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Politik

Dämpfer für AKP trotz Stimmenzuwachs

Daniel Heinrich
1. April 2019

Experten werten das Ergebnis der Kommunalwahlen in der Türkei als Schlappe für die Regierungspartei. In den Metropolen hatte die AKP verloren. In der Erdogan-Partei sieht man das anders und verweist auf Stimmenzuwächse.

Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei
Bild: picture-alliance/dpa/O.Weiken

Kristian Brakel ist noch ein bisschen müde. Bis tief in die Nacht hat der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul die Auszählung der Wahlergebnisse mitverfolgt. Nur wenige Stunden später sitzt Brakel schon wieder an seinem Schreibtisch ganz in der Nähe des Goldenen Horns. Trotz des wenigen Schlafs fällt die Analyse des Türkei-Experten klar aus: "Das ist auf jeden Fall eine Schlappe für die AKP. Man hatte erwartet, die großen Metropolen gewinnen zu können." Gerade in der türkischen Hauptstadt sei das Wahlergebnis bemerkenswert: "In Ankara ist nun zum ersten Mal seit 20 Jahren die größte Oppositionspartei des Landes, die CHP, an der Macht."

Hauptgrund für das schlechte Abschneiden, so der Experte, sei die schlechte wirtschaftliche Situation des Landes: "Die AKP hat zwar versucht das Thema wegzudrücken, das hat allerdings nicht geklappt. Die Rezession hat inzwischen auch große Teile der Mittelschicht erfasst. Lebensmittel sind sehr viel teurer geworden. Hinzu kommt, dass die Inflation große Teile der Löhne auffrisst." Themen wie die Terrorismusbekämpfung hätten dagegen eine geringere Rolle gespielt: "Die AKP versucht zwar, dieses Thema seit Jahren nach vorne zu drücken. In der Wahrnehmung der Leute ist es allerdings in den Hintergrund getreten."

Partystimmung bei der CHP. Wie hier in Ankara feierten landesweit tausende Anhänger die Stimmenzuwächse Bild: Reuters

Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu interpretiert den Wahlen, bei denen immerhin 84 Prozent der Türken landesweit ihre Stimme abgegeben hatten, im Sinne seiner Partei. Der 43-Jährige, der in Deutschland aufgewachsen ist: "Zunächst einmal muss man feststellen, dass die AK-Partei alleine mehr Stimmen geholt hat als die Opposition zusammen. Darüber hinaus haben wir mehr Stimmen als bei den letzten Kommunalwahlen 2014 geholt und annähernd die Stimmen, die wir bei den letzten Parlamentswahlen letztes Jahr geholt haben. Wenn man von einem Vertrauensverlust gegenüber Erdogan spricht, dann muss man einfach sagen, dass die Zahlen ein anderes Ergebnis zeigen." Yeneroglu gibt sich selbstbewusst: Trotz der "großen Probleme", die die Türkei derzeit habe, hätte die AKP "die Wahlen haushoch gewonnen."

Probleme für die Opposition

Kristian Brakel, Heinrich-Böll-Stiftung, IstanbulBild: picture-alliance/dpa/M. Redeligx

In der Tat räumte die AKP im "Volksallianz" genannten Parteienbündnis mit der ultrarechten MHP fast 52 Prozent der abgegebenen Stimmen ab. Kristian Brakel erklärt die Popularität der Erdogan-Partei auch damit, dass "viele Leute keine Alternative zur AKP" sähen: "Zum einen ist das eine Identitätsfrage. Das heisst, wenn man religiös und konservativ ist, bieten die anderen Parteien wenig Alternativen an. Und gerade für die Leute, die in ländlichen Räumen leben, gilt immer noch das Wohlstandsversprechen der AKP: 'Momentan geht es uns zwar schlecht. Aber bald wird es uns wieder besser gehen.' Darauf bauen viele Leute."

Cemal Bozoglu, Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im bayrischen Landtag, sieht noch einen anderen Grund, warum die AKP immer noch so viele Stimmen gewinnen kann. Der 58-Jährige ist in die Türkei gereist, um die Wahlen zu beobachten. "Alle Staatsmittel werden für die Regierungspartei oder Kandidaten für die Regierungspartei bereitgestellt, und die Medienlandschaft ist zu 80 Prozent von der Regierung gesteuert." In so einer Situation, so Bozoglu nüchtern, könne man natürlich nicht "von freien demokratischen Wahlen sprechen."  

Die Beobachterdelegation des Europarats teilt Bozoglus Bedenken in Teilen. In einem schriftlichen Statement teilt die Gruppe, die nach eigenen Angaben die Wahl am Sonntag in rund 140 Wahllokalen in mindestens sieben Städten verfolgt hatte, mit: "Für eine wahrhaft demokratische Wahl ist mehr nötig, unter anderem Meinungsfreiheit und Pressefreiheit." Zudem sei es zweifelhaft, "ob alle Parteien gleiche Chancen gehabt hatten. Es fehlt an einer freien und fairen Wahlkultur, um von eine Abstimmung mit europäischen Standards zu sprechen."

In der Tat scheint die Lage für die Opposition mehr als schwierig. Alleine die pro-kurdische HDP hatte im Vorfeld der Wahlen gemeldet, dass über 700 HDP-Funktionäre und Anhänger festgenommen worden seien. Über 100 säßen in Untersuchungshaft. Mustafa Yeneroglu von der AKP hält dagegen. Ein Großteil der HDP-Mitglieder zeige eine klare Sympathie zur PKK, viele Funktionäre der HDP hätten sich offen zur PKK bekannt: "Die Demokratie lebt davon, dass man der Illegalität eine klare Absage erteilt, und davon ist die HDP meilenweit entfernt."  

Nachdenklicher Erdogan

Trotz der deutlichen Aussagen Yeneroglus: Dass sich die Tonlage in der AKP nach den Wahlen geändert hat, wurde  schon in der Wahlnacht ersichtlich. Bei seiner traditionellen Ansprache vom Balkon des Präsidentenpalastes in Ankara wirkte der sonst so selbstbewusste Präsident nachdenklich. Tayyip Erdogan betonte vor tausenden jubelnden Anhängern zwar auch die Stimmenzuwächse seiner Partei, andererseits schwang auch eine Spur Selbstkritik bei der Analyse des mächtigsten Mannes im Staat mit. Man habe die "Erfolge" der Partei wohl nicht gut verkaufen können. Über die "Fehler" müsse man jetzt nachdenken.

Ein nachdenklicher Präsident Erdogan tritt in der Nacht vor seine Anhänger. An seiner Seite: Seine Frau EmineBild: picture-alliance/dpa/A. Unal

Türkei-Experte Kristian Brakel glaubt, dass das Ergebnis der Kommunalwahlen vor allem auf lokaler Ebene seine Wirkung nicht verfehlen wird: Es sei "vor allem für die Patronagenetzwerke der Partei sehr wichtig. Das ist der Ort, wo öffentliche Aufträge ausgeschrieben werden, wo Jobs verteilt werden. Damit sichert sich gerade die AKP die Unterstützung der Bevölkerung und vor allem von Unternehmern." Gerade letztere seien besonders wichtig, da sie "wiederum Geld in die AKP zurück schießen. Und so finanziert sich die Partei im Großen und Ganzen." Insbesondere seien Finanzspritzen "aus Metropolen wie Istanbul, wo zwei Drittel der Wirtschaftskraft des Landes erarbeitet werden, sehr relevant."

Ob und welche Konsequenzen Präsident Erdogan und die Parteiführung der AKP ziehen werden, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Bislang scheint nur eines sicher: Nach der Wahl haben Erdogan und seine Partei nun genügend Zeit, über die nächsten Schritte nachzudenken. Die nächsten Wahlen sollen erst wieder in vier Jahren stattfinden. Das ist ungewöhnlich in einem Land, in dem es in den vergangenen sechs Jahren sieben Abstimmungen, inklusive eines Verfassungsreferendums, gegeben hatte.

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