild: Reuters/M. Anzuoni
Rodney Atkins
Statt Cowboy-Hut trägt Rodney Atkins eine Kappe und bezaubert vor allem die Damen mit seiner Bassstimme. Bei Songs wie "Invisibly Shaken" geht es um Liebe und Betrug, bei anderen Liedern wie "Watching You" ist das Hauptthema Familie. Bei Atkins ist der Country auch gerne patriotisch, aber es geht ihm vor allem darum, dass seine Zuhörer Spaß haben.
Bild: imago/ZUMA Press
Taylor Swift
Ende der 2000er macht Taylor Swift noch seichten Teenie-Country und kommt damit vor allem bei jungen Frauen sehr gut an. Ihre Hits with "You Belong To Me", "White Horse" und "Love Story" beschäftigen sich mit dem Thema Jugendliebe. Heutzutage sind bei Taylor Swift eher poppige Töne angesagt. Bei ihren Konzerten jedoch stellt sie noch immer gerne ihre alten Country-Hits vor.