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Crowdfunding: Wie Palästinenser ihre Ausreise finanzieren

Cathrin Schaer
10. März 2024

Der Grenzübergang zwischen Rafah im Gazastreifen und Ägypten ist gesperrt. Doch wer genug zahlt, darf trotzdem passieren. Verzweifelte Palästinenser versuchen nun, im Internet Spenden für ihre Ausreise zu sammeln.

Mehrere Frauen und Mädchen sitzen wartend zwischen Koffern und Reisetaschen
Wartende Ende Februar am Grenzübergang RafahBild: Khaled Omar/Xinhua/picture alliance

Die Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen ist geschlossen. Dennoch konnten immer mehr Palästinenser den Grenzübergang in Rafah passieren, um das Kriegsgebiet zu verlassen. Nötig sind dafür nur die richtigen Dokumente, die richtigen Kontakte und genug Bargeld.

"Seit Jahren bietet ein Netzwerk aus Reisebüros und Mittelsmännern in Ägypten und Gaza ein Schnellverfahren für die Ausreise über Rafah an, die Preise reichen von mehreren Hundert bis zu mehreren Tausend Dollar", schrieb das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), eine internationale Organisation für investigative Berichterstattung, Ende Januar. Früher habe die sogenannte "Koordination" zwischen 350 und 600 US-Dollar (etwa 320 bis 550 Euro) gekostet. Doch "je größer die Verzweiflung, desto besser das Geschäft", so die OCCRP.

"VIP-Service" für 1200 Dollar war einmal

Während Israel seine Militäroperation im Gazastreifen fortsetzt und teilweise die Versorgung mit Strom, Wasser, Lebensmitteln und medizinischer Hilfe blockiert, blüht das Geschäft mit der Ausreise an der ägyptischen Grenze. Im Mittelpunkt aktueller Medienberichte darüber steht das ägyptische Unternehmen Hala Consulting and Tourism. Recherchen deuten auf Verbindungen zu dem lokalen Tycoon Ibrahim a-Organi und möglicherweise zum ägyptischen Militär hin.

Wenn humanitäre Hilfe für Gaza blockiert wird

03:24

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Seit 2019 bietet Hala am Grenzübergang Rafah einen "VIP-Service" an - zunächst kostete er 1200 US-Dollar (rund 1100 Euro). Seit Beginn der aktuellen Eskalation des Nahostkonflikts ist der Preis jedoch massiv gestiegen - nach unterschiedlichen Angaben auf 5000 oder gar mehr als 10.000 US-Dollar pro Erwachsenen.

Bereits vor der militärischen Antwort auf den Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober lag die Arbeitslosenquote im Gazastreifen um 50 Prozent. Der durchschnittliche Tageslohn betrug nach Angaben des US-Außenministeriums etwa 13 US-Dollar.

Letzte Chance: Crowdfunding

Für die meisten Menschen im Gazastreifen ist es daher nahezu unmöglich, eine Ausreise zu finanzieren, geschweige denn eine ganze Familie über die Grenze zu bringen. In ihrer Not versuchen einige Menschen, die erforderliche Summe durch Crowdfunding aufzubringen. Beim Crowdfunding werden über Soziale Medien massenhaft Menschen aufgefordert, mit kleinen Spenden große Summen für einen bestimmten Zweck aufzubringen.

Seit Ende Januar ist auf Crowdfunding-Websites ein sprunghafter Anstieg an Kampagnen für den Gazastreifen zu verzeichnen. JustGiving und GoFundMe gehören zu den beliebtesten Websites für diese Art von humanitären Anliegen. Mittlerweile sind es wohl Tausende, und fast alle haben das Ziel, Geld für eine Evakuierung zu sammeln. Eine Analyse des britischen Sender Sky News hat ergeben, dass das durchschnittliche Kampagnenziel bei rund 38.000 Dollar lag.

In der Kategorie Notfälle von GoFundMe.com auf Englisch sammelten 75 der ersten 100 Einträge Geld für eine Evakuierung aus dem GazastreifenBild: gofundme.com

Allerdings kann beispielsweise GoFundMe nur in 19 Ländern genutzt werden, die sich fast alle in Europa oder Nordamerika befinden. Palästinenser im Gazastreifen benötigen also meist einen Kontakt in einem dieser Länder, der ihre Kampagnen einrichtet, das gespendete Geld entgegennimmt und dann weiterleitet.

Den Namens- und Ortsangaben nach beteiligen sich alle möglichen Spender, die sich von der Botschaft der Kampagne angesprochen fühlen. So sammelte ein Crowdfunder aus Schottland in nur 24 Stunden 50.000 britische Pfund (etwa 58.000 Euro) von mehr als 2000 Unterstützern. Die höchste Einzelspende betrug 2400 Pfund, die kleinste fünf.

Wer profitiert von den Kampagnen?

Zu den Profiteuren gehört mit einiger Sicherheit jene Hala Consulting and Tourism, die sich der Presse gegenüber nicht äußert. Tatsächlich dürften täglich rund 250 Personen die Grenze in Rafah überqueren. Anhand von Namenslisten hat das Investigativ-Team von Sky News geschätzt, wie viele davon die einschlägige "Koordination" bezahlen müssen. Es kommt zu dem Schluss, dass Hala damit zurzeit pro Tag eine Million Dollar einnehmen könnte.

Aber auch die Crowdfunding-Websites profitieren. GoFundMe etwa nimmt 30 Dollar-Cent pro Spende plus 2,9 Prozent der Summe als Provision. Wenn also durch 2000 Einzelspenden 50.000 britische Pfund gesammelt werden, verdient GoFundMe daran mehr als 2500 Dollar (etwa 2250 Euro).

Bei weitem nicht alle Spendenaufrufe sind erfolgreich, manche scheitern ganzBild: gofundme.com

Natürlich haben auch diejenigen etwas davon, die ausreisen können. Aber nicht jeder hat Erfolg. Besonders schnell kann  es gehen, wenn man ein gutes Netzwerk aus Freunden und potenziellen Spendern hat oder eine gewisse Popularität in sozialen Medien. Oft werden besonders gut laufende Kampagnen genutzt, um auch andere Spendenaktionen für Gaza zu bewerben.

Die kanadische Zeitung "Toronto Star" berichtet, dass Palästinenser auch Influencer um Hilfe bitten, die dann ihren Einfluss in sozialen Medien nutzen, um Spendenaufrufe zu verbreiten. Etliche Kampagnen erhalten jedoch auch nach langer Zeit keine Spenden.

Bremst Angst vor Hamas-Finanzierung Kampagnen aus?

Offenbar sind einige Crowdfunding-Websites jedoch nicht besonders gut auf Kampagnen eingerichtet, die als politisch umstritten gelten können. Ende Februar berichtete die US-amerikanische Technologie-Website The Verge, dass eine "strenge Moderation" die Hilfsbemühungen einiger Spendensammler im Gazastreifen verlangsamt habe und "mit uneinheitlichen Richtlinien Kampagnen-Organisatoren und Spender verwirrt" hätten.

Strom, Wasser, Lebensmittel Medikamente - im Gazastreifen mangelt es derzeit an allemBild: Abed Zagout/Anadolu/picture alliance

Experten erklärten laut The Verge, dass dies aus Angst vor Betrug geschehen sein könnte oder aber weil die Plattformen selbst den Vorwurf befürchteten, eine terroristische Gruppe zu finanzieren. Die militant-islamistische Hamas, die den Gazastreifen politisch kontrolliert, wird von vielen, vor allem westlichen Ländern als Terrororganisation eingestuft. Israelische Beamte sagten der Nachrichtenagentur Bloomberganonym, dass sie glaubten, dass der Anstieg der Spenden auch diejenigen schützen könnten, die der Hamas Geld schickten, ohne jedoch zu erklären, wie.

Wer seinen Termin verpasst, fängt von vorne an

Der einfachste Weg, eine Ausreise tatsächlich in Gang zu bringen, ist laut der libanesischen Zeitung "L'Orient Le Jour", das Geld in bar und die Liste mit den Namen der zu evakuierenden Personen im Hauptquartier von Hala in Kairo persönlich abzugeben. Für diejenigen, die bezahlt haben, beginnt dann oft eine quälende Warterei. Für gewöhnlich werden täglich Listen mit den Namen derjenigen, die an der Reihe sind, in Sozialen Medien veröffentlicht. Doch wegen der schlechten Versorgungslage in Gaza sind auch Strom und Internetzugang lückenhaft. Berichten zufolge haben dadurch einige ihren Ausreisetermin verpasst, und müssen sich dann noch einmal bewerben - und noch einmal bezahlen.

Beim Redaktionsschluss dieses Artikels war die Online-Reservierung von Hala geschlossen. Dies werde so bleiben, bis die aktuellen Listen abgearbeitet seien, schreibt die Agentur und fügt hinzu: "Bitte versammeln Sie sich nicht vor den Toren des Unternehmens, bis die Registrierung wieder öffnet."

Aus dem Englischen von Jan D. Walter

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