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Hat Daimler einen Diesel-Skandal?

Nico Esch dpa
11. Juni 2018

Illegal oder nicht? Der Streit geht um die Abgasreinigung in einem Kleintransporter - aber nicht nur. Das neue Treffen von Verkehrsminister Scheuer und Daimlerchef Zetsche könnte den Autobauer in die Bredouille bringen.

Schweiz | Autosalon Genf | Vorstandsvorsitzender Daimler AG Dieter Zetsche
Wieder zum Rapport beim Verkehrsminister: Daimler-Chef Dieter ZetscheBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Exakt zwei Wochen nach seinem Rapport bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist Daimler-Chef Dieter Zetsche an diesem Montag erneut nach Berlin geladen. Es geht um den Vorwurf, auch Daimler habe illegale Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung in seinen Fahrzeugen verwendet. Scheuer hat "konkrete Ergebnisse" versprochen. Welche Ausmaße der Fall hat, ist die wichtigste Frage - aber nicht die einzige.

Worum genau geht es?

Mal wieder um eine aus Sicht der Behörden illegale Abschalteinrichtung, die die Abgasreinigung im Normalbetrieb auf der Straße reduziert und damit für einen erhöhten Ausstoß schädlicher Stickoxide sorgt. Wie zuvor bei anderen Herstellern haben die Regulierer auch in Autos von Daimler spezielle Programmierungen entdeckt, die sie als unzulässig eingestuft haben. Konkret geht es um zwei Funktionen der Motorsteuerung im Kleintransporter Mercedes-Benz Vito, von dem Daimler deshalb auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) knapp 5.000 Stück zurückrufen muss.

Daimler des Anstosses: der Mercedes-Transporter VitoBild: Daimler AG

Was sagt Daimler dazu?

Der Autobauer bestreitet die Existenz der Funktionen nicht – wohl aber, dass sie illegal seien. "Die Funktionen sind Teil eines komplexen Abgasreinigungssystems, das eine robuste Abgasreinigung bei unterschiedlichen Fahrbedingungen und über die Nutzungsdauer eines Fahrzeugs sicherstellen soll. Für das Bestehen des maßgeblichen Test-Zyklus NEFZ sind die in Frage stehenden spezifischen Programmierungen nicht erforderlich", betont Daimler. Soll heißen: Die Programmierung habe nicht dazu gedient, dass die Fahrzeuge Tests bestehen, die sie ohne sie nicht bestehen würden.

Sind noch weitere Mercedes-Modelle betroffen?

Das ist die große Frage, auf die es nach dem Treffen von Scheuer und Zetsche eine Antwort geben soll. Seit Zetsches erstem Besuch vor zwei Wochen wird spekuliert, wie viele Fahrzeuge wohl betroffen sein könnten. Im Umlauf sind diverse Zahlen bis hin zu einer Million, die Daimler und die Behörden nicht kommentieren wollen. Der Knackpunkt: Jedes Modell hat ganz spezifische Einstellungen in der Motor- und Abgassteuerung. Der gleiche Motor in einem anderen Modell bedeutet daher nicht automatisch, dass dort auch eine illegale Abschalteinrichtung läuft. Das gilt allerdings auch umgekehrt.

Werden also noch etliche weitere Modelle in die Werkstatt gerufen?

Das werden sie sowieso. Daimler hat Software-Updates für etwa drei Millionen Diesel angekündigt - um das Emissionsverhalten zu verbessern, wie es hieß. Dazu gehören auch der Vito und alle anderen Diesel-Modelle, die derzeit in der Diskussion sind. Der gravierende Unterschied: Auch diese Aktion muss das KBA zwar genehmigen, sie ist aber nicht von der Behörde angeordnet, sondern eine freiwillige Zusage von Daimler. Und für die allermeisten der betroffenen Autos hat die Nachbesserung auch immer noch nicht begonnen.

Kommt das KBA nun zu dem Schluss, dass weitere Modelle mit illegalen Einstellungen unterwegs sind, wird es wohl weitere Zwangsrückrufe geben. Und die könnten - vom Imageschaden abgesehen - für Daimler teuer werden. Denn jenseits der Kosten für die Aktion selbst drohen hohe Strafen, 5.000 Euro pro Fahrzeug sind möglich. Und angeblich hat  Scheuer damit schon gedroht. Daimler wäre dann der erste Autobauer, gegen den die Regierung tatsächlich Bußgelder verhängt.

5.000 oder eine Million? Wieviele Autos von Daimler sind betroffen?Bild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Legt Daimler deshalb Widerspruch gegen den KBA-Bescheid ein?

Der Autobauer hat angekündigt, die unterschiedlichen Auffassungen darüber, was illegal ist und was nicht, notfalls vor Gericht klären zu lassen: "Die Möglichkeit dazu ist ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit. Uns geht es darum, Klarheit in einer überaus komplexen Sache zu erlangen." Als Widerspruch zur Ankündigung, mit den Behörden zu kooperieren, sieht Daimler das nicht. Wenn es ums Geld geht, muss der Vorstand des Dax-Konzerns allerdings auch alles unternehmen, was möglich ist. Ansonsten drohen Ärger mit Aufsichtsrat und Aktionären und sogar Klagen.

Daimler ist auch nicht der erste Hersteller, der auf einen Zwangsrückruf vom KBA mit einem Widerspruch reagiert, wie das Verkehrsministerium auf Anfrage mitteilte. Allerdings: "Bisherige Widersprüche wurden von den Herstellern zurückgenommen." Um wen es geht, will das Ministerium nicht verraten.

Und was unternimmt die Justiz?

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt schon seit dem Frühjahr 2017 wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung gegen Daimler-Mitarbeiter. Daran hat sich nach dem KBA-Bescheid in Sachen Vito auch nichts geändert. Der Behörde zufolge ist das Modell schon vorher Gegenstand der Ermittlungen gewesen. Auch in den USA hat Daimler schon länger Ärger wegen angeblicher Abgas-Manipulation. Im Februar 2016 startete der bekannte Anwalt Steve Berman im Auftrag von Dieselbesitzern einen Rechtsstreit um angebliche Überschreitungen der Stickoxid-Grenzwerte - und rief damit die Umweltbehörde EPA auf den Plan.

Im April 2016 schockte der Konzern seine Aktionäre dann mit einer Pflichtmitteilung: Das US-Justizministerium habe angeordnet, das Zustandekommen der offiziellen Abgaswerte in den Vereinigten Staaten intern und unter Einbeziehung der US-Aufseher unter die Lupe zu nehmen. Die Aktie ging vorübergehend auf Talfahrt, auch wenn Daimler alles daran setzte, dem Eindruck einer zweiten Abgas-Affäre im Stile des VW-Skandals entgegenzuwirken.

Zum aktuellen Stand wollen sich weder die US-Justiz noch die EPA äußern. Bei Bermans Sammelklagen ging es hin und her – nachdem Daimler zunächst einen Punktsieg verbuchte und die erste Klage abgewiesen wurde, legte der Anwalt seine Vorwürfe rasch in abgewandelter Form erneut dem Richter vor. Das Verfahren beim Gericht in New Jersey geht weiter - Ausgang ungewiss.

 

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