Der Dalai Lama wird 80
3. Juli 2015Eigentlich hat der Dalai Lama erst am 6. Juli Geburtstag. Aber wenn jemand – zumindest nach traditionellem tibetischem Glauben – zum 14. Mal wiedergeboren wurde, dann nimmt man es mit dem Datum vielleicht nicht mehr ganz so genau. Schon Ende April ließ sich der Dalai Lama im Beisein seines Freundes und Mit-Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu bereits in einem exiltibetischen Internat feiern. Am 21. Juni – seinem Geburtstag nach dem tibetischen Mondkalender - folgte eine Zeremonie an seinem Amtssitz im nordindischen Exil. Eine Woche später schallte dem Überraschungsgast des Popfestivals im englischen Glastonbury aus über 100.000 Kehlen ein "Happy Birthday" entgegen, bevor er über Liebe, Vergebung und Tolearnz sprach. Den 6. Juli schließlich wird das geistige Oberhaupt der Tibeter im kalifornischen Irvine verbringen - bei einem "Globalen Gipfel des Mitgefühls".
Weißer Fleck Tibet
Auch rund um seinen Geburtstag ist der Dalai Lama also international unterwegs. Aber bei all den Reisen um den Globus bleibt ein weißer Fleck: Seine Heimat Tibet. In Lhasa wird es sicher keine Festlichkeiten zu Ehren des Friedensnobelpreisträgers geben. Dort sind sogar Bilder des bekanntesten "Flüchtlings der Welt" verboten, wie der Dalai Lama seit seiner Flucht nach Indien 1959 manchmal genannt wird. Höchstens im Geheimen werden Tibeter für ihn Räucherkerzen anstecken und Gebete sprechen.
Chinesische Rhetorik verteufelt den Dalai Lama wegen seines Einsatzes für mehr tibetische Autonomie auf dem Dach der Welt als Separatisten, als "Wolf im Schafspelz". Jede seiner Äußerungen wird umgehend diffamiert. Selbst als er 2011 seine weltliche Macht - beziehungsweise Machtlosigkeit - an einen gewählten Ministerpräsidenten abgab, reagierte Chinas Regierung mit Angriffen: Es handele sich um "einen weiteren Trick, um die internationale Gemeinschaft zu täuschen", tönte es aus Peking. Das Klima ist seither nicht besser geworden. Insbesondere, seitdem der Dalai Lama in einem Interview mit der BBC Ende 2014 erklärt hatte, dass es nach seiner Auffassung keinen weiteren Dalai Lama mehr geben müsse. Besser sei es, die Institution jetzt, da es einen populären Dalai Lama gebe, enden zu lassen, als darauf zu warten, dass der nächste Dalai Lama ein dummer sei, der oder die sich lächerlich machen würde, sagte der Friedensnobelpreisträger.
Peking fordert Wiedergeburt
Jetzt ist es ausgerechnet die atheistische Regierung in Peking, die vehement die Wiedergeburt des Dalai Lamas fordert. Während der letzten Sitzung von Chinas Scheinparlament, dem Nationalen Volkskongress, im März hatten mehrere Politiker den Dalai Lama für seine Äußerungen scharf angegriffen. "Die Entscheidungsgewalt über die Reinkarnation des Dalai Lama und über das Ende oder das Überleben seiner Erbfolge liegt bei der Zentralregierung Chinas", wurde zum Beispiel der hochrangige Parteifunktionär Zhu Weiqun von der New York Times zitiert.
Die Frage der Wiedergeburt ist keine rein religiöse, sondern eine hochpolitische. Es geht um die Kontrolle der Menschen in Tibet. Zwar ist Chinas Herrschaft über das Dach der Welt seit dem Einmarsch chinesischer Truppen 1951 unumstritten. Die tibetische Exilregierung in Indien wird von keinem Staat der Welt anerkannt. Aber selbst mehr als ein halbes Jahrhundert kommunistischer Herrschaft in Tibet haben nichts daran ändern können, dass viele Tibeter den Dalai Lama als religiöses Oberhaupt verehren und wenig mehr wünschen als seine Rückkehr.
Lange sah es so aus, als würde die Zeit für Peking arbeiten. Schließlich ist der Dalai Lama nicht mehr jüngste, sein Ableben eine Frage der Zeit. Danach hätte die Regierung versuchen können, mit kooperationswilligen Mönchen einen ihr genehmen Dalai Lama zu inthronisieren und auszubilden. Mit dem hätte sie den tibetischen Buddhismus und damit auch die Tibeter kontrollieren können. Gegen den erklärten Willen des Dalai Lama aber wird das tibetische Volk keinen Nachfolger anerkennen.
Zunächst einmal aber scheint der Dalai Lama bei bester Gesundheit zu sein. Und im bereits genannten BBC-Interview erklärte er, er rechne damit, in "fünfzehn bis zwanzig Jahren zu sterben". Er wird möglicherweise also noch viele Geburtstage feiern können, bevor der Streit über die Frage aufbricht, ob er noch einmal geboren worden ist.