Daniel Alter: Vom Rock 'n' Roller zum Rabbiner
14. September 2006Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Student: Schwarz gekleidet erscheint er zum Interview-Termin, mit Rucksack und Baseball-Kappe. Die Kippa trägt er darunter. Er bestellt Kaffee und trinkt das erbarmungswürdig dünne Heißgetränk mit einer Gelassenheit, wie man sie sonst nur von geübten Mensa-Gängern kennt. Oder von Menschen, die sich lieber auf wesentlichere Dinge konzentrieren. Daniel Alter gehört sicherlich zu letzteren. Das war ein langer Weg.
Daniel Alter, geboren 1959, wuchs als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main auf. Sein Vater nahm ihn öfter mit ins Fußball-Stadion als in die Synagoge. "Meinen jetzigen Zugang zu unserer Religion habe ich mir selbst erarbeitet", sagt Alter. "Von meinem familiären Hintergrund hatte ich keinen starken Bezug dazu."
Wenig sagen, viel tun
In den 1970ern war Musik Religion. Die Stones, Led Zeppelin, die Pistols - man habe damals das Pseudo-Rebellische leicht heroisiert, erzählt Alter. Vielen Jungendlichen sei es damals so gegangen. "Mir ging es einfach um die Musik, die mir Spaß gemacht hat, von der ich mich habe mittragen, teilweise mitreißen lassen", erinnert sich Alter.
Irgendwann luden ihn Freunde auf die US-Base in Frankfurt in den jüdischen Gottesdienst ein, den es für die dort stationierten amerikanischen Soldaten und ihre Angehörigen gab. Er ging mit, anfangs einfach, weil er die Leute nett fand. "Während der Predigt habe ich irgendwann immer abgeschaltet und meine Gedanken schweifen lassen", gibt Alter zu. "Und irgendwann hat der Rabbiner es geschafft, meine Aufmerksamkeit zu schnappen, wie mit einem Haken."
Die Parabel mit dem Ball war es, sagt Daniel Alter, die ihn, den Fußballfan, damals fesselte: "'Keep your eye on the ball', was ist wichtig? Den Ball im Auge behalten. Und dann habe ich für mich übertragen können: Was ist der Ball? Was ist der Ball in meinem Leben? Das war eine sehr schöne Analogie, mit der ich viel anfangen konnte. Und sie hat mich letzten Endes dazu bewogen, diesen Mann beim nächsten Mal wieder zu hören."
"Besondere, erwähnenswerte Entwicklung"
Alter begann ein Judaistik-Studium in Heidelberg, arbeitete in der jüdischen Gemeinde der US-Armee mit, leitete die größte jüdische Jugendorganisation Deutschlands und wechselte 1999 als Lehrer ans jüdische Gymnasium Berlin. Mit dem neu gegründeten Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam - die einzige deutsche Ausbildungsstätte für jüdische Geistliche - eröffnete sich ihm schließlich die Möglichkeit, selbst Rabbiner zu werden. "Es hat bei weitem nicht die Selbstverständlichkeit, die es vielleicht in Großbritannien oder den USA hat", sagt Alter. Wenn nach so langer Zeit, durch die Zäsur, durch die Shoa, wieder ein Rabbinerseminar seine Türen öffnet und Kandidaten ordiniert. Das sei schon eine besondere, erwähnenswerte Entwicklung.
2001 fing Daniel Alter an und nach fünf Jahren Studien in Jüdischer Philosophie und Geschichte, Pastoraltheologie, Psychologie und Seelsorge - nach Quellenstudium in Tora und Talmud auf Hebräisch und Aramäisch wird Daniel Alter nun Rabbiner in Oldenburg in Niedersachsen. Der erste in Deutschland ausgebildete deutsche Rabbiner nach der Shoa.
"Jüdischer Approach zur Bibel"
"Ein bisschen weniger besonders wäre mir schon lieber gewesen", sagt er. Nicht zuletzt, weil der Rummel ihn schlicht abhält, vom Wesentlichen, von der eigentlichen Arbeit. Mit seiner Frau und den beiden kleinen Töchtern zieht er derzeit in Oldenburg um. Eine kleine, aber lebendige Gemeinde wird er betreuen, Gottesdienste leiten, Krankenbesuche machen, Beerdigungen, Feiertage, Hochzeiten vorbereiten. "Die jüdische Gemeinde der Stadt Oldenburg ist ein Teil der Stadt, nichts, was im losgelösten Raum besteht", erzählt Alter. "Es kommen auch immer wieder Anfragen von christlichen Kirchengemeinden, die für ihre Bibelkreise gerne mal den jüdischen Approach zur Bibel kennen lernen oder etwas übers Judentum wissen möchten. Schulklassen kommen auch öfter"
Dieses rege Interesse will Daniel Alter wach halten: "Erfolg ist dann da, wenn ich es schaffe, Leute in der einen oder anderen Form an unsere Religion zu binden, zu motivieren sich aktiv in die Gemeinde einzubringen. Dieser Zugang müsse nicht unbedingt derselbe sein muss wie sein eigener, das ist ihm wichtig, gerade bei den Jüngeren: "Je jünger die Kinder sind, um so wichtiger ist es. Ich will auch Kinder in der Synagoge haben, und die müssen dann auch nicht stillsitzen und so tun, als ob sie beten." Ein 5-6-7jähriges Kind erinnere sich in 20 Jahren nicht mehr, was in der Synagoge passiert sei, sondern nur noch daran, ob es sich damals da wohl gefühlt hat oder nicht, meint Alter.
Das ist das Wesentliche. Dann klingelt das Handy, Daniel Alter bespricht mit einem Kollegen kurz Abgabetermine für Text-Veröffentlichungen. Sein Kaffee ist inzwischen nicht nur dünn, sondern auch kalt. "Ich bin jemand, der den Ball lieber mal ein bisschen flach hält", sagt er. "Mein Motto heißt: Sage wenig, aber tue viel."