1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stress macht anfällig für COVID-19

16. Juni 2022

Bei Stress oder Angst sorgen bestimmte Hirnregionen für einen "Rückzug" weißer Blutkörperchen - und schwächen so das Immunsystem. Viren wie SARS-CoV-2 haben dann leichtes Spiel, wie ein Versuch mit Mäusen zeigt.

Habicht (Accipiter gentilis) jagt Feldhase
Selbst wenn es nicht um Leben und Tod geht - Stress schwächt das Immunsystem.Bild: R. Sturm/blickwinkel/picture alliance

Dass Stress schlecht für die Gesundheit ist, dürfte kaum jemanden überraschen. Psychischer Stress und Angst können direkte Auswirkungen auf das menschliche Immunsystem haben und uns anfälliger für Krankheiten machen. Ungeklärt war, wie genau dieser Mechanismus funktioniert.

Bis jetzt.

Wolfram Poller, Kardiologe und Forscher an der Charité in Berlin und an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York hat zusammen mit einem Team von Forschenden in einer Studie an Mäusen zeigen können, dass bestimmte Hirnregionen für die entscheidende Verschiebung von Leukozyten im Körper verantwortlich sind - und damit dafür, wie anfällig ein Organismus für virale Infektionen ist.

Stress macht tatsächlich krank

"Am spannendsten für mich war es, zu sehen, was für einen massiven Einfluss ein paar hundert Neurone im Hypothalamus auf Millionen von Leukozyten überall im Körper haben", sagt Poller.

Die Neuronen setzen eine komplexe Abfolge von Wechselwirkungen zwischen drei Hormondrüsen, dem Hypothalamus, der Hypophyse und der Nebennierenrinde, in Gang. Diese sogenannte Stressachse kontrolliert viele Reaktionen auf Stress im Körper.

Poller und seine Kollegen haben ihre Studie an Mäusen durchgeführt, von denen sie einen Teil immer wieder Stresssituationen aussetzten. Die Tiere wurden in einen Zylinder gesperrt, in einen neuen Käfig gebracht oder dem Geruch von Urin natürlicher Fressfeinde ausgesetzt.

Die Forschenden beobachteten, dass sich bei den Mäusen bestimmte Leukozyten ins Knochenmark zurückzogen und - einfach formuliert - ihren Job nicht mehr taten. Das machte die gestressten Tiere ganz besonders anfällig für eine Infektion mit SARS-CoV-2 oder Influenza. Die Tiere wurden nicht nur schneller schwer krank, sie starben auch häufiger.

Leukozyten, Granulozyten und Lymphozyten

Leukozyten heißen auch weiße Blutkörperchen. Sie werden im Knochenmark gebildet und haben unterschiedliche Funktionen im Immunsystem.

Zu den Leukozyten gehören unter anderem die Granulozyten, die der unspezifischen Immunabwehr zuzurechnen sind. Im Falle einer Verletzung können sie eindringende Bakterien und Parasiten bekämpfen, ohne jedoch spezifisch für einen Krankheitserreger zuständig zu sein.

Die Lymphozyten hingegen, die ebenfalls zu den weißen Blutkörperchen gehören, sind Spezialisten. Zu ihnen gehören die T- und B-Zellen, die sich gezielt gegen bestimmte Antigene, also Proteine eines Krankheitserregers, richten und diesen unschädlich machen. Im Falle von SARS-CoV-2 sind das unter anderem die mittlerweile gut bekannten Spike-Proteine.

Stress treibt Lymphozyten ins Knochenmark

Diese Lymphozyten, so beobachteten Poller und sein Team, traten in Stresssituationen den Rückzug an. Normalerweise halten sich Lymphozyten in den sogenannten lymphatischen Organen auf: Milz, Thymusdrüse oder Lymphknoten. Bei den gestressten Mäusen zogen sie sich ins Knochenmark zurück.

Ob dieser Mechanismus genau so auf den Menschen übertragbar ist, kann Poller nicht mit Sicherheit sagen. Aber die Stressachse, die bei den Mäusen aktiv wurde, gibt es beim Menschen genau so auch. Für den Forscher liegt es deshalb nahe, dass Angst und Stress auch das menschliche Immunsystem anfälliger für virale Erkrankungen machen kann.

Wie lindert man Stress?

04:30

This browser does not support the video element.

Granulozyten-Konzentration steigt

So ungünstig der Rückzug der Lymphozyten in Stresssituationen im Falle viraler Infektionen auch ist, im Körper passiert noch etwas anderes - zumindest in den Mäusekörpern, die Poller und seine Kollegen untersuchten: Sie beobachteten einen Anstieg der Granulozyten, kurz nachdem die Mäuse gestresst wurden.

Dass diese erste, unspezifische Abwehr des Immunsystems in einer Situation großer Angst, aus der eventuell eine Flucht oder ein Kampf erfolgt, aktiviert wird, ist durchaus sinnvoll. "Der Körper wird so auf eine Verletzung vorbereitet", sagt Poller.

Senkt Stress den Impferfolg?

Der Forscher denkt deshalb über eine weitere Studie nach, diesmal mit Menschen. Die sollen allerdings nicht absichtlich in Angst und Schrecken versetzt werden, sondern - im Gegenteil - mit Maßnahmen zur Stressreduktion einen besonders ausgeglichenen Zustand erreichen.

Dann möchte er sie gegen COVID-19 impfen. Poller hat nämlich eine Vermutung, die er aus den gesammelten Daten der Mäusestudie ableitet: "Wenn sich unter Stressbedingungen eine schwächere spezifische Immunantwort gegen eine SARS-CoV-2 Infektion ausbildet, kommt es möglicherweise auch bei einer Impfung gegen das Virus zu einer schwächeren Immunantwort, wenn man gestresst ist. Und im Falle einer Impfung möchte man diese starke Immunantwort ja gerade erreichen." 

Die Bildung von spezifischen Antikörpern und T-Zellen wäre aufgrund des Stresses gehemmt und die Gefahr einer erneuten Infektion und Erkrankung größer. Daten, die diese Hypothese direkt stützen, gibt es noch nicht, betont Poller. Relativ sicher lässt sich jedoch sagen: Weniger Stress schadet nicht.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen