Vales umstrittene Milliardenentschädigung
6. Februar 2021Vier Monate zähe Verhandlungen, dann ein milliardenschweres Ergebnis in dieser Woche: Am Donnerstag hatten sich das brasilianische Bergbauunternehmen Vale und die Regierung des Bundesstaats Minas Gerais vor Gericht auf eine Entschädigungssumme von umgerechnet rund 5,8 Milliarden Euro (37,7 Milliarden Real) geeinigt. Das Geld soll Wiedergutmachung sein für die Überflutungskatastrophe von Brumadinho vor zwei Jahren.
Am 25 Januar 2019 war dort der Damm eines Abwasserbeckens einer Vale-Mine geborsten. 13 Millionen Kubikmeter Bergbauschlamm hatten sich daraufhin in die darunter liegenden Gebiete ergossen. Die Lawine rollte über Teile der Anlage und benachbarte Siedlungen nahe Brumadinho hinweg. Der giftige Schlamm begrub Menschen, Häuser und Tiere unter sich. Bisher konnten 259 Leichen geborgen werden, 11 Menschen werden immer noch vermisst. Da auch zwei schwangere Frauen ums Leben kamen, sprechen die Opferfamilien von 272 Toten - anstatt der offiziell 270.
Ursprünglich hatte Minas Gerais eine Entschädigung von 8,5 Milliarden Euro (55 Milliarden Real) gefordert, um die sozio-ökonomischen sowie die ökologischen Schäden zu beheben. Trotz des nun erzielten niedrigeren Betrags feierte die Regierung von Minas Gerais das Abkommen überschwänglich. Sie sprach von der größten jemals in Lateinamerika gezahlten Entschädigungssumme.
Draußen vor dem Gerichtsgebäude in Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaates, herrschte jedoch Unmut. Angehörige von Opfern und Betroffene demonstrierten gegen das Abkommen. Zum einen sei man nicht an den Verhandlungen beteiligt gewesen, zum anderen stimmen die Angehörigen der Verteilung der Gelder nicht zu.
Empörung der Angehörigen
Vagner Diniz hat bei dem Unglück am 25. Januar 2019 zwei erwachsene Kinder verloren. Zudem starb seine im fünften Monat schwangere Schwiegertochter. "Ich bin vollkommen empört über dieses Ergebnis", sagt Diniz. "Zu keinem Moment wurden die am meisten von dieser Tragödie betroffenen Menschen gehört - nicht die Familien der Opfer, nicht die Betroffenen, nicht die Bewohner entlang der verschmutzen Flüsse. Niemand wurde zum Inhalt dieses Deals gehört."
Nayara Cristina von der Opfervereinigung Avabrum bestätigt dies: "Es gab keine Einladung von keiner einzigen Behörde." Quasi als Stellvertreterin der Opfer hatte die Defensoria Pública, Brasiliens Verteidigungsstaatsanwaltschaft, in dem Prozess an der Seite der Staatsanwaltschaft die Entschädigungen mit der Vale ausgehandelt. Die Defensoria Pública dient dazu, die Interessen der Opfer vor Gericht zu vertreten.
"Es sieht so aus, als ob sie glauben, dass die Verteidigungsstaatsanwaltschaft von Brumadinho für uns sprechen könnte", kritisiert Cristina das Vorgehen der Justiz. Doch die Opferfamilien fühlten sich nicht angemessen vertreten und wollten deshalb selber ihre Forderungen bei den Verhandlungen einbringen. Was ihnen jedoch verwehrt wurde. Ihnen gegenüber begründet wurde dies nie, sagen sie. Deshalb würden die Opfer dem Ergebnis der Verhandlungen nicht zustimmen, so Cristina.
Die Politik mischt mit
Rund 9,2 Milliarden Real der insgesamt 37,7 Milliarden Entschädigungssumme fließen in ein Sozialprogramm zur Unterstützung der Betroffenen in Brumadinho. Gleichzeitig werden jedoch fast fünf Milliarden Real für Verkehrsprojekte wie den Ausbau der Umgehungsstraße sowie der Metro in Belo Horizonte abgezweigt. "Das stört mich sehr, denn der Gouverneur macht mit Geld, das ihm nicht gehört, seine persönliche PR-Kampagne", sagt Vagner Diniz.
Auch Nayara Cristina kritisiert die Umwidmung von Teilen der Gelder. Bei dem Unglück hat sie ihren Mann verloren, der bei Vale arbeitete. "Dieses Politgeschacher ist sehr traurig für uns. Sie nutzen uns da aus, ziehen aus dem Blut unserer Familienmitglieder ihren Vorteil."
Die Mitglieder der Avabrum wollen in den nächsten Tagen die Details des Abkommens studieren. Dass man gerichtlich gegen den Deal vorgeht, sei jedoch wenig wahrscheinlich. "Es ist ja bereits unterschrieben, sodass unser Ziel jetzt ist, dass die Gelder möglichst hier in Brumadinho investiert werden", sagt Cristina.
Weitere rund 4 Milliarden Real werden für den Bau von Krankenhäusern und eine verbesserte Ausrüstung von Feuerwehren investiert. Auch hier widerspricht der Hinterbliebene Diniz: "Solche Verbesserungen für die Bevölkerung sollten mit Steuergeldern finanziert werden. Und nicht mit dem Geld der Opfer." Nur die betroffenen Gemeinden sollten darüber entscheiden dürfen, wohin das Geld fließt.
Fokus auf die leidenden Menschen
Aus Sicht von Vagner Diniz müsste derzeit alle Aufmerksamkeit auf die Begleitung der immer noch unter der Tragödie leidenden Menschen gerichtet werden. Darunter auch jene, die ihr Hab und Gut verloren haben und in Hotels oder andere Städte umziehen mussten. Die Umsiedlungen hätten Folgeschäden verursacht, die von Depressionen bis zu Selbstmord reichten.
Immer mehr Menschen würden Medikamente nehmen, um ihr Schicksal zu ertragen. "Sie haben ihren Grund, ihre Lebensgrundlagen und ihre Lebensweise verloren. Da gehen gerade Leben kaputt. Aber in dem Abkommen steht nichts über die Dringlichkeit für die Betreuung der bedürftigen Menschen."
Der wichtige Prozess steht noch an
Sowohl Diniz als auch Cristina richten nun ihre Hoffnungen auf den anstehenden Mordprozess gegen elf Vale-Angestellte und fünf Mitarbeiter einer brasilianischen Tochtergesellschaft des TÜV Süd aus Deutschland. Die TÜV-Süd-Tochter hatte dem Damm wenige Monate vor der Katastrophe Stabilität attestiert.
Allerdings haben beide Angehörigen wenig Hoffnung auf einen zügigen Prozess in Brasilien. "Da muss es schnell gehen, aber bei der Justiz sieht man davon nichts. Stattdessen haben wir den Eindruck, dass Reiche hier in diesem Land nicht bestraft werden", so Vagner Diniz im Hinblick auf die Verantwortlichen bei Vale.
Nayara Cristina setzt daher auf die deutsche Justiz. Denn in Deutschland soll vor einem Münchner Gericht im Auftrag der Gemeinde Brumadinho und der Familie eines der Opfer demnächst eine Zivilklage gegen den TÜV Süd eingereicht werden. "Wir erwarten mehr von Deutschland als von Brasilien. Und als Brasilianerin ist es traurig, das zu sagen."