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PolitikNahost

Cyber-Armeen in Nahost: Diffamierung als Waffe

Cathrin Schaer kk
9. Juni 2021

In kaum einer Weltregion sind digitale Armeen so aktiv wie im Nahen und Mittleren Osten. Längst dienen sie Machthabern als Waffe im Kampf gegen Aktivisten und Dissidenten - mit teils tödlichen Folgen.

Türkei Demonstration für Jamal Khashoggi
Auch der 2018 ermordete Journalist Jamal Khashoggi war ständigen Cyber-Attacken ausgesetztBild: Depo Photos/imago images

Sie haben keine Gewehre und keine Raketen, die Zahl ihrer Soldaten und Kommandanten ist überschaubar, und doch sind sie mächtig: Die so genannten "Elektronischen Armeen" - digitale Heere, deren Rekruten ausschließlich am Schreibtisch arbeiten und ihre Feinde einzig mit digitalen Waffen bekämpfen.

Zwar werde beispielsweise auch in westlichen Staaten über soziale Medien politischer Einfluss ausgeübt, sagt Mahmoud Ghazayel, Experte für Online-Desinformation im Libanon. Online-Kampagnen und Hasspropaganda gibt es weltweit. Doch Grad und Art der Desinformation seien unterschiedlich, sagt Ghazayel. "In Nahost können digitale Kampagnen leicht zum Tod von Menschen führen. Dafür gibt es leider viele Beispiele", so Ghazayel im DW-Gespräch.

Mord nach Verleumdungskampagne

So wurde im August vergangenen Jahres die junge irakische Aktivistin Riham Yaqoob, Jahrgang 1991, ermordet. Ihr Tod, hieß es zunächst, gehe auf ihre Teilnahme an lokalen Protesten für die politische Eigenständigkeit Iraks kurz vor ihrer Ermordung zurück. Doch dies treffe nicht zu, sagt der an der dänischen Aarhus-Universität lehrende Politologe Ben Robin-D'Cruz. Seine Forschungen ergaben, dass Yaqoob sich zum Zeitpunkt ihres Todes bereits seit längerem von öffentlichen Kundgebungen zurückgezogen hatte.

Dennoch kursierten in den sozialen Medien Videos, auf denen sie angeblich an der Spitze der Proteste zu sehen ist. Tatsächlich zeigten die Aufnahmen aber eine andere Person, sagt Robin-D'Cruz. Auch habe der fragliche Protestzug nicht, wie in sozialen Medien behauptet, in Basra stattgefunden.

Yaqoob sei Opfer einer vor Ort weit verbreiteten Verleumdungskampagne geworden. Deren Hintermänner hätten Yaqoob und ihre Mitstreiter beschuldigt, von den USA zu den Protesten angestiftet worden zu sein, so Robin-D'Cruz in einem Aufsatz für das Middle East Center der London School of Economics. Tatsächlich hätten die Aktivisten nur an einem von den USA finanzierten Training für junge irakische Führungspersönlichkeiten teilgenommen.

Gezielte Desinformation

Das hinderte die staatliche iranische Nachrichtenagentur "Mehr" nicht, in einem Bericht vom September 2018 einen anderen Zusammenhang zu suggerieren. Die Agentur veröffentlichte ein von Yaqoob selbst veröffentlichtes Foto, das sie und andere Aktivisten zusammen mit dem damaligen US-Generalkonsul in Basra, Timmy Davis, zeigt. Das Bild reichte, sie in der Öffentlichkeit als von den USA unterstützte Verschwörerin darzustellen. In dem durch zahlreiche Kundgebungen aufgewühlten Irak war das eine schwere Anschuldigung.

Dem darauf steigenden Druck durch dem Iran verbundene irakische Milizen entzogen sich mehrere Mitglieder der Protestgruppe, indem sie Basra verließen. Einige suchten sogar Schutz im Ausland. Yaqoob aber blieb - und wurde am 19. August 2020 in ihrem Auto von einem unbekannten bewaffneten Motorradfahrer erschossen.

Protest in Bagdad gegen den Einfluss Irans im Irak: Irans Führer Ayatollah Khamenei wird als "Mörder" bezeichnetBild: AHMAD AL-RUBAYE/AFP via Getty Images

Der Fall Jamal Kashoggi

Auch in anderen nahöstlichen Ländern sind Elektronische Armeen aktiv. Das vielleicht bekannteste Opfer einer digitalen Schmutz-Kampagne ist der 2018 in der saudischen Botschaft in der Türkei ermordete saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi.

Bereits im Vorfeld des Verbrechens hatte es eine digitale Kampagne gegen Khashoggi gegeben. So kursierten in arabischsprachigen sozialen Medien mehrere gegen ihn gerichtete Drohungen. Ermittlungen der Soufan Group, einer in den USA ansässigen Sicherheitsberatungsfirma, führten diese größtenteils auf Urheber in Saudi-Arabien zurück.

Staaten lagern Kampagnen aus

"Wir sehen zunehmend, dass staatliche Akteure ihre Desinformationsoperationen auslagern", schrieben Forscher des Stanford Internet Observatory  in einer im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichten Studie. Dies erlaube den Regierungen zumindest in Teilen, ihre Urheberschaft zu bestreiten. Werde eine Firma aufgrund von Gesetzesverstößen geschlossen, engagierten die Auftraggeber einfach eine andere.

Natürlich verfügen auch andere Länder über "Elektronische Armeen", die je nach Region auch als "Troll-Farmen", "Cyber-Armeen", oder "Web-Brigaden" bezeichnet werden. In einem Report aus dem Jahr 2020 berichtet die Nichtregierungsorganisation Freedom House, 39 von 65 untersuchten Regierungen weltweit engagierten Social-Media-Profis, um Online-Diskussionen zu manipulieren.

Auch digital gerüstet: Saudische Spezialeinheiten, Szene aus Riad im Mai 2015Bild: FAYEZ NURELDINE/AFP via Getty Images

Schwieriges Medienverhalten

Der Nahe Osten gilt als diejenige Region, die von den Aktivitäten der Cyber-Armeen am stärksten betroffen ist. Das könnte vor allem am Medienverhalten der dort lebenden Menschen liegen, vermutet Mahmoud Ghazayel. Zwar gebe es in den meisten Ländern der Region eine große Auswahl an traditionellen Nachrichtenkanälen. Doch da sie oftmals von Regierungen, sozialen oder religiösen Interessengruppen finanziert würden, misstrauten ihnen viele Bürger. Stattdessen informierten sie sich in den sozialen Medien - die ihrerseits oft von zweifelhafter Glaubwürdigkeit sind.

Doch das beunruhigt viele Nutzer offenbar kaum.Einer vom Arab Youth Survey im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie zufolge beziehen rund vier Fünftel der Mediennutzer zwischen 18 und 24 Jahren in der Region ihre Informationen aus den sozialen Medien. Rund zwei Drittel der Befragten erklärten, sie vertrauten diesen. Zum Vergleich: Laut einer Studie des Reuters-Instituts aus dem Jahr 2020 beziehen nur 56 Prozent der jungen Deutschen und gut die Hälfte der jungen Amerikaner ihre Informationen aus den sozialen Netzwerken.

Hasskultur: ein internationales PhänomenBild: Christian Ohde/picture alliance

Prekäre politische Kultur

Dass das Problem im Nahen Osten so massiv auftritt, könnte auch darauf zurückgehen, dass Arabisch für westliche Unternehmen weiterhin eine kaum zugängliche Sprache ist. "Social-Media-Firmen dürften weniger geneigt sein, gegen Accounts vorzugehen, die nicht auf Englisch veröffentlichen oder die sich nicht direkt auf US-Interessen auswirken", sagt Marc Owen Jones, Digitalexperte und Assistenzprofessor an der Hamad-bin-Khalifa-Universität in Katar.

Zudem dürfte das Phänomen in der prekären politischen Kultur in Teilen des Nahen Ostens begründet sein, vermutet der libanesische Experte Mahmoud Ghazayel. "Wenn Cyber-Armeen von Politikern oder Regierungen ermutigt werden und dann auch noch bemerken, dass die großen Social-Media-Plattformen sie kaum oder überhaupt nicht kontrollieren, gedeihen sie natürlich." Dagegen helfe nur ein stabiles rechtsstaatliches Fundament.

Adaptiert aus dem Englischen von Kersten Knipp.

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