Ein tödliches Verlangen
6. November 2015Kein Hunger, kein Durst, dabei hellwach, euphorisch und ohne Angst – und das je nach Dosis bis zu 30 Stunden lang. So fühlen sich Menschen, die Crystal Meth einnehmen. In einer Gesellschaft, in der Leistung und Schnelligkeit gefragt sind, gewinnt diese Droge zunehmend an Attraktivität.
So lautet das Fazit von Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. "Selbst junge Mütter greifen häufiger zu Methamphetaminen, um in einer Phase ständiger Müdigkeit leistungsfähig zu sein oder um abzunehmen", erklärte sie auf der Jahrestagung der Drogenbeauftragten in Berlin.
Das böse Erwachen kommt rasch, denn Crystal Meth macht schnell süchtig. Die Nachwirkungen können mehrere Tage anhalten und einem psychischen Absturz gleichkommen. Irgendwann erscheint es unvorstellbar, den Alltag ohne die Droge durchstehen zu können.
Doch Crystal Meth zerstört den Körper, je länger es eingenommen wird. "Der Traum wird zum Albtraum", beschreibt Mortler den physischen und psychischen Verfall. "Crystal Meth verspricht am Anfang viel und hält am Ende nichts."
Erst Euphorie, dann Absturz
Wegen der zunächst überwältigenden Wirkung von Crystal Meth werden solche Warnungen oft in den Wind geschlagen oder schlicht nicht geglaubt, sagt Norbert Wodarz, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Regensburg.
Wodarz berichtet über eine Studie aus den USA, in der Konsumenten mit abschreckenden Fotos von Süchtigen konfrontiert wurden, die deren Verfall über einen Zeitraum von mehreren Jahren dokumentieren. "Wenn man die User fragt, was sie von solchen Fotos halten, dann sagen die: Das ist alles Käse, plakative Abschreckung. Gucken Sie mich an, ich habe das doch alles nicht."
Neu ist die Droge nicht. Schon im Zweiten Weltkrieg wurde Methamphetamin eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit und Konzentration der deutschen Soldaten zu steigern. Im Vietnamkrieg kam die Substanz auf amerikanischer Seite zum Einsatz. Bis 1988 war Methamphetamin unter dem Namen Pervitin als Medikament in Deutschland erhältlich.
Laut Suchtexperte Wodarz erreicht man die Konsumenten mit den klassischen Angeboten der Suchtprävention und Behandlung kaum. In seiner Klinik, die 100 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt liegt, gibt es kaum noch drogenabhängige Patienten, die nicht wenigstens Crystal Meth als Beigabe konsumieren.
Wer eine Überdosis Heroin nimmt, muss vor allem schnell gefunden und reanimiert werden. Wer viel Crystal Meth im Körper hat, will sich nicht helfen lassen. "Die sind maximal erregt und unruhig und nur schwer unter Kontrolle zu bringen", weiß Wodarz.
Ermittler beklagen Gesetzeslücken
Während der Konsum von Heroin, Kokain und Crack abnimmt, steigt der Crystal-Konsum an. Das bekommt auch Suchtberatungsstellen zu spüren. Im nordöstlichen Bayern, in Sachsen, aber auch in Thüringen und im südlichen Sachsen-Anhalt übersteigt die Zahl der hilfesuchenden Crystal Meth-Konsumenten inzwischen diejenigen mit Problemen beim Cannabiskonsum.
Entsprechend wird auch die Polizei bei Drogenrazzien immer häufiger fündig. Wurden im Jahr 2008 erst 4,2 Kilogramm Crystal Meth sichergestellt, waren es 2014 insgesamt 73 Kilogramm. Im Juli dieses Jahres gelang in Berlin mit rund 4,5 Kilogramm die bislang größte Beschlagnahmung. Der Schwarzmarktwert belief sich auf 675.000 Euro.
Parallel zu den Razzien in Deutschland setzt das Bundeskriminalamt auf eine bessere Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen. Die Polizei tauscht dabei nicht nur Informationen aus, es gibt auch gemeinsame Kontrollen an den Grenzen und auf den Asia-Märkten, auf denen die Drogen verkauft werden.
Peter Henzler, Vizepräsident des Bundeskriminalamts, verlangt zusätzlich eine stärkere Kontrolle der Chemikalien, aus denen Crystal Meth hergestellt wird. Effektive und erfolgreiche Polizeiarbeit sei sonst unmöglich.
Als Beispiel zitiert Henzler einen Fall, bei dem im November 2014 in einem Lager in Leipzig rund 2,9 Tonnen Chlorephedrin sichergestellt wurden. Die Substanz darf in Deutschland legal gehandelt werden.
"Um in den Bereich des Rauschgifthandels zu kommen, müssen die Täter den Stoff mit dem Wissen und Wollen der illegalen Weiterverarbeitung zu Methamphetamin verkaufen", erklärt Henzler. Das sei vor Gericht aber kaum zu beweisen.
Legale Substanzen
Auch der Grundstoff Pseudoephedrin war bis vor kurzem leicht zu finden. Er ist in einem Erkältungsmittel enthalten, das in Deutschland und Tschechien verschreibungspflichtig ist, in Polen aber bislang frei verkäuflich war.
Seit dem 1. Juli 2015 setzt ein Gesetz auch in Polen Grenzen. "Ein wichtiger Schritt in der Crystal-Bekämpfung", so Peter Henzler. Hoffnungen setzt der BKA-Vizepräsident auch auf eine EU-Monitoring-Liste zur Überwachung illegal genutzter Chemikalien. Seit Anfang 2015 stehen Chlorephedrin und Pseudoephdrin auf dieser Liste.
Das erhöhe die Aufmerksamkeit, so Henzler. "Obwohl die Aufnahme eines Stoffes auf die Liste keine rechtliche Wirkung für die Chemiefirmen beinhaltet, zeigt die Erfahrung dennoch, dass die Abzweigung solcher Stoffe verringert wird, weil freiwillig Meldungen erfolgen."
Ein weiterer Schritt sei, Chlorephedrin und Pseudoephedrin in die EU-Grundstoffverordnung aufzunehmen. Dadurch würden Herstellung, Besitz und Abgabe erlaubnispflichtig und mit speziellen Meldeverpflichtungen verbunden.