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COVID-19-Impfpflicht – kein klares Bild

Bettina Marx | Hannah Fuchs
14. Januar 2022

Für oder gegen eine gesetzliche Impfpflicht? In der Politik gibt es keine klaren Trennlinien zwischen beiden Lagern. Auch die Wissenschaft hält sich zurück.

Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Corona-Einschränkungen zieht durch die Innenstadt und trägt einen Mundschutz mit der Aufschrift "Impfzwang? Nein, danke!"
Bild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Je länger die Debatte um die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland dauert, desto mehr scheint die Front ihrer Befürworter zu bröckeln. "Das spaltet die Gesellschaft, da wird zu viel Druck aufgebaut", sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, am Donnerstag den "Stuttgarter Nachrichten" und der "Stuttgarter Zeitung". Noch vor Jahresende sah es so aus, als herrsche in Gesellschaft und Politik breite Einigkeit, dass die Pandemie nur mit einer raschen Gesetzgebung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu stoppen sei. 

Mit Ausnahme der AfD sprachen sich Politiker aller Parteien dafür aus und rückten damit von früheren Versprechen ab, keine Impfpflicht gegen COVID-19 einzuführen.

Der deutsche Ethikrat befürwortete ebenfalls mehrheitlich die Ausdehnung einer Impfplicht auf die Beschäftigten im Gesundheitssektor hinaus, forderte jedoch gleichzeitig flankierende Maßnahmen wie ein niedrigschwelliges Impfangebot und die Einführung eines nationalen Impfregisters.

Auch in der Öffentlichkeit war die Zustimmung angesichts der rasant ansteigenden Infektionszahlen groß.

Omikron verändert die politische Debatte

Doch es ist gerade die vierte Welle der Pandemie, die nun zu einer neuen Belebung der Debatte und zu neuen Vorschlägen führt. Seit Beginn des Jahres rollt die Omikron-Welle über das Land. Die Virus-Variante breitet sich auch bei Geimpften und Geboosterten aus und ist durch eine Impfpflicht nicht mehr zu stoppen. "Für die Omikron-Variante spielt die Impfpflicht sowieso keine entscheidende Rolle mehr", sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag dem Nachrichtenportal "ThePioneer".

Kein Grund also für die Bundesregierung, den Gesetzgebungsprozess zu forcieren und dafür einen Konflikt in der eigenen Koalition zu riskieren? Zumindest in der FDP-Fraktion ist die Skepsis groß.

Eine allgemeine Impfpflicht sei ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte und daher nicht zu rechtfertigen, so die Argumentation einer Gruppe von Abgeordneten um den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki. Viele Gegner einer Impfpflicht berufen sich auf Artikel 2 des Grundgesetzes, in dem das Recht auf körperliche Unversehrtheit festgeschrieben ist.

Laut einer aktuellen Civey-Umfrage im Auftrag des Spiegel sind jedoch 64 Prozent der Deutschen für eine allgemeine Impfpflicht gegen COVID-19, etwa neun Prozent weniger als vor einem Monat. Diese Mehrheit sieht ihre Freiheit durch Maßnahmen eingeschränkt, die bei einer höheren Impfquote in Deutschland eventuell entfallen könnten. Als Kompromissvorschlag brachte FDP-Fraktionschef Christian Dürr nun eine auf ein Jahr begrenzte Impfpflicht ins Gespräch, eine Impfpflicht auf Probe sozusagen.

Die Entscheidung liegt beim Parlament 

Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, beide SPD, plädieren zwar nach wie vor für eine Impfpflicht. Beide bekannten sich im Bundestag klar zu dieser Überzeugung. Einen eigenen Gesetzentwurf wollen sie gleichwohl nicht vorlegen und setzen stattdessen auf überfraktionelle Vorschläge aus den Reihen des Parlaments.

Die Abgeordneten sollten diesen in einer "offenen Debatte" erarbeiten, sagte Scholz am Mittwoch vor dem Bundestag. Dies trage zur "Befriedung der politischen Diskussion" bei. "Ich hoffe, dass es eine zügige, gute Beratung mit einem entsprechenden Ergebnis geben wird. Ich jedenfalls halte sie für notwendig und werde mich aktiv dafür einsetzen." 

Ende Januar sollen sich die Abgeordneten in einer "Orientierungsdebatte" austauschen. Erst danach dürften Anträge einzelner Gruppen von Abgeordneten eingebracht werden, über die dann in freier Abstimmung entschieden werden soll. Anders als sonst: bei den meisten Entscheidungen stimmen die Fraktionen geschlossen ab. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Dürr begrüßte dies: "Das Ganze ist aus unserer Sicht eine medizinethische Frage und keine parteipolitische." 

Der Plan, eine allgemeine Impfpflicht bis März einzuführen, dürfte damit kaum mehr haltbar sein. Und weiterhin ist unklar, was mit "allgemeiner Impfpflicht" gemeint wäre: eine Impfung für alle ab zwölf, ab 18 Jahren? Oder nur für Ältere, die ein besonders hohes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken? Oder nur eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen?

Viele Fragen sind also offen. Doch was sagen die Wissenschaftler, die Mediziner, Physiker, Statistiker? Sind sie mehrheitlich für oder gegen die Impfpflicht - in welcher Form auch immer sie dann umgesetzt würde? 

Wissenschaftliche Gründe für eine Impfpflicht 

Für die überwältigende Mehrheit unter ihnen ist klar: Impfen schützt, das stehe außer Frage und gelte nicht erst seit der COVID-19-Pandemie. Die Erfolgsgeschichte des Impfens geht viel weiter zurück.

Etwa bei der Eindämmung von Polio, Tetanus und Diphterie. Ähnliches gilt für die Masern: Das am 1. März 2020 in Kraft getretene deutsche Masernschutzgesetz sieht eine Impfplicht nur für Schul- und Kindergartenkinder vor.

COVID-19 Spezial: Was hilft gegen Omikron?

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Zahlreiche Studien belegen, dass die Impfung und insbesondere die Drittimpfung die Wahrscheinlichkeit eines schweren COVID-19-Krankheitsverlaufs deutlich senkt. So auch eine im Fachmagazin Cell Ende Dezember publizierte Studieeines Forscherteams mit Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Erlangen-Nürnberg. Allerdings stellten auch sie fest, dass bisherige Impfstoffe gegen die neue Omikron-Virusvariante schwächer wirken als gegen bisherige Varianten.

Impfpflicht: Diskussion par excellence 

Wie bereits bei anderen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie bleibt für die Politik die Schwierigkeit: sie muss Entscheidungen treffen, auch wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht eindeutig sind oder sich im Laufe der Zeit verändern. Der Nutzen der Impfung gegen schwere COVID-19-Verläufe gilt als wissenschaftlich gesichert. Doch daraus lässt sich nicht automatisch eine wissenschaftliche Empfehlung der Impfpflicht ableiten.

Denn "die Impfpflicht ist ein politisches Werkzeug", sagt der Virologe Christian Drosten am 4. Januar im NDR-Coronavirus-Update- eines von mehreren. So könne die Politik beispielsweise auch mit großer Energie auf Aufklärung setzen, auf Motivation, auf Stimulation, so Drosten.

Für oder wider? Differenzieren, bitte

Die medizinische Evidenz für Impfung dürfe nicht verwechselt werden mit verhaltenswissenschaftlicher Evidenz, betont Professor Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in einem Podcast der Ärzte-Zeitung. "Es kann also jemand für die Impfung sein, aber gegen das Instrument Impfpflicht. Wenn jemand gegen die Impfpflicht ist, ist er noch lange kein Impfgegner. Und wer vor der Einführung einer teilweisen Impfpflicht zum Beispiel warnt, argumentiert keineswegs unwissenschaftlich." 

Wenn die gesamte Bevölkerung, für die ein Impfstoff zugelassen ist, geimpft wäre, gäbe es nicht mehr so viele Schwerkranke auf den Intensivstationen. Als Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, zur Entlastung der Krankenhäuser, wäre eine funktionierende Impfpflicht gegen COVID also ein wirksames Instrument.

Für eine Aufklärungspflicht 

Ein Contra-Argument aus der Verhaltenswissenschaft: Die psychologische Reaktanz, also die psychologische Nebenwirkung einer Impfpflicht, ist nicht absehbar. Personen, die bislang skeptisch waren, könnten zu Impfverweigerern werden, der Widerstand könnte weiter wachsen. Andere Skeptiker wiederum könnten sich entlastet fühlen, da ihnen die Entscheidung abgenommen würde.

Aufklärung und Beratung bleiben auch mit Impfpflicht elementarBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Martin Scherer betont, dass Impfpflicht nicht das einzige Instrument sein dürfe, sondern mit begleitenden Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz einhergehen müsse. Die Impfpflicht entbinde nicht von der Aufklärung.

Der Virologe Christian Drosten spricht sich weder für noch gegen eine Impfpflicht aus, da die politische Diskussion nicht sein "Metier als Wissenschaftler" sei. Abschließend gibt er allerdings zu bedenken, dass es sehr schwer sein wird, "mit einem großen Teil von immunologisch-naiven Personen in den nächsten Winter zu gehen". Solche Menschen haben keinen spezifischen Schutz gegen COVID-19. Aufklärung und das Achten auf andere ist weiterhin also immer noch eine Pflicht - ganz egal, wie die politische Diskussion um eine Impfpflicht in Deutschland ausgeht.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

 

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Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.
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