Der Zocker mit den Kanonen-Aufschlägen
13. September 2021Der Gruß von der Spielkonsole durfte nicht fehlen. Nach dem verwandelten Matchball im US-Open-Finale gegen Novak Djokovic (6:4; 6:4; 6:4) ließ sich Daniil Medwedew auf die linke Körperhälfte fallen und verharrte dort einen Moment, als sei er in eine Schockstarre verfallen. Er machte den "dead fish", den "toten Fisch", was vor allem das "Online-Fachpublikum" vor den Spielkonsolen verstehen würde. "Das war aus Fifa", sagte der Russe. Wie das Tennisspiel ist auch das Online-Gambling ein wesentlicher, leidenschaftlicher Teil seines Lebens - und dort besonders der virtuelle Fußball. Medwedew - außerhalb der virtuellen Welt ein großer Fan des FC Bayern München - ist ein "Zocker", der nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern auch an der Playstation das Risiko und seinen Spaß sucht.
Als Medwedew Jugendlicher war, zählte er zu den besten Online-Spielern seines Landes. Täglich widmete er dieser Leidenschaft mehrere Stunden, konnte sich mit den Besten messen. Erst mit 17 Jahren entschied er sich, Tennis intensiver zu verfolgen und vermehrt Turniere zu spielen - da geriet das Online-Gaming dann für ein paar Jahre in den Hintergrund. Jetzt, da der mittlerweile 25-Jährige die Nummer zwei auf der ATP-Tennistour ist und er nachgewiesen hat, dass er in diesem Genre sogar weltweit erfolgreich sein kann, hat er auch wieder mit dem intensiveren digitalen "Zocken" begonnen. Seine Priorität liegt nun aber beim Tennis - auch wenn sein Spaß vor dem Bildschirm kaum geringer zu sein scheint als auf dem Tennisplatz. Dass seine Entscheidung zugunsten der Tenniskarriere richtig war, zeigt die Bilanz des Russen. Medwedew verlor auf dem Weg zu seinem US-Open-Titel nur einen Satz. Er führt seit 2018 alle Spieler der ATP Tour in Hartplatz-Titeln (12), Finals (17) und Siegen (147) an.
Krämpfe plagen Medwedew
Gegen Djokovic dürfte ihm seine ausgewiesene Gambler-Mentalität zudem geholfen haben. "Gegen die meisten Spieler reicht eine Taktik aus, die man sich im Vorfeld überlegt", sagte Medwedew . "Wenn man gegen Novak spielt, ist jede Partie völlig anders. Da braucht man 15 verschiedene Taktiken." Und diese Flexibilität ist schließlich auch online vonnöten.
Vor allem am Ende des Matches gegen den Serben, als er Krämpfe bekam und diese seinem routinierten Kontrahenten unter keinen Umständen präsentieren wollte, versuchte er, mit seinen knallharten Kanonen-Aufschlägen zu "zocken" und schnellstmöglich eine Entscheidung herbeizuführen. Insgesamt gelangen ihm 16 Asse, die Durchschnittsgeschwindigkeit seiner ersten Aufschläge lag bei knapp 200 Stundenkilometern. "Ich wüsste nicht was passiert wäre, wenn ich das nicht hinbekommen hätte", sagte Medwedew . Selbst eine gute halbe Stunde nach dem Finale hatte er Mühe, den Sieger-Pokal festzuhalten, weil die Krämpfe ihn ordentlich malträtierten.
Kein Geschenk für Daria Medvedeva
Medwedew ist nun mit seinem ersten Grand-Slam-Erfolg im dritten Final-Anlauf im Tennis-Olymp angekommen. Und dieses Mal hatte er fast keine andere Wahl, denn als Sieger den Platz zu verlassen. Schließlich feierte er mit seiner Frau Daria Medwedewa an diesem Sonntag seinen dritten Hochzeitstag. "Ich hatte keine Zeit, ein Geschenk zu besorgen, also musste ich das Match gewinnen", sagte Medwedew bei der Siegerehrung fast reuig. Seine Frau, die sich die Partie im Tennis-Stadion von Flushing Meadows angesehen hatte, konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen.
Weniger freudig war dagegen seinem Kontrahenten Novak Djokovic zumute, der es durch diese Niederlage und den damit verlorenen Grand Slam (alle vier Grand-Slam-Turniere in einem Jahr zu gewinnen) verpasste, einen großen Schritt in Richtung erfolgreichster Spieler aller Zeiten zu machen. Medwedew konnte sich auch in diesem Moment des größten Triumphs seiner Karriere gut in die missliche Lage Djokovics hineinversetzen. Deshalb richtete er auch noch ein paar versöhnliche Worte an den 34-Jährigen, dem an diesem Abend schon mehrfach die Tränen der Enttäuschung gekommen waren. "Ich sage sowas eigentlich nicht öffentlich. Aber jetzt mache ich das mal. Für mich bist du der größte Tennisspieler aller Zeiten", sagte der Russe.