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COVID-19 in Afrika: Besser als erwartet

4. September 2020

Das SARS-CoV-2-Virus hat Afrika nicht so schlimm getroffen wie Experten befürchteten. Warum, lässt sich aufgrund der schlechten Datenlage nur schwer sagen. Unklar ist auch, ob Afrika nur die Ruhe vor dem Sturm erlebt.

Kenia Corona Graffiti
Bild: Getty Images/AFP/S. Maina

Hunderttausende Tote, vielleicht sogar Millionen, schwere Infektionen, die die ohnehin wackeligen Gesundheitssysteme kollabieren lassen, so malten sich Experten die COVID-19-Situation in den meisten Ländern Afrikas aus. Mehr als vier Monate später kann man sagen: Das Horrorszenario ist nicht eingetreten.

Während Infektions- und Sterbezahlen auf anderen Kontinenten zwischendurch explodierten, blieb Afrika von einer hohen COVID-19-Mortalitätsrate verschont. Und das, obwohl sich die Menschen in Städten wie Dakar und Lagos gegenseitig auf den Füßen stehen. Viele leben in Armut und unter höchst bedenklichen Hygienebedingungen. 

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Wissenschaftler haben sich deshalb in einer Analyse mit den möglichen Gründen für den glimpflichen Verlauf der Corona-Pandemie befasst. "Maßnahmen wie Reisebeschränkungen, Ausgangssperren und die Schließung von Schulen wurden in Afrika, im Vergleich zu anderen Kontinenten, früh umgesetzt. Oft noch bevor ein afrikanisches Land einen einzigen Coronafall hatte", heißt es in der Veröffentlichung.

"Wir wissen, dass die Maßnahmen wirken"

Die Autoren führen diese frühe Handlungsbereitschaft auf die Erfahrungen vieler Länder mit anderen Infektionskrankheiten wie Ebola und dem Lassa-Fieber zurück. Die schnelle Reaktion habe sehr wahrscheinlich zu einer langsameren Ausbreitung der Infektion geführt.

"Wir wissen, dass die Maßnahmen wirken", sagt auch der Mediziner Edward Chu, Emergency Medicine Advisor bei Ärzte ohne Grenzen. "Allerdings sind strenge Maßnahmen nur schwer über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten. Wir können also davon ausgehen, dass mit weiteren Lockerungen auch die Infektionszahlen ansteigen werden."

Trotzdem muss es weitere Gründe dafür geben, dass der schlimmste Fall nicht eingetreten ist, denn "die meisten Menschen arbeiten im informellen Sektor, beispielsweise auf traditionellen Märkten, wo strenge Lockdown-Maßnahmen nicht durchsetzbar sind", schreiben die Forscher.

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Jugendlicher Kontinent

Das Alter zum Beispiel, könnte ein Grund sein. Im Schnitt ist die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents 19,7 Jahre alt - nur halb so alt wie die Menschen in den USA. Das neuartige Coronavirus infiziert zwar auch die Jungen, doch es sind vor allem die Alten, die mit schweren Verläufen in die Krankenhäuser kommen und an der Infektion sterben.

Die niedrigen Infektionszahlen könnten ebenfalls mit dem geringen Durchschnittsalter auf dem Kontinent zusammenhängen: Junge Menschen sind häufiger asymptomatisch. Weil sie nicht spürbar krank werden, lassen sie sich seltener testen und untersuchen, sagt Chu - vor allem dann nicht, wenn das Gesundheitssystem des Landes ohnehin wackelig ist und die Testkapazitäten gering seien. 

"Die mangelnden Testkapazitäten machen es extrem schwierig zu sagen, wie stark die Pandemie sich tatsächlich auf die Bevölkerungen der afrikanischen Staaten auswirkt", sagt Chu.

Viele Parasiten - gutes Immunsystem?

Die Wissenschaftler der in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Analyse führen als weiteren Grund für den vergleichsweise milden Pandemieverlauf das Immunsystem ins Feld. "Es wird zunehmend erkannt, dass das Immunsystem nicht nur durch die Genetik, sondern auch durch Umweltfaktoren, wie die Exposition gegenüber Mikroorganismen und Parasiten, geprägt wird. So wird das Immunsystem  trainiert, sich gegen eindringende Krankheitserreger zu schützen", schreiben die Forscher.

Das könnte den Verlauf einer Infektionskrankheit entscheidend abmildern und ein weiterer Grund sein, weshalb die erwarteten hohen Opferzahlen in Afrika bisher ausgeblieben sind. Der Immunologe und Parasitologe Achim Hörauf erforscht diese Hypothese am Universitätsklinikum in Bonn. Er interessiert sich vor allem für Würmer, die in vielen afrikanischen Ländern mehr oder weniger harmonisch als Parasiten im Körper der Menschen leben. 

Diese Harmonie ist nur deshalb möglich, weil die Würmer in vielen Fällen keine starke Immunantwort verursachen, sondern dem Immunsystem mit bestimmten Sekreten signalisieren, dass kein Grund zur Aufregung besteht. "Es könnte sein, dass die COVID-19-Infektion so besser toleriert wird", sagt Hörauf. Eine übermäßige heftige Immunantwort  ist eine Ursache für schwere COVID-Verläufe.

Während Parasiten möglicherweise einen milden Infektionsverlauf begünstigen, sind es die nicht infektiösen Krankheiten, die die großen Probleme verursachen: Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht und Diabetes Typ 2 steigern nicht nur das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs, sie sind vor allem typische Krankheiten westlicher Industrieländer.  Jedenfalls noch. In den urbanen Regionen afrikanischer Staaten haben auch diese Zivilisationskrankheiten bereits Einzug erhalten.  

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"Kollateralschäden sind oft viel akuter"

Auch wenn der erwartete große Knall bisher ausgeblieben ist, verschont hat SARS-CoV-2 Afrika ganz und gar nicht. "Das Virus hat indirekt enorme Auswirkungen auf viele Menschen in den afrikanischen Staaten. Die Kollateralschäden, die durch die Pandemie-Maßnahmen entstanden sind, könnten in vielen Ländern viel akuter sein, als die direkten Schäden durch das Virus", sagt Mediziner Chu. Hier triffst es die jüngsten am härtesten, betont Chu. Gerade für Kinder hätten Nahrungsmittel- und Medikamentenengpässe oft fatale Folgen. 

So berichtete die Organisation UNAIDS bereits im Mai von Engpässen antiretroviraler Medikamente, die für die Therapie von HIV unerlässlich sind. Durch die Abriegelung der Landesgrenzen und den zeitweise eingestellten Flugverkehr tat sich eine Versorgungslücke auf, die dadurch verschärft wurde, dass die HIV-Medikamente auch zur Behandlung von COVID-Patienten eingesetzt wurden.

UNAIDS und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben analysiert, dass diese Maßnahmen zu zusätzlichen 500.000 Aids-Toten führen könnte. Die Hilfsorganisation Oxfam warnte im Juli davor, dass die Pandemiemaßnahmen bis zum Ende des Jahres zu 12.000 Hungertoten täglich rund um den Globus führen könnte.

Sechs der von Oxfam benannten zehn "extremen Hunger-Hotspots" befinden sich in Afrika. 

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