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Darm, mach keinen Scheiß!

9. August 2019

Hauptsache, es macht satt und ist lecker? Wer sein Essen nach diesen Kriterien auswählt sollte wissen, dass die Folgen einer geschädigten Darmflora ziemlich ernst sein können. Gesünder ist, wer gesünder isst.

Namibia | Afrikanischer Elefant
Pflanzliche Nahrung steckt voller Ballaststoffe - und die halten die Darmbakterien bei LauneBild: picture-alliance/blickwinkel/artifant

Bis zu 100 Billionen. So viele Bakterien leben im Darm eines jeden Menschen. 1400 verschiedene Arten haben Forscher bisher ausgemacht. Ein Grund also, weshalb wir über den Darm und seine Bewohner reden sollten: Sie sind in der Übermacht!

Nicht nur, was die Anzahl betrifft. Der Einfluss der Darmbakterien, der sogenannten Mikrobiota, auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ist groß. So groß, dass immer mehr medizinische Fachbereiche die Bedeutung gesunder Ernährung hervorheben.

Denn alles, was wir oben reinschieben, kommt irgendwann unten wieder raus. Dazwischen liegt unter anderem der Darm. So wie ein Dieselmotor schnell den Geist aufgibt, wenn wir ihn permanent mit Benzin betanken, so streiken auch die Darmbakterien bei dauerhaft falscher Fütterung.

Diabetis, Übergewicht und Allergien, aber auch Multiple Sklerose, Parkinson, Herzkrankheiten und Krebs werden in Zusammenhang mit einer aus dem Gleichgewicht geratenen Darmflora gebracht. Selbst unsere Psyche wird aus dem Darm ferngesteuert: Ist die Mikrobiota in einem schlechten Zustand, kann das Depressionen begünstigen.

Industriell verarbeitete Nahrung und Getränke setzen der Darmflora enorm zu. Ausgangspunkt für viele KrankheitenBild: Imago/Waldmüller

Ein Stück Schokolade, ein paar Nüsse, ein Bissen Brot. Einmal heruntergeschluckt nehmen alle Nahrungsmittel denselben Weg. Über die Speiseröhre gelangen sie in den Magen und schließlich in den Dünndarm. Dort angekommen sind die verschiedenen Leckerbissen bereits bis zur Unkenntlichkeit zerkleinert.

Im etwa sechs Meter langen Dünndarm spalten Enzyme Nahrungsteilchen wie einfache Zucker, Proteine und Fette, die mittlerweile winziger als ein Millimeter sind, in noch kleinere Einheiten. Über die Wand des Dünndarms gelangen sie ins Blut. Im Vergleich zum Dickdarm ist der Dünndarm fast schon steril. Bakterien sind hier unerwünschte Konkurrenz für die wertvollen Nährstoffe und werden mit Hilfe von Gallenflüssigkeit, Antikörpern und antibakteriellen Stoffen in Schach gehalten.

Ballaststoffe als Bakterienfutter

Ganz anders im Dickdarm. Dort stürzt sich eine Armada von Mikroorganismen auf alles, was der Dünndarm übrig gelassen hat: Ballaststoffe, wie sie in Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten vorkommen.

Die Bakterien unseren Dickdarms lieben sie. Und der menschliche Körper lässt sie gewähren, weil er mit den Ballaststoffen selbst nichts anfangen kann. Doch unverdaulich bedeutet noch lange nicht unnütz! Wie wichtig es ist, die Darmbakterien mit dem richtigen Futter bei Laune zu halten, wurde lange unterschätzt.

Wenig verwunderlich, dass chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zumindest zu einem Teil auf eine gestörte Darmflora zurückgeführt werden können.

Regionales und saisonales Gemüse und Obst hat viele VorteileBild: picture-alliance/Photononstop

Erstaunlicher sind Ergebnisse wie die von Forschern der Uni Freiburg: Sie haben in einem Versuch mit Mäusen festgestellt, dass die Darmbakterien auch unentbehrlich für eine funktionierende Immunabwehr des Gehirns sind.

Bei der Zersetzung von Ballaststoffen produzieren die kleinen Darmbewohner kurzkettige Fettsäuren, die unter anderem als Futter für die Mikroglia dienen. Die Mikroglia, auch Fresszellen genannt, schützen das Hirn vor Keimen und anderen Eindringlingen. Verhungern diese Ordnungshüter, stehen neurodegenerativen Hirnkrankheiten wie Alzheimer und Multipler Sklerose Tür und Tor offen, glauben die Forscher.

Die Freiburger Wissenschaftler verstehen die Ergebnisse ihrer Studie deshalb auch als Hinweis auf die Bedeutung, die eine vernünftige Ernährung für die Gesundheit spielt - nicht nur für die des Darms, sondern am Ende auch für die des Gehirns.

Bakterien außer Kontrolle

Das Stück Schokolade, die Nüsse und das Brot mögen nach der strapaziösen Reise durch den Verdauungstrakt zwar ein optischer Einheitsbrei sein. Die Mikrobiota lässt sich dadurch allerdings nicht täuschen: Futter ist nicht gleich Futter.

Die Darmbakterien passen sich zwar dem Essverhalten ihres menschlichen Wirts so gut sie können an und versuchen so, die zugeführte Nahrung optimal zu verwerten. Stopft dieser sich allerdings vor allem mit Fertiggerichten, Softdrinks und Süßigkeiten voll, werfen die Bakterien irgendwann das Handtuch. Zu viel Zucker und zu wenig Ballaststoffe sind eine schlechte Kombination, die Darmbakterien verhungern regelrecht und nehmen in Zahl und Vielfalt rapide ab. 

Allerdings geben nicht alle Bakterien kampflos auf - und das ist keine gute Nachricht! In Mäuseexperimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Bakterien bei ausbleibenden Ballaststoffmahlzeiten beginnen, Löcher in die Darmschleimhaut zu fressen.

Die Schleimhaut schützt die Darmzellen und den Rest des Körpers vor dem Getümmel im Darm. Denn bei aller Liebe, außerhalb des Darms haben die Bakterien nichts verloren. Sie verursachen überschießende Immunantworten und Infektionen.

Die Entzündungen beschränken sich nicht unbedingt auf den Darm. Eine löchrige Darmwand könnte bei genetisch vorbelasteten Menschen ein Auslöser für Gelenkentzündung sein und den Startschuss für eine Arthritis geben.

Kot-Transplantation mit guter Quote

Bei all diesen Horrorszenarien gibt es eine gute Nachricht: Gute Ernährung wirkt sich positiv auf die Darmbakterienzahl und -vielfalt aus und kann so manche Beschwerden lindern oder gar beseitigen. Bereits wenige Stunden nach einer Nahrungsumstellung erholt sich die Darmflora.

Wer allerdings jahrelanges Schindluder mit seiner Darmflora getrieben hat, dem verzeihen die Mikroorganismen nicht so schnell. Stattdessen wird die aus der Balance geratene Darmbesiedelung epigenetisch konserviert und über einige Generationen weitervererbt.

Zusätzlich zur Ernährungsumstellung brauchen die Patienten dann eine bakterielle Therapie, wie die Mikrobiota-Transplantation. Den Kranken werden dabei Darmbakterien aus dem Kot gesunder Menschen eingepflanzt. Klingt scheußlich, hat aber eine Erfolgsquote von über 80 Prozent. Es gibt also einige gute Gründe, bei der nächsten Mahlzeit an die Mitbewohner im Darm zu denken. Zum Feind will die wirklich keiner haben.         

                                                              

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