Syriens Wiederaufbau: Ist Crowdfunding echte Hilfe oder PR?
26. Oktober 2025
Weite Teile Syriens liegen in Schutt. Um neue Häuser und Wohnungen zu errichten und die Infrastruktur wieder funktionsfähig zu machen, wird es viele Milliarden Euro brauchen. Bei der UN-Vollversammlung im September hat Syriens Präsident Ahmad Al-Scharaa mehr Hilfe für den Wiederaufbau gefordert. Doch syrische Aktivisten wollen offenbar nicht auf die Politik warten. Seit August haben sie mehrere Crowdfunding-Kampagnen ins Leben gerufen - internetgestützte Spendenaktionen zur privaten Finanzierung des Wiederaufbaus.
Nach derzeitigem Stand gehören sie zu den weltweit erfolgreichsten überhaupt. Allein eine entsprechende Aktion für die nordsyrische Region Idlib, die Ende September startete, sammelte innerhalb eines Tages Spenden in Höhe von rund 208 Millionen US-Dollar (178 Millionen Euro) ein. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 sammelte die ehemalige US-Vizepräsidentin Kamala Harris für ihre erfolglose Präsidentschaftskandidatur im gleichen Zeitraum eine Summe von 47 Millionen US-Dollar (40,3 Millionen Euro).
Seit dem Hochsommer wurden in verschiedenen Städten und Distrikten Syriens mindestens zehn verschiedene Crowdfunding-Kampagnen gestartet. Zwar werden in lokalen Medien Gesamtsummen über die gesammelten Beträge veröffentlicht. Aufgrund der unterschiedlichen Spendenformen lassen sie sich jedoch nur schwer unabhängig überprüfen. Der kleinste Betrag wurde aus Kafr Rumah, einer Stadt in der Provinz Idlib, gemeldet. Die Organisatoren gaben an, sie hätten Spendenzusagen von über 150.000 US-Dollar erhalten. Der höchste Betrag lief demnach in der Provinz Idlib ein. Soweit die DW die Medienberichte analysieren konnte, beträgt die Gesamtsumme der verschiedenen syrischen Crowdfunding-Kampagnen eine halbe Milliarde US-Dollar.
Die Spendenkampagnen wurden mit Jubel, Stolz und erheblichem Medienecho aufgenommen. Vielen Syrern geben die Erfolge Hoffnung, ihr durch einen mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg verwüstetes Land wieder lebenswert zu machen und eine nennenswerte Infrastruktur zu errichten: "Diese Kampagnen wurden auf der Grundlage der Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Syrern ins Leben gerufen", sagt Fadel al-Akl, Mitglied des Organisationskomitees der Spendenkampagne in Idlib. "Es gibt keine Infrastruktur, keine Schulen, keine medizinische Versorgung, nicht einmal Wasserpumpstationen. Der erste Schritt besteht also darin, das Leben in diesen zerstörten Dörfern und Städten wiederherzustellen."
Kampagne von allen für alle
"Wir haben gesehen, dass alle Menschen, ob reich oder arm, teilgenommen haben", berichtet al-Akl. Dieser Befund spiegelt sich in einer aktuell laufenden Aktion der Kampagne in Idlib wider. Auf der Crowdfunding-Website sind derzeit (Stand 26.10.2025) erneut Spenden im Wert von über 360.000 US-Dollar von mehr als 3800 Personen verzeichnet. Die Beträge der Einzelspenden reichen von einem bis zu 25.000 US-Dollar.
"Nach Jahren des Krieges wollte ich zu dieser Kampagne für alle meine syrischen Brüder und Schwestern beitragen", sagt Mustafa al-Farra, ein syrischer Geschäftsmann aus Maarat al-Numan im Süden Idlibs. Dafür hat er 250.000 US-Dollar gespendet. "Möge Syrien nach dem Wiederaufbau zu seinem früheren Glanz - und einem noch größeren - zurückkehren", sagt er.
Die größte Spende der Idlib-Kampagne kam von dem syrischen Milliardär Ghassan Aboud, der in Idlib geboren wurde und Anfang der 1990er Jahre in die Vereinigten Arabischen Emirate auswanderte. Der früher als Feind des Assad-Regimes geltende Unternehmer spendete 55 Millionen US-Dollar (47,5 Millionen Euro).
Fragen zur Herkunft der Gelder
Doch nicht alle waren so begeistert. Einer der Kritiker ist Haid Haid, Syrien-Forscher am britischen Thinktank Chatham House. Anfang Oktober schrieb er im britischen Magazin Al Majalla über die wohlhabende Familie Hamsho - bekannt für fragwürdige Geschäftsbeziehungen zum gestürzten syrischen Diktator Baschar al-Assad: "Der Aufruhr über die Spenden der Familie hat die Debatte über den undurchsichtigen Umgang der Übergangsregierung mit ehemaligen Partnern Assads neu entfacht." Die Familie hatte mehrere Millionen für zwei Kampagnen gespendet.
Eine der jüngsten Kampagnen sollte Spenden für die südliche Region Suweida sammeln. Doch die Region hat derzeit erhebliche Probleme: Sie ist das Zentrum der drusischen Minderheit in Syrien, und die Beziehungen zwischen ihnen und den regierungstreuen Kräften sind angespannt. Es gibt Berichte über Gewalt, außergerichtliche Tötungen und Entführungen.
Diese Kampagne sei für viele Menschen in der Region nicht akzeptabel gewesen, sagte Salman al-Shawfi, ein Bauer aus Suweida, der DW: "Sie starteten die Kampagne an einem für Trauer vorgesehenen Ort, zündeten Feuerwerk und sammelten Spenden für den Wiederaufbau von Dörfern, deren Bewohner vertrieben worden waren. Einige Bewohner dieser Dörfer wurden während der jüngsten Gewaltwelle getötet", beklagt er. "Diese Kampagne ist inhaltsleer."
Kommen Spenden aus Ministerien?
Kritiker der Kampagnen deuten zudem an, einige der größeren Spenden für die Crowdfunding-Kampagnen kämen aus Projekten, die bereits geplant und budgetiert seien. Dies gelte insbesondere für einige der Millionenspenden. Diese "Spenden" müsse man tatsächlich dem Jahresbudget verschiedener Ministerien zurechnen, behaupten sie. Die jeweiligen Summen seien demnach ohnehin den jeweiligen Städten oder Bezirken zugedacht: "Das sind keine neuen Mittel, es geht nur um Imagepflege für die neue Regierung", beschwerte sich ein Kommentator in den sozialen Medien.
So berichteten lokale Medien, dass zu den größten Geldgebern in Idlib das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit 14 Millionen Dollar und die Syrian American Medical Society (SAMS) mit 11 Millionen Dollar gehörten. Hier könnte es sich allerdings um ein Missverständnis handeln.
Das UNDP reagierte zwar nicht auf die Bitte der DW um Klarstellung, wohl aber Abdulfatah Elshaar, Vorstandsvorsitzender der SAMS. Demnach handele es sich bei den 11 Millionen Dollar nicht um eine der Geldspenden fürs Crowdfunding. Sie seien für verschiedene Projekte bestimmt, darunter ein Spezialkrankenhaus und ein Krebszentrum, an denen die SAMS in Syrien arbeite, erklärte Elshaar der DW: "Natürlich haben wir die Entscheidung zur Umsetzung dieser neuen Projekte nicht am Tag der Spendenaktion getroffen. Wir haben sie nur an diesem Tag angekündigt."
Beobachter stellten auch Fragen zur Transparenz und zur genauen Art und Weise der Sammlung der Spenden - und ihrer Verwendung. Auf Nachfrage des syrischen Medienunternehmens Enab Baladi versprachen die Organisatoren der Spendenaktion, Listen zu veröffentlichen, aus denen hervorgehe, wer gespendet hat und wofür das Geld ausgegeben werde. Andere Aktivisten erklärten, einige Personen spendeten auch aus Sorge um ihren sozialen Ruf. Denn täten sie das nicht, so ihre Sorge, würden sie in der Gemeinde schlecht dastehen.
In Idlib erklärte Fadel al-Akl der DW, dass etwa ein Fünftel des Geldes in bar gespendet worden sei. Weitere 40 Prozent seien in Form bereits geplanter Projekte gekommen, der Rest des Geldes sei über Bankkonten gelaufen: "Manche Leute haben kein Bargeld zur Hand und versuchen, ihr Vermögen in Bargeld umzuwandeln", erklärte er. "Wir wissen das zu schätzen und gehen davon aus, dass sie das zahlen werden, was sie öffentlich zugesagt haben."
Doch ganz gleich, wie viel Geld hereinkommt und welche Summen Teil der geplanten Projekte oder Budgets sind: Crowdfunding wird sicher nicht die gesamten Kosten des syrischen Wiederaufbaus decken. In einem diese Woche veröffentlichten Bericht schätzte die Weltbank sie auf rund 216 Milliarden US-Dollar.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.