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Politik

Corona-Krise: Ausgebeutete Erntehelfer

Alina Kühnel
11. Mai 2020

Mit großen Versprechungen wurden Tausende Erntehelfer aus Rumänien nach Deutschland geholt. Eingelöst werden die Versprechen aber offenbar nicht von jedem Arbeitgeber. Beschwerden über Missstände mehren sich.

Deutschland Spargel Erntehelfer aus Rumänien
Bild: Imago Images/E. Contini

Daniela Reim ist wegen der aktuellen Entwicklung besorgt. Die Rumänisch sprechende Beraterin für mobile Beschäftigte in Niedersachsen muss sogar mit einer Anzeige rechnen. Kurz vor dem letzten Wochenende wollte sie sich einen Überblick verschaffen über die Arbeits- und Lebensbedingungen einiger rumänischer Saisonarbeiter auf einem Spargelhof. Eigentlich sollten hier keine Quarantänemaßnahmen mehr gelten, die nach Einreise der Erntehelfer Anfang April für 14 Tage verordnet worden waren.

Es sollte eine routinemäßig durchgeführte Aktion werden, die leider als Verfolgungsjagd endete, erzählte sie der DW. Der Betreiber des Bauernhofs verweigerte der Beraterin den Zutritt und drohte gar, sie anzuzeigen. Als sie das Areal verließ, so Daniela Reim weiter im DW-Gespräch, verfolgte er ihren Wagen, "um sicherzustellen, dass ich keinen Kontakt zu den rumänischen Erntehelfern aufnehmen kann."

Daniela Reim, Beraterin für mobile Beschäftigte in NiedersachsenBild: privat

Eine ungewöhnliche Situation gab es auch auf einem Spargelhof mit fast 500 rumänischen Saisonkräften in Bayern. Dort musste sogar die Polizei einrücken, um für Ordnung zu sorgen, nachdem die Lage zu eskalieren drohte. Die Erntehelfer berichteten über inakzeptable Arbeitszustände, schlechte Bezahlung und eine Quarantäne, die praktisch gar keine war. Weil der Arbeitgeber keine adäquaten Schutzmaßnahmen treffen wollte, rebellierten einige Saisonarbeiter. In einem Gespräch mit der DW wehrte sich der betroffenen Arbeitgeber (dessen Name der Redaktion bekannt ist) gegen die Vorwürfe. Da "wir in einem Rechtsstaat leben", so der Bauer, habe er Anzeige gegen einige Arbeiter erstattet, weil sie seiner Meinung nach als "Verbrecher" einzustufen seien und gar nicht arbeitswillig waren.

Eine Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Schwaben Nord bestätigte der DW, dass tatsächlich gegen drei rumänische Bürger ermittelt werde. Es ginge dabei allerdings um Verleumdung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, auf keinen Fall um organisierte Kriminalität, wie der Arbeitgeber mitgeteilt hatte. Auf erneute Anfrage hin teilte der Spargelhofbetreiber mit, nicht weiter mit der Presse sprechen zu wollen. Seine Haltung wird auch vom Deutschen Bauernverband (DBV) vertreten. Der Pressesprecher des DBV verweist auf die Internetseite des Verbands und möchte keine weiteren Informationen geben.

Besorgte Politiker in Berlin und Bukarest

Besorgt sind inzwischen auch Politiker. Eine Pressesprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erklärte der DW, dass ein vom Ministerium unter Beteiligung des Robert-Koch-Instituts erarbeitetes "Konzeptpapier Saisonarbeiter im Hinblick auf den Gesundheitsschutz" die Grundlage für landwirtschaftliche Betriebe sei, "um Saisonarbeitskräften unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie eine sichere Ein- und Ausreise und einen sicheren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen." Laut einem internen Bericht, der der DW vorliegt, informierte die deutsche Agrarministerin Julia Klöckner am 5. Mai den Bundestag über die neuesten Entwicklungen der Saisonbeschäftigung in der Landwirtschaft. Darin wurden Fragen beantwortet zum Mindestlohn (9,35 Euro brutto), zu Arbeitszeitregelungen (bis maximal 12 Stunden am Tag) oder zur Übernahme der Reisekosten, die "nicht einseitig nur der Saisonarbeitskraft aufgebürdet werden" sollen.

Flughafen Karlsruhe/Baden: Erste Maschinen mit Erntehelfern aus Rumänien gelandet (9. April 2020)Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

In einem zweiseitigen Brief bittet auch der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, "eindringlich", den Arbeitsschutz für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und in der Fleischindustrie streng zu kontrollieren. "Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Situation in Sammelunterkünften und beim Personentransport zu legen."

In seinem Brief an die Bundesländer weist Minister Heil darauf hin, dass sich bereits mehrere diplomatische Vertretungen der Herkunftsländer von Arbeitern bei der Bundesregierung beschwert hätten. Sie behielten sich demnach "ausdrücklich weitere Maßnahmen" vor - etwa einen Ausreisestopp für Saisonbeschäftigte. Wenn die dringend benötigten Arbeitskräfte in Deutschland nicht sicher arbeiten könnten, sollten sie also in ihren Heimatstaaten bleiben, so die Botschaften der betroffenen Länder. 

Am Montag mussten in Bukarest die Ministerin für Arbeit, Violeta Alexandru, sowie Außenminister Bogdan Aurescu vor einem Sonderausschuss im rumänischen Senat Rede und Antwort stehen und über Maßnahmen in Bezug auf die Lage rumänischer Saisonarbeiter in Deutschland und der EU berichten. Seit Ausbruch der Corona-Krise haben rund 35.000 Menschen Rumänien verlassen, um in der EU in der Landwirtschaft oder in Pflegeberufen zu arbeiten. Alarmierende Nachrichten betroffener Arbeitnehmer über die Nichteinhaltung vereinbarter Vertragsbedingungen haben zu einem Aufschrei in der rumänischen Gesellschaft geführt.

Holland attraktiver als Deutschland?

Auf politischer Ebene scheint sich also endlich etwas zu bewegen. Auf den Feldern und in den Sammelunterkünften kommen aber kaum Informationen an. Daniela Reim, die schon seit Jahren mobile Beschäftigte berät, hat zurzeit große Schwierigkeiten, die Menschen zu erreichen. Im DW-Gespräch erzählt sie über eine oft totale Abhängigkeit der Saisonarbeiter von ihrem Arbeitgeber, über Fälle, in denen den Arbeitern die Ausweise abgenommen werden, über extrem lange Arbeitszeiten (bis 14 Stunden, 7 Tage die Woche), über fehlende Krankenversicherungen, über Bezahlung im Akkord, über viel zu hohe Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Sogar über einseitig zu bezahlende überteuerte Flugtickets weiß sie zu berichten.

Lohnabrechnung (10.-22. April 2020): nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung blieben 605 Euro übrigBild: privat

Daniela Reim hat aber auch Grund zur Freude. Gerade hat sie fünf Rumänen geholfen, die wegen unüberbrückbarer Differenzen mit dem Arbeitgeber kündigen wollten. Die Saisonarbeiter hatten elf Tage am Stück gearbeitet, insgesamt 121 Stunden. Für diese Arbeit gab es zum Schluss 605 Euro (Verpflegung und Unterkunft wurden abgezogen). Das entspricht bei weitem nicht dem versprochenen Mindestlohn. Daniela Reim hat den Bauern überzeugen können, diesen Erntehelfern wenigstens die Flugkosten in Höhe von 250 Euro pro Person nicht in Rechnung zu stellen.

"Es war nicht einfach", sagt die Beraterin. Aber sie hat es geschafft. Die fünf Rumänen konnten den Spargelhof in Deutschland verlassen, arbeiten nun in Holland und sind zufrieden. "Für diese Menschen wurde dort ein Bankkonto eröffnet. Die Arbeiter bekommen 10 Euro pro Stunde, haben eine Krankenversicherung und werden wöchentlich bezahlt." Höchste Zeit also, dass sich deutsche Behörden die Arbeitsbedingungen ausländischer Saisonarbeiter etwas näher ansehen. Bund und Länder haben letzten Freitag zugesichert, den Gesundheits- und Arbeitsschutz von ausländischen Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft künftig besser zu kontrollieren.

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