Cum-Cum-Betrug: Der Steuerraub geht weiter
24. Juli 2025
Genaue Zahlen gibt es nicht, aber es geht um enorme Summen. Viele Staaten verlieren durch Cum-Ex- und vor allem Cum-Cum-Geschäfte Milliarden. Allein zwischen 2000 und 2020 hat der deutsche Staat durch Cum-Cum-Betrug knapp 29 Milliarden Euro verloren, schätzen Experten der Universität Mannheim. Weltweit geht es um Schäden in Höhe von über 140 Milliarden Euro.
Das Erstaunliche dabei: Obwohl bekannt ist, dass solche Geschäfte gemacht werden, und sie unter bestimmten Voraussetzungen illegal sind, geht der Raub weiter. "Man hört öffentlich oft anderslautende Aussagen, meistens mit der Formulierung "Uns ist das nicht bekannt"", beklagt Anne Brorhilker.
Brorhilker ist eine, die es wissen kann. Sie war Deutschlands bekannteste Oberstaatsanwältin, die Cum-Ex-Fälle vor Gericht gebracht hat. "Die Staatsanwaltschaft Köln hat Erkenntnisse dazu, über die ich im Einzelnen nicht sprechen darf", sagt sie. Sie sei immer noch an das Dienstgeheimnis gebunden, auch wenn sie seit über einem Jahr nicht mehr für den Staat, sondern für den gemeinnützigen Verein "Finanzwende" arbeitet. Es habe Kronzeugen gegeben, die lange Jahre in der Branche tätig gewesen waren und die vor Gericht vernommen worden seien, erzählt Anne Brorhilker im DW-Podcast. Die hätten berichtet, dass die Geschäfte weiterlaufen würden - nicht nur in Deutschland.
Betroffen seien auch Belgien, Frankreich, Italien, Österreich, die Niederlande, Spanien und Luxemburg. Dies sei eine Gesetzeslücke, sagt dazu Christoph Spengel von der Universität Mannheim im Gespräch mit der DW. Wo die Gesetzeslücke liegt, wird klar, wenn man sich anschaut, wie die Cum-Cum-Geschäfte funktionieren.
Wie Cum-Cum-Geschäfte ablaufen
Wenn deutsche Finanzinstitute, etwa Banken oder Investmentfonds, Aktien halten, für die sie eine Dividende bekommen, müssen sie Kapitalertragssteuer entrichten. Die können sie sich aber wieder erstatten lassen, weil sie ja schon Körperschaftssteuern bezahlt haben. Ausländische Finanzinstitute mit deutschen Aktien dürfen das nicht.
Deshalb verleihen ausländische Finanzinstitute ihre deutschen Aktien rund um den Zeitpunkt der Dividendenauszahlung für kurze Zeit an ein deutsches Finanzinstitut. Für dieses Verleihen verlangen sie eine Wertpapierverleihgebühr. Das deutsche Finanzinstitut lässt sich die Kapitalertragssteuer, die auf die Dividende anfällt, erstatten und gibt dann die Aktie zurück an den ausländischen Besitzer. Der so gemachte Gewinn wird unter beiden aufgeteilt.
Gesetzeslücken noch immer nicht geschlossen
Die Gesetzeslücke, die es in Deutschland und einigen anderen Ländern gibt, bestehe darin, das diese Wertpapierleihgebühr nicht besteuert werde, sagt Spengel. In Ländern, die die Wertpapierleihgebühren versteuern, gebe es auch keine Cum-Cum-Geschäfte.
Schon 2016 hatte Spengel gemahnt, dass Cum-Cum-Geschäfte möglich seien. "Zwar wurden durch eine Gesetzesänderung die Transaktionskosten erhöht; die eigentliche Gesetzeslücke und damit die Möglichkeit zur Steuerarbitrage, besteht allerdings weiterhin", so der Steuerexperte.
Im Interview mit der DW plädiert er dafür, die Lücke durch eine einfache gesetzliche Änderung zu schließen. Außerdem könnte der Staat, bevor er Steuern erstattet, auch genauer die Sachlage prüfen, meint Spengel.
Cum-Cum - für Banken ein sicheres Geschäft
Cum-Cum-Geschäfte werden bis heute nicht verhindert. Und Geschäfte aus der Vergangenheit werden kaum verfolgt. "Für Banken ist das eine Super-Geschichte, weil Cum-Ex und Cum-Cum zur Gruppe der Tech Trades gehören", sagt Juristin Brorhilker zur DW. Die Gewinne entstünden nur aus steuerlichen Effekten und seien damit völlig konjunkturunabhängig.
"Das einzige Risiko ist das Risiko, durch die Behörden entdeckt zu werden. Dieses Risiko ist solange sehr gering, solange die Behörden so schlecht aufgestellt sind", sagt die Expertin. Und das gelte für ganz Europa.
Schlecht aufgestellte Behörden
Zum einen fehle es an Fachleuten, die Wirtschaftskriminalität oder Steuervergehen verfolgen, so Brorhilker: "Bei den Betriebsprüfungen herrscht chronische Unterbesetzungen". In den deutschen Behörden gibt es außerdem ein Rotationsprinzip. Das heißt, die Mitarbeitenden wechseln regelmäßig ihre Ämter oder Aufgaben. "In Bereichen, in denen sehr viel Fachexpertise gebraucht wird, die nicht so schnell erworben werden kann, ist das total kontraproduktiv", beklagt Brorhilker.
Außerdem sei die technische Ausstattung der Behörden sehr schlecht. "Das ist nicht zu unterschätzen, vor allem weil die Gegenseite technisch sehr gut ausgestattet ist". Außerdem würden sich die deutschen Behörden untereinander nicht gut abstimmen. Das fange schon beim Schreiben von E-Mails an. In der einen Behörden darf keine E-Mail verschlüsselt werden, in der anderen dürfen aber nur verschlüsselte E-Mails geschrieben werden. Auch Abstimmungen per Video-Konferenzen seien oft nicht möglich, weil in den Behörden verschiedene Konferenzsysteme zugelassen sind, erinnert sich Brorhilker.
Hinzu käme, dass die illegalen Geschäfte nicht an der deutschen Grenze aufhören. Die internationalen Zusammenarbeit von Behörden sei geprägt von sehr langwierigen, sehr bürokratischen Verfahren. "In den Finanzzentren in Europa gelten besonders hohe Schutzvorschriften für Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer", so Brorhilker. Das sei ein Ergebnis der intensiven Lobbyarbeit der Finanzbranche.
Lobbyarbeit zahlt sich aus
Die Einflussnahme auf die Politik lässt sich die Finanzbranche einiges kosten. Fast 40 Millionen Euro pro Jahr werden für Lobbyarbeit ausgegeben, das ist mehr als die Interessenvertretung der Auto- und Chemiebranche zusammen zur Verfügung hat, heißt es bei Finanzwende.
Mit 442 Lobbyisten kommen rein rechnerisch fast zehn Interessenvertreter der Finanzbranche auf jedes Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags, der 42 Mitglieder hat. Das Gremien also, das sich um die Gesetzgebung im Steuerrecht sowie die Regulierung der Finanzmärkte und die Bankenaufsicht kümmert.
Leider würden die Lobbyisten viel zu oft Gehör finden, berichtet Monika Heinold, die sich ebenfalls bei "Finanzwende" engagiert. Sie war von 2012 bis 2024 Finanzministerin des Landes Schleswig-Holstein. Dort erlebte sie "eine intensive Zeit". Sie sah, wie "Lobbyisten versuchen, Steuergesetze zu ihren Gunsten zu beeinflussen und verschärfte Regelungen zu verhindern. Leider finden sie viel zu oft Gehör."
Drohende Interessenkonflikte können sich auch aus der Verquickung von Politik und Finanzbranche ergeben. "Finanzwende" kritisiert, das im derzeitigen Finanzausschuss eine Häufung von Abgeordneten auffalle, die Nebeneinkünfte von Sparkassen oder Volksbanken erhalten würden. "Mehrere Abgeordnete sind nebenbei Mitglieder in Gremien ihrer lokalen Sparkassen oder Volksbanken und erhalten hierfür vier- bis fünfstellige Beträge."
Während der Cum-Cum-Geschäfte weiterlaufen, läuft der Staat zumindest einigen Tätern hinterher und versucht, das Geld zurückzubekommen. Zurzeit befinden sich 253 Cum-Cum-Verdachtsfälle mit einem Volumen in Höhe von 7,3 Milliarden Euro bei den obersten Behörden der Länder und dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bearbeitung.