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PolitikNahost

Darfur - die Gewalt und ihre Gründe

28. April 2022

In der sudanesischen Region Darfur gibt es wieder schwere Zusammenstöße verfeindeter Volksgruppen. Die erneute Gewalt ist Ausdruck mehrerer sich überlagernder Krisen und Missstände.

Sudan | Soldaten ARCHIV
Mitglieder der Rapid Support Forces, Juni 2019Bild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance

Mindestens 200 Tote und rund einhundert Verletzte, dazu zehntausende Menschen auf der Flucht: Der ungelöste Konflikt in Darfur fordert weiter zahlreiche Opfer. Die Gewalt hatte am Freitag vergangener Woche begonnen, als bewaffnete arabischstämmige Kämpfer Dörfer der Massalit angriffen, einer afrikanischen ethnischen Minderheit. Einheimischen Berichten zufolge zerstörten die Angreifer auch mehrere Krankenhäuser in der Region. Laut lokaler Medien sehen die arabischen Aggressoren ihre Attacken als Rache für den Tod zweier Stammesmitglieder, die kurz zuvor bei einem Streit mit Angehörigen einer afrikanischen Gemeinschaft ums Leben gekommen seien.

Am heftigsten sei die Gewalt am Montag dieser Woche gewesen, erfuhr die DW von Emily Wambugu, medizinische Referentin eines Projekts von Ärzte ohne Grenzen im Lehrkrankenhaus der Stadt Al-Geneina in West-Darfur. Der Beschuss habe früh am Morgen begonnen, berichtet sie. Die meisten Patienten hätten das Krankenhaus daraufhin verlassen.

"Die einzigen Menschen, die im Krankenhaus blieben, waren vier Mütter, deren Kinder mit Sauerstoff versorgt wurden." Auch einen Tag später sei die Situation noch schwierig gewesen. "Wir hören immer noch sporadische Schüsse. Es ist hart, wenn man an die vielen Menschenleben denkt, die verzweifelten Kinder, die wir jeden Tag gerettet haben. Jetzt sind wir nicht in der Lage, auch nur einen von ihnen zu versorgen."

Der Klimawandel verschärft den Konflikt

Der Gewalt spiegele die weiter ungelösten Konflikte des Sudan, sagt Marina Peter, Vorsitzende des Sudan- und Südsudan-Forum e.V. Diese hatten auch in der jüngeren Vergangenheit regelmäßig Zusammenstöße ausgelöst. "Es sind immer wieder Menschen getötet worden. Frauen wurden vergewaltigt. Häuser wurden niedergebrannt. Die Gewalt hat nie aufgehört. Sie prägt die Region seit Jahren", so Peter im DW-Interview.

Jahrelange Gewalt: ein von den Dschandschawid angezündetes Haus in Darfur, 2004Bild: Scott Nelson/Getty Images

Derzeit würden die Auseinandersetzungen zusätzlich angeheizt durch eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage, so Peter weiter. "Es steht immer weniger Land zur Verfügung, ob als Weideland oder als Anbaufläche. Das wird ausgelöst unter anderem durch die Klimakatastrophe, das kann man sehr deutlich nachweisen. Der Kampf um Ressourcen wird seit Jahren ausgetragen. Verschärft werden könnte er zudem durch die Getreidepreise, die aufgrund des Krieges in der Ukraine steigen."

Der Konflikt in Darfur hat seine Wurzeln in der Dürre- und Hungerkatastrophe in den Jahren 1983/84. Hunderttausende Menschen verloren ihr Hab und Gut. Besonders arabische Bevölkerungsgruppen waren betroffen, während afrikanische sich innerhalb kürzester Zeit von Nomaden zu sesshaften Handeltreibenden entwickelten und die Märkte beherrschten.

In den frühen 2000er Jahren näherte sich der Friedensprozess der beiden zerstrittenen Landesteile, dem Nord- und dem Südsudan, einer politischen Lösung. Diese umfasste aber nicht die Region Darfur. Deren Eliten fühlten sich von wirtschaftlicher und politischer Teilhabe ausgeschlossen und afrikanische Rebellenorganisationen begannen im Frühjahr 2003 den bewaffneten Widerstand gegen die sudanesische Regierung.

Karges Land: Der Klimawandel macht auch dem Sudan schwer zu schaffen und verschärft die GewaltBild: Mohamed Babiker/picture alliance/Photoshot

Der damalige (2019 gestürzte) Präsident des Sudan, Diktator Omar al-Baschir, ging militärisch gegen die Rebellen vor, Leidtragende waren aber in erster Linie Zivilisten. Baschir setzte dabei vor allem arabische Milizen ein, die bald darauf als Dschandschawid gefürchteten Reitergruppen. Der Krieg forderte nach UN-Angaben etwa 300.000 Menschenleben. Rund anderthalb Millionen Menschen leben weiterhin in Flüchtlingslagern.

Friedensabkommen ohne Folgen

Im August 2020 unterzeichnete die nach dem Sturz al-Baschirs aus Militärs und Zivilisten gebildete Übergangsregierung mit Teilen der bewaffneten Opposition ein Friedensabkommen. Dieses beinhaltete unter anderem eine Aufteilung der Macht, die Eingliederung aller bewaffneten Gruppen, die Rückkehr der Flüchtlinge, die juristische Aufarbeitung der Verbrechen während des Bürgerkriegs sowie Regelungen zum Landbesitz.

Von dem Abkommen wurde aber kaum etwas umgesetzt, sagt Marina Peter. "Einige der Unterzeichnenden haben Minister- und andere Posten erhalten und damit auch die militärische Komponente der Übergangsregierung gestärkt - ein schwerer Fehler, wie sich herausstellte."

Anhaltende Korruption und Menschenrechtsverletzungen

Im Oktober 2021 putschte das Militär gegen die Übergangsregierung. Statt ihrer setzte sich der bereits existierende Souveräne Rat an die Staatsspitze. Dass dieser den Konflikt in Darfur entschärfen oder gar befrieden werde, sei wenig wahrscheinlich, sagt Marina Peter. "Führende Mitglieder des Militärs waren bereits vor der Revolution in Korruption und zweifelhafte Geschäfte verwickelt. Diese Leute sind immer noch an der Macht."

Im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International steht der Sudan auf Rang 164 - von 180 Ländern insgesamt. Seit dem Militärputsch moniert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International willkürliche Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen im Land.

Weithin gefürchtet: die Miliz Rapid Support ForcesBild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance

Im Zentrum der Kritik stehen dabei die Vorsitzenden des Souveränen Rats, die beiden Generäle Abdel Fattah al-Burhan und Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der ehemalige Führer der Dschandschawid und derzeitiger Kommandant der gefürchteten Rapid Support Forces. "Beide Männer waren schon unter dem ehemaligen Präsidenten al-Basshir tätig und sind für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich", so Amnesty.

"Es ist kaum anzunehmen, dass diese Personen, die direkt für gewaltsame Übergriffe verantwortlich sind, Interesse an einer für alle zufriedenstellenden Lösung haben", glaubt Marina Peter.

Enge Beziehungen zu Moskau

Offen ist, wie sich die Beziehungen des Sudan zu Russland auf den Konflikt auswirken. Am 24. Februar - an jenem Tag begann Russland seinen Angriff auf die Ukraine - führte Mohamed Hamdan Dagalo in Moskau Gespräche mit hochrangigen russischen Regierungsmitgliedern, unter anderem Außenminister Sergej Lawrow. Zwar war Dagalo angeblich nicht in seiner Funktion als Co-Vorsitzender des Souveränen Rates nach Moskau gereist. Dennoch zeigen die Gespräche, wie eng das Verhältnis von zumindest einem Teil der sudanesischen Staatsspitze zu Russland ist.

Damit führt der Souveräne Rat die Russland-Politik von Diktator al-Baschir fort. So ist etwa das russische Unternehmen M-Invest - dem US-Finanzministerium zufolge eine Deckfirma der privaten russischen Söldner-Gruppe Wagner  - im Besitz von Schürfrechten für sudanesische Goldminen. Diese werden in Kooperation mit den Rapid Support Forces ausgebeutet.

Vieles deute darauf hin, dass sich in Darfur bedeutende Öl- und Uranvorkommen befänden, sagt Marina Peter. "Die dürften kaum dazu beitragen, dass sich die Lage in Darfur entschärft. Eine tragfähige friedliche Lösung, demokratische Entwicklung und eine Verbesserung der ökonomischen Lage für die Menschen im gesamten Sudan ist ohnehin wenig wahrscheinlich, solange sich die Militärs an der Macht halten."

Sudan: Der kurze Traum der Demokratie

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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