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Dacic: "Hoffentlich überlebt die EU"

Robert Schwartz9. September 2016

Die EU verbindet die Menschen auf dem Balkan und fördert die regionale Kooperation, sagt Serbiens Außenminister Ivica Dacic. Serbien sei ein Stabilitätsfaktor der Region - den Kosovo will man aber nicht anerkennen.

Serbiens Außenminister Ivica Dacic (Foto: AP Photo/Darko Vojinovic)
Bild: picture alliance/AP Images/D. Vojinovic

DW: Auch zwei Jahrzehnte nach dem Krieg gilt der Westbalkan als eine instabile Region. Serbien ist dabei das größte und bevölkerungsstärkste Land auf dem Territorium Ex-Jugoslawiens. Wie ist das Verhältnis zwischen Belgrad und anderen Ländern, vor allem Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo?

Ivica Dacic: Die Führung von Serbien ist sehr offen und wünscht sich aufrichtig Frieden und Stabilität in der Region. Wir sind für die Fortsetzung des Versöhnungs-Prozesses und die Suche nach gemeinsamen Interessen. Es gibt keine Lösung nach dem Muster "jeder liebt jeden", aber wir alle leben dort zusammen; wir alle haben eine ähnliche Geschichte und ähnliche Probleme. Das gemeinsame Ziel aller Länder ist in erster Linie die Stabilisierung der Wirtschaft. Wir haben viel Zeit während der Konflikte verloren.

Die EU sollte unbedingt erkennen, dass der europäische Weg der westlichen Balkanländer diese Länder zusammenhält und die regionale Stabilität fördert. Es besteht ein Bedarf an gemeinsamen Projekten, aber es wird nicht einfach sein, obwohl der Krieg schon vor langer Zeit beendet wurde. In der Tat ist der wahre Frieden noch nicht erreicht worden. So wie jemand einen Krieg beginnt, sollte jemand den Frieden beginnen. In diese Richtung gehen die Anstrengungen Serbiens. Wir werde nicht zurück in die Vergangenheit kehren, so wie dies in einigen Ländern erkennbar ist, in denen eine anti-serbische Politik herrscht, die Serbien provoziert und den Frieden und die Stabilität in der Region gefährden.

Sie sehen in Zagreb den Hauptschuldigen für die Verschlechterung der serbisch-kroatischen Beziehungen? Warum?

Kroatien als neuer Mitgliedsstaat der EU, versucht von dieser Position zu profitieren. Es stellt Serbien verschiedene Ultimaten und Bedingungen, mit denen der europäische Weg Serbiens in Richtung EU blockiert werden soll. Sie drohten öffentlich damit, niemals zuzulassen, dass Serbien ein EU-Mitgliedsstaat werde. Eines der Probleme sei das Gesetz über die Verfolgung von Kriegsverbrechern, aber wir respektieren die internationale Gesetzgebung.

Das zweite Problem ist, dass anti-serbische Kampagnen in Kroatien zur Normalität gehören. Hinzu kommt die Rehabilitierung des unabhängigen kroatischen Ustascha-Staates, der eine Schöpfung Hitlers war. In zahlreichen Konzentrationslagern dieser Zeit starben Hunderttausende Serben, Juden und viele andere Menschen. Jetzt werden mit dem Segen der kroatischen Behörden Menschen rehabilitiert, die Kriegsverbrechen gegen Serben während des Zweiten Weltkrieges begangen haben. Diese Tatsache führt zu Reaktionen auf der serbischen Seite.

Deshalb denke ich, wir sollten unsere bilateralen Fragen und Probleme auf angemessene Art und Weise lösen. Aber wir werden auf keinen Fall die Rehabilitierung jener akzeptieren, die die serbischen Opfer des Zweiten Weltkrieges erniedrigen. Wir sind der Auffassung, dass auch die EU auf diese Entwicklung reagieren sollte.

In Serbien ist das eine weit verbreitete Haltung: "Kosovo ist Serbien"Bild: picture-alliance/dpa

Wie sehen die Beziehungen zum Kosovo aus? Wann wird Serbien die Realität des unabhängigen Kosovo akzeptieren?

Die Kosovo-Frage ist nicht politischer Natur. Es ist ein Problem des internationalen Rechts. Serbien kann nicht akzeptieren, dass es legal ist, wenn ein Teil seines Territoriums die Unabhängigkeit ohne Zustimmung beansprucht. Morgen könnte dies in einem anderen Teil der Welt wieder passieren.

Wissen Sie, die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland sagte mir, dass die USA seit etwa 20 Jahren in die Unabhängigkeit des Kosovo investieren. Ich fragte sie, wie dies möglich sein könne, weil zu dieser Zeit die USA die Souveränität Serbiens unterstützten. Sie sagte: "Ja, wir haben die Souveränität Serbiens tatsächlich unterstützt, aber ohne den Kosovo". Und ich erwiderte: "Nun, der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte mir das Gleiche - Russland respektiere die Souveränität der Ukraine, aber ohne die Krim".

Was können wir also tun? Wir wollen diese Probleme lösen, aber wir können nicht eine Politik der einseitigen Handlungen übernehmen. Serbien hat seine eigenen Interessen, und wir haben eine Menge getan in diesem Dialog mit Prishtina. Aber Prishtina erfüllt seine Verpflichtungen nicht. Wir sind noch weit weg von der Normalisierung unserer Beziehungen. Aber eine Normalisierung beinhaltet nicht, dass wir auch nur im Ansatz daran denken, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen.

Serbien will der Europäischen Union beitreten. Wie ist ihr Verhältnis zur EU, die zurzeit von verschiedenen Krisen erschüttert wird?

Wir sind europäischer als einige der Staaten, die bereits Mitglieder sind. Das habe ich schon vor dem Brexit - Referendum in Großbritannien gesagt. Warum? Weil die EU für die Menschen auf dem seit Jahren mit Konflikten belasteten Balkan ein verbindender Faktor ist. Die EU fördert die regionale Zusammenarbeit. Es ist unsere Überzeugung, dass es sich lohnt, für diese Ziele zu kämpfen, um ein EU-Mitglied zu werden. Ich hoffe nur, dass die EU überlebt, bis wir beitreten.

Wird Serbien irgendwann die NATO-Mitgliedschaft beantragen?

Nein. Wir haben unsere offizielle Position: Serbien bewahrt seine militärische Neutralität. Wir wollen nicht Mitglied einer militärischen Allianz sein. Auf der anderen Seite haben wir mit der NATO das höchstmögliche Niveau der Zusammenarbeit eines Landes, das nicht Mitglied werden will.

Ivica Dacic ist erster Vize-Premierminister und Außenminister Serbiens und Parteivorsitzender der Sozialistischen Partei Serbiens. Von 2012 bis 2014 war er serbischer Ministerpräsident. 2015 war er Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).


Das Gespräch führte Robert Schwartz.

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