COVID-Impfung: Für gesunde Kinder keine Priorität
23. November 2021In den USA ist es bereits so weit, in Israel beispielsweise auch. In der Europäischen Union gibt es aber noch keine Zulassung für den COVID-Impfstoff von BioNTech/Pfizer für Kinder zwischen fünf und elf Jahren. Doch nun es soll nur noch eine Frage von Tagen sein, bis die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den Impfstoff für Kinder dieser Altersgruppe auch in der EU zulässt.
In Deutschland folgt auf die Autorisierung dann noch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), ein Gremium wissenschaftlicher Experten, das eine Impfung mit dem neu zugelassenen Impfstoff entweder generell empfehlen, nicht empfehlen, oder nur für bestimmte Menschen in der betroffenen Altersgruppe empfehlen kann.
Der niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne, dessen Ressort für Schule und frühkindliche Bildung zuständig ist, forderte Mitte November mehr Tempo bei der Zulassung und Empfehlung des COVID-Impfstoffes für unter Zwölfjährige. "Ich appelliere an die Europäische Arzneimittelagentur, die Zulassung des Impfstoffs für Kinder mit hoher Priorität zu bearbeiten, und bitte die Ständige Impfkommission, zügig die Daten für diese Alterskohorte zu prüfen, damit es möglichst bald zu einer Entscheidung über eine mögliche Empfehlung kommen kann", sagte der SPD-Politiker und Vater von vier Kindern der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Aber, so betont Kinderarzt Jörg Dötsch, die medizinischen Gremien lassen sich nichts von der Politik vorschreiben. "Die STIKO ist eine unabhängige Expertenkommission", sagt Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln. "[Die Experten] entscheiden ausschließlich aufgrund der wissenschaftlichen Daten und ihres Gewissens, und nicht aufgrund des politischen Drucks."
"Davon wird auch kein Intensivstationsbett frei"
Bei Kindern zwischen fünf und elf Jahren ist ein schwerer Verlauf von COVID-19 extrem selten. Dass Risiko, dass ein Kind ohne Vorerkrankungen mit einer COVID-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert wird, liege bei rund 1 zu 10.000, schätzt Jakob Armann, Funktionsoberarzt in der Abteilung für pädiatrische Infektiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum der Technischen Universität Dresden.
Deswegen hält er es auch für wahrscheinlich, dass die STIKO die Impfung zunächst für Fünf- bis Elfjährige mit einem erhöhten Risiko, also beispielsweise für Kinder mit Vorerkrankungen, empfiehlt.
Noch wisse man zu wenig, um die Risiken einer Impfung gegen die einer COVID-Erkrankung bei gesunden Kindern abzuwägen. Und eine generelle Impfempfehlung für die Fünf- bis Elfjährigen sei auch kein wirksames Mittel, um die aktuell prekäre Lage in Deutschlands Krankenhäusern zu verbessern. "Davon wird auch kein Intensivstationsbett frei", sagt Armann.
Andere Länder, andere Gesundheitssysteme
In den USA empfiehlt die Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) die Impfung uneingeschränkt für alle Fünf- bis Elfjährigen. Selbst US-Präsident Joe Biden appellierte nach der Freigabe des Impfstoffes Anfang November in einer Ansprache an Eltern: "Es ist zwar selten, aber Kinder können von COVID-19 sehr krank werden […] Also lasst eure Kinder impfen."
Warum klingen die Töne aus Washington so anders? "Die USA haben ein sehr viel schwächeres Gesundheitssystem als wir", sagt Dötsch. "Viele Menschen haben nur sehr eingeschränkt Zugang zur Gesundheitsversorgung. Dort sind mehr Kinder gestorben. Und es gibt mehr Kinder mit einem höheren Risiko. Zum Beispiel sind in den USA mehr Kinder stark übergewichtig, oder gehören einer ethnischen Bevölkerungsgruppe mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Verlauf an, das sind Risikofaktoren."
Vor der Autorisierung in den USA durchlief der Impfstoff von BioNTech/Pfizer die üblichen Tests. Er sei sicher und würde zu einer erhöhten Produktion von Antikörpern bei Kindern führen, so die Unternehmen.
Impfen vor der Zulassung?
Vom sogenannten "Off-Label Use" des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes, also einer Abgabe an Kinder unter zwölf vor der EMA-Zulassung, so wie es einige deutsche Kinderärzte in Einzelfällen bereits tun, rät Dötsch ab. "Damit tun sich Ärzte und Familien nichts Gutes", sagt der Pädiater, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist.
Noch gebe es schließlich keine kindgerechte Darreichung. Die Dosis für fünf- bis elfjährige Patienten ist mit zehn Mikrogramm um zwei Drittel kleiner als die 30 Mikrogramm, die ältere gespritzt kriegen. Da die Zehn-Mikrogramm-Ampullen noch nicht verschickt wurden, sei es schwierig, genau die richtige Dosis zu treffen. Und vor einer Zulassung sei auch die rechtliche Lage für Ärzte noch schwierig, sagt Dötsch.
Armann sagt, dass Kinderärzte auch andere Medikamente für ihre jungen Patienten verwenden, die nur für Erwachsene zugelassen sind, beispielsweise weil die Pharma-Firma, die sie produziert, kein Geld in eine Kinder-Studie investieren wollte. In einigen Fällen, beispielsweise mit bestimmten Epilepsie-Medikamenten, gebe es jahrelange Erfahrungen mit dieser Praxis. Wenn die Eltern unterschreiben, dass sie informiert wurden, sehe er keine rechtlichen Probleme, sagt der Dresdner Kinderarzt.
Aber: "Beim Impfen ist das komplizierter", so Armann. "Bei Arzneien ist das Kind, um das es geht, erkrankt. Aber impfen tue ich ja gesunde Kinder. Man kann das machen, aber ich sehe die Notwendigkeit nicht."
Rat an die Eltern
In wenigen Tagen wird die Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes für Fünf- bis Elfjährige aber vermutlich kommen. Was werden Ärzte den Eltern dann raten?
"Ich höre den Eltern erstmal zu", sagt Dötsch. "Ich hatte Anrufe und E-Mails, wo jemand sagt 'Wir haben unser Kind jetzt anderthalb Jahre nicht in die Schule gehen lassen vor lauter Angst vor der Erkrankung.' Wenn es einen zugelassenen Impfstoff gibt, würde ich hier sofort sagen 'Gut, dann impfen wir jetzt', um dem Kind die Möglichkeit zu öffnen, wieder am sozialen Leben teilzunehmen."
Wenn dagegen Eltern sagten, sie wollten ihre Kinder zwar impfen, könnten aber noch keine abschließende Entscheidung treffen, sehe die Situation anders aus, so Dötsch. "Dann würde ich raten 'Warten Sie das ab, was die STIKO sagt.'"