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CRISPR-Krise: China will Ruf seiner Gentechnik schützen

24. Januar 2019

Mit neuen Erfolgsmeldungen und einer symbolischen Abstrafung des "Chinesischen Frankensteins" will China von laschen Ethik-Standards ablenken. Denn der "Tabubruch Gen-Kinder" war angekündigt und genehmigt.

China Shanghai - China klont erstmals mehrere genveränderte Affen
Bild: picture-alliance/Xinhua//Institut für Neurowissenschaften der chinesischen Akademie der Wissenschaften

Nachdem chinesische Wissenschaftler wegen ihrer Gen-Experimente in die Kritik geraten waren, präsentiert China eine neue Erfolgsmeldung: Chinesische Wissenschaftler haben erstmals einen genmanipulierten Makaken mit Biorhythmusstörungen für Forschungszwecke geklont und mehrere Nachfahren gezüchtet. Die Studie wurde im chinesischen Fachjournal National Science Review am 24. Januar 2019 veröffentlicht

Der zirkadische Rhythmus wird beim Menschen mit Schlafstörungen, Depression, Diabetes, Krebs und neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer in Verbindung gebracht.

Erstmals stünden den Wissenschaftlern damit fünf Affen mit dem gleichen genetischen
Hintergrund zur Verfügung, schrieb die Nachrichtenagentur Xinhua. Ausdrücklich betont Xinhua, dass dieses Forschungsprogramm in Übereinstimmung mit internationalen Standards überwacht worden sei. 

Kurz zuvor hatte das staatliche Sprachrohr verkündet, dass der umstrittene Wissenschaftler He Jiankui von der chinesischen Justiz zur Rechenschaft gezogen werde. Er hatte Ende November 2018 auf einer internationalen Gentechnik-Konferenz in Hong Kong bekannt gegeben, dass es ihm gelungen war, mit der Genschere CRISPR/Cas9 veränderte menschliche Embryonen zu erzeugen, die gegen das HI-Virus, welches die Immunschwächekrankheit AIDS auslöst, immun sind. Zwei genveränderte Zwillinge hatte eine Patientin zu dem Zeitpunkt bereits geboren. Das Vorgehen hatte international Entsetzen ausgelöst.

Ermittlungen gegen He

Der Fall sei den "öffentlichen Sicherheitsbehörden" übergeben worden, berichtete kürzlich Xinhua, He werde bestraft. Seine Fakultät für Biologie der Süd-Universität für Wissenschaft und Technik (SUSTec) in Shenzhen beendete am 21.01.19 jede Zusammenarbeit mit dem schwarzen Schaf der Biotechnologie.

"Auf Grundlage der Ergebnisse des Untersuchungsteams 'Gene Editing Baby Event' in der Provinz Guangdong hat sich unsere Schule entschieden, den Arbeitsvertrag mit He Jiankui aufzuheben und alle Lehr- und Forschungsaktivitäten in der Schule zu beenden." 

Die Biologie-Fakultät der Uni Shenzen beendet die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Forscher HeBild: sustc.edu.cn

Der Biophysiker He Jiankui wurde von seiner Hochschule beurlaubt, da He die "akademische Ethik und Normen" verletzt habe. Außerdem ordnete Chinas Nationale Gesundheitskommission eine offizielle Untersuchung an. Die Provinzregierung beschuldigte He zudem, er habe "ethische Prüfpapiere gefälscht" und "vorsätzlich die Überwachung umgangen", schreibt Xinhua.

Der Wissenschaftler habe "privat" ein internationales Projektteam samt ausländischen Mitarbeitern organisiert und eine "Technologie mit ungewisser Sicherheit und Effektivität" eingesetzt. Nach Angaben der Ermittler hatte es He auf "persönlichen Ruhm" abgesehen. Dafür habe er sich auch selbst um die Finanzierung seines Vorhabens gekümmert. 

Drittes genverändertes Kind wird bald geboren - die Behörden kümmern sich drum

Gleichzeitig bestätigte Xinhua, dass eine zweite Mutter nach Ermittlungen einer chinesischen Provinzregierung durch einen Eingriff von He Jiankui schwanger wurde. Das Kind sei noch nicht auf der Welt, die werdende Mutter komme ebenso wie die im November geborenen Zwillingsmädchen unter ärztliche Aufsicht. Um die Betreuung werde sich der chinesische Staat kümmern.

Nach offizieller Darstellung ist He Jiankui also ein geltungssüchtiger Einzelgänger, der die offiziellen Kontrollen bewusst umgangen habe, aber die chinesische Justiz werde ihn für Auswüchse bestrafen, so die Message. 

Empörung statt Applaus für den "chinesischen Frankenstein" He Jiankui Bild: picture-alliance/Maxppp/VCG

Das Vorgehen des Wissenschaftlers war in Wissenschaftskreisen, in Politik und Gesellschaft heftigst kritisiert worden. Von "Tabubruch" und einer "ethischen Grenzüberschreitung" war die Rede, laut Emmanuelle Charpentier, einer der Entdeckerinnen des Crispr/Cas9-Mechanismus, habe He Jiankui eine "rote Linie überschritten". Die Universität in Shenzhen distanzierte sich von dem Projekt und dem Forschungsteam, die chinesische Presse taufte He Jiankui "Chinas Frankenstein".

Angesichts der weltweiten Empörung verwundert die resolute Reaktion der staatlichen Stellen nicht wirklich: Bei dem Medizinkongress in Hongkong hatte der Biophysiker der entsetzten Öffentlichkeit zudem mitgeteilt, dass sich insgesamt acht Paare an den Studien beteiligt hätten, wobei die Väter HIV-positiv und die Mütter HIV-negativ gewesen seien. Bei dieser Konferenz hatte He auch bereits die "zweite potenzielle Schwangerschaft" angekündigt.

Wo versteckt sich "Chinas Frankenstein"?

Wo sich der umstrittene Forscher derzeit befindet, ist weiterhin unklar. Fest steht nur, dass er nicht mehr öffentlich in Erscheinung tritt. Anfang Dezember hatte die chinesische Zeitung "Apple Daily" berichtet, He Jiankui stehe unter Hausarrest auf dem Campus, nachdem sein Universitätsdirektor mehrere Stunden mit dem Forscher gesprochen habe.

Laut "Apple-Daily" sei ein Polizeiauto vorgefahren und mehrere Wachleute hätten den Campus abgesperrt. Diese Darstellung allerdings bestreitet die Universität: "Im Moment hat niemand korrekte Informationen, nur die offiziellen Kanäle sind korrekt", sagte eine Sprecherin der Universität von Shenzhen gegenüber der "South China Morning Post". Außerdem sagte die Sprecherin damals gegenüber der chinesischen Zeitung: "Wir können derzeit keine Fragen beantworten, aber wenn wir Informationen haben, werden wir sie über unsere offiziellen Kanäle aktualisieren." 

Auch hier ist die Message klar: He wird weiter von der Öffentlichkeit abgeschirmt, die Behörden werden eine offizielle Sprachregelung finden und dann über die offiziellen Kanäle verbreiten. 

Wer wusste wann was?

Angesichts der strikten staatlichen Kontrollen verwundert es schon, dass He "privat" ein internationales Projektteam samt ausländischen Mitarbeitern organisiert und "sich auch selbst um die Finanzierung seines Vorhabens gekümmert " habe. Kann ein "chinesischer Frankenstein" tatsächlich einen derartigen Tabubruch im stillen Kämmerlein begehen, ohne dass die offiziellen Stellen etwas davon mitbekommen haben?

Die Untersuchungen sollen zeigen, ob He "ethische Prüfpapiere gefälscht" und "vorsätzlich die Überwachung umgangen" hat, wie es das offizielle chinesische Sprachrohr Xinhua darstellt. Fakt ist aber, das der Biophysiker als aufgehender Stern in der Genom-Forschungsszene über Jahre reichlich staatliche Unterstützung bekam. Nach Angaben der "South China Morning Post" soll er für seine Arbeit seit 2015 umgerechnet rund fünf Millionen Euro an öffentlichen Geldern bekommen haben.

Das umstrittene Forschungsvorhaben war registriert und wurde von der Ethik-Kommission geprüft. Jetzt wurde die Genehmigung wieder entzogen.Bild: http://www.chictr.org.cn

Sein Forschungsvorhaben "Evaluation of the safety and efficacy of gene editing with human embryo CCR5 gene" hat He Jiankui auch ganz offiziell im chinesischen Studienregister "Chinese Clinical Trail Registry" am 08.11.2018 mit der Registrierungsnummer ChiCTR1800019378 angemeldet. Dort ist auch vermerkt, dass das Ethik-Komitee den Antrag 20170307 geprüft hat, die entsprechende Bescheinigung hängt dem Formular an. Darin heißt es sogar im Wortlaut: "Genehmigung der Medizinischen Ethik-Kommission: In Übereinstimmung mit den ethischen Standards, vereinbaren Sie die Durchführung."

Prüfbericht vom Ethic Commitee zum Forschungsvorhaben im chinesischen Studienregister Bild: http://www.chictr.org.cn

Alles Lüge, verlautet nun von offizieller Seite, He habe "ethische Prüfpapiere gefälscht". Entsprechend ist auf dem Antragsformular jetzt zu lesen, dass der Antrag zurückgezogen wurde, weil die ursprünglichen Antragsteller keine Daten zur "Überprüfung der Sicherheit und Validität der Bearbeitung von HIV-Immun-Genen, [sogenannten] CCR5-Genen, in menschlichen Embryonen" zur Verfügung stellen können.

Die Vorhaben des Forschers waren also hinreichend bekannt und sie wurden auch mit öffentlichen Geldern massiv unterstützt. Nach der weltweiten Empörung über den Tabubruch will davon allerdings keiner gewusst haben.

Zweifelhafter Doktorvater aus den USA

Ethische Vorwürfe gibt es auch an Hes amerikanischen Doktorvater, Michael Deem von der Rice University in Texas, der von dem Eingriff bei den Zwillingen wusste und auch zugegen war, als die Paare ihre Einwilligung für den Eingriff gaben. Die Aufklärungsbögen für die Patientinnen waren im November 2018 noch Online einsehbar (hier seinerzeit verlinkt in diesem Kommentar). Mittlerweile funktionieren die Verlinkungen dorthin aber nicht mehr. 

Deem hält außerdem kleinere Anteile an zwei Firmen, die He gründete, und ist in deren wissenschaftlichem Beraterteam. Nach seiner Rückkehr aus den USA konnte He insgesamt 35 Millionen Dollar für seine Startups einsammeln. Zudem habe He Umfragen in Auftrag gegeben, die öffentliche Zustimmung für sein Vorhaben signalisieren sollten. Auch das war bekannt, aber die offiziellen Stellen in China wollen davon nichts gewusst haben. 

Ruf der boomenden Biotechnologie-Branche gefährdet

Die negative Berichterstattung schadet der aufstrebenden chinesischen Biotechnikindustrie. Vor allem von der CRISPR/Cas9-Technologie verspricht sich China große Möglichkeiten. Im staatlichen Fünfjahresplan sind für die Biotechnologie Ausgaben von mehr als 400 Millionen Euro geplant. Die Biotechnologie ist eine von zehn wissenschaftlichen Disziplinen, die als Zukunftstechniken besondere Förderung in China genießen. Vor allem in der Genforschung strebt die chinesische Regierung eine Schlüsselrolle an, weil in der traditionellen Pharmazeutik westliche Unternehmen ihre Spitzenposition behaupten werden.

"China soll eine weltweite Führungsstellung in Wissenschaft und Technik einnehmen", sagte Chinas Präsident Xi Jinping im Mai 2018 vor Mitgliedern der Chinese Academy of Sciences (CAS). China müsse den Rückstand aufholen und zum Vorreiter und Innovator werden. Die staatliche Zielvorgabe von höchster Stelle gilt für alle Ministerien, Behörden und Forschungseinrichtungen, in denen stramme Parteimitglieder auf Schlüsselpositionen sitzen.

China will seinen Vorsprung in der Gentechnik verteidigen - aber schlechte Schlagzeilen vermeiden. Bild: picture-alliance/dpa/Xinhua/J. Liwang

Begründete Euphorie - auch im Westen

Neben den staatlichen Fördergeldern flossen nach Angaben von Bloomberg in 2017 zusätzlich rund eine Milliarde Dollar privates Kapital in die chinesische Biotechnologie. Nicht von ungefähr hat die US-Bank Morgan Stanley den "China Biotech Index" geschaffen, in dem sich 15 vielversprechende Biotech-Firmen mit einem Schwerpunkt auf China wiederfinden. 

Der Tabubruch des "Chinesischen Frankenstein" wirft da ein unnötiges Schlaglicht auf die gesamte Branche. Entsprechend scharf verurteilten auch 112 chinesische Biotechnologie-Wissenschaftler in einem Protestbrief seine Forschung als "verrücktes Experiment", das den Erfolg ihrer aufstrebenden Biotechnikindustrie gefährde. Das ist um so bemerkenswerter, da es in China bekanntlich nicht sehr häufig vorkommt, dass Protestbriefe öffentlich publik gemacht werden können. 

Auch wenn die Forscherszene und die die Regierung demonstrativ von dem umstrittenen Forscher He distanzieren, gehen die ethisch heiklen Experimente mit der Genschere natürlich weiter. "Ich wage zu sagen, dass es zahlreiche weitere Labore gibt, die in dieser Richtung weiterarbeiten", zitiert etwa die Augsburger Allgemeine Zeitung den chinesischen Biowissenschaftler Wang Haifeng, der als Senior Vizepräsident für die chinesische Firma Baidu unter anderem für die Bereiche Künstliche Intelligenz und Forschung verantwortlich ist. 

Niedrige Standards versus langwierige Verfahren

Schon lange wird China vorgeworfen, dass dort die ethischen Standards deutlich niedriger seien als in westlichen Ländern. Die chinesischen Forscher müssten sich weniger mit ethischen Bedenken oder staatlichen Kontrollen auseinandersetzen, nur so sei in näherer Zukunft der Anschluss an die US-Biotechnologie möglich.

Der Westen und China werden sich wohl weiter niedrige Standards versus langwierige Verfahren vorwerfen. Der attraktive Biotechnologie-Bereich ist hart umkämpft. China wird mit verbindlichen ethischen Standards und einer strikten staatlichen Kontrolle dafür sorgen, dass seine boomende Biotechnologie trotz aller Euphorie - auch im Westen - nicht in Misskredit gerät. Die offiziellen Stellen werden alles daran setzen, dass "Chinas Frankenstein" und die "chinesische CRISPR/Cas9 Krise" schnell wieder in Vergessenheit geraten. Neue, unumstrittene Forschungserfolge sollen zukünftig die Schlagzeilen beherrschen.

 

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