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KatastropheLibyen

Darna: Porträt einer rebellischen und vernachlässigten Stadt

Cathrin Schaer
17. September 2023

Vor den katastrophalen Überschwemmungen des Sturmtiefs "Daniel" war die Hafenstadt Darna im Osten Libyens für etwas anderes bekannt: für unabhängiges Denken, islamistische Extremisten und schöne Strände.

Ein Mann sitzt auf Trümmern, dahinter sind Menschen und Autos im Überschwemmungsgebiet zu sehen
Erschöpft: Ein freiwilliger Helfer im überfluteten DarnaBild: AFP

Im Laufe ihrer Geschichte wurde die Hafenstadt Darna im Osten Libyens sowohl gefürchtet als auch verehrt. Ende des 15. Jahrhunderts an der Stelle einer antiken griechischen Kolonie gegründet, galt sie fortan als Zentrum des Geisteslebens und des unabhängigen Denkens, der Weltoffenheit, der Kunst und der Kultur. Die Stadt mit ihren rund 100.000 Menschen wird auch für ihre attraktive Umgebung gerühmt, denn sie liegt am Mittelmeer, flankiert von einigen der wenigen grünen Wälder des ansonsten trockenen Landes.

Experten zufolge trugen der historische Ruf der Stadt und die bevorzugte Lage an der Küste jedoch entscheidend zu den verheerenden Verwüstungen und der hohen Zahl der Todesopfer bei, die nach den katastrophalen Überschwemmungen dieser Woche zu beklagen sind. Mehr als 11.000 Menschen kamen durch Sturm "Daniel" ums Leben, unzählige weitere werden noch vermisst.

Stadt der Rebellen

2011, während des sogenannten Arabischen Frühlings, zählten die Bewohner von Darna gemeinsam mit den Bewohnern der etwa 350 Kilometer weiter westlich gelegenen Hafenstadt Bengasi zu den ersten, die gegen die seit 42 Jahren bestehende Diktatur auf die Straße gingen.

In den vorangegangenen Jahrzehnten hatte Libyens autoritärer Herrscher Muammar al-Gaddafi sich eine loyale Machtbasis im Westen des Landes geschaffen, rund um die Stadt Tripolis. Dem Osten hatte er wenig Beachtung geschenkt und Städte wie Darna und Bengasi litten schon lange unter einer Politik der wirtschaftlichen Ausgrenzung.

In den Straßen Darnas stapeln sich weggeschwemmte AutosBild: Hamza Al Ahmar/AA/picture alliance

Das war zum Teil darauf zurückzuführen, dass sich die Bewohner von Darna seit den 1970er-Jahren gegen die Herrschaft von Gaddafi wandten. Der revolutionäre Ruf der Stadt wurde auch durch Personen geprägt, die rigidere Formen des Islam befürworteten. Geeint durch ihre religiösen Werte, würden sie schließlich gegen Gaddafi antreten. Der Diktator ließ Darna im Gegenzug seine Macht spüren und überließ die Infrastruktur der Stadt dem Verfall.

In den 1990er-Jahren traten Männer aus Darna der Libyschen Islamischen Kampfgruppe (LIFG) bei, die gegen Gaddafi kämpfte. Der Diktator antwortete mit brutalen Maßnahmen. Haus für Haus wurde durchsucht, um LIFG-Mitglieder aufzuspüren. Er schreckte auch vor Kollektivstrafen nicht zurück, ließ Häuser niederreißen und die Strom- und Wasserversorgung der Stadt unterbrechen. Viele der Opfer des berüchtigten Gefängnismassakers in Tripolis im Jahr 1996 stammten aus Darna. Sicherheitskräfte sollen damals nach einer Revolte im Abu-Salim-Gefängnis rund 1200 Häftlinge erschossen haben.

"Die Stadt verrottete immer mehr - keine Schulen, die Krankenhäuser in einem erbärmlichen Zustand, eine vernachlässigte Infrastruktur", so beschreibt es Hani Shennib, Präsident des National Council of US-Libya Relations, in der BBC.

Ein Reporter der britischen Zeitung "The Guardian" besuchte Darna 2011 und schrieb: "Die Wohn- und Bürogebäude in Darna wirken im Vergleich mit denen anderer Städte im Land heruntergekommen. Das Abwasser läuft auf die Hauptstraßen."

Diese Vernachlässigung setzte sich in den Folgejahren fort, beklagt Hussein bin-Dish, ein Beamter der Stadt, gegenüber der DW: "Hier funktioniert nichts, keine nationalen Behörden, nichts. Uns wird großes Unrecht getan."

Stadt der islamistischen Extremisten

Während der libyschen Revolution von 2011 wiederholte Gaddafi oft den Vorwurf, die Proteste in Darna würden von islamistischen Extremisten und Gruppierungen wie al-Qaida angestachelt. Fachleute sind jedoch der Meinung, dass die ablehnende Haltung der Stadt nur in Teilen darauf zurückzuführen ist, dass sie ein Zentrum islamistischer Hardliner ist. Sie ist auch einer langen Tradition des Intellektualismus und der Gegenkultur geschuldet.

Nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes 2011 fand sich Darna - wie auch der Rest Libyens - verschiedenen Milizen und kämpfenden Gruppierungen ausgeliefert. Eine der mächtigsten Gruppierungen in Darna war die Abu-Salim-Märtyrer-Brigade, die von einem ehemaligen Mitglied der LIFG gegründet wurde. 2014 schworen Überläufer dieser Brigade dem "Islamischen Staat" (IS) ihre Treue und übernahmen die Kontrolle in Darna. Ihre "Herrschaft zeichnete sich weitgehend durch Enthauptungen und andere Formen der Hinrichtung oder öffentliche Demütigungen aus", schrieb Andrew McGregor, kanadischer Experte für Sicherheitsthemen in der islamischen Welt, 2018 in einem Bericht für die Jamestown Foundation, einer US-amerikanischen Denkfabrik.

Andere Bewohner der Stadt kämpften dagegen, doch es dauerte bis 2016, bis die IS-Terrormiliz schließlich vollständig aus der Stadt vertrieben werden konnte. Für die Zivilbevölkerung Darnas bedeutete dies jedoch noch nicht das Ende der Kämpfe.

Seit 2014 ist Libyen in zwei Teile gespalten, mit rivalisierenden Regierungen im Osten und im Westen des Landes. Die von den Vereinten Nationen unterstützte Regierung der Nationalen Übereinkunft hat ihren Sitz in Tripolis im Westen des Landes, während ihr Konkurrent, der Abgeordnetenrat, in Tobruk im Osten residiert.

Der libysche Warlord Chalifa Haftar, dessen Libysch-Nationale Armee, kurz LNA, einen Großteil der östlichen Landeshälfte kontrolliert, wollte auch Darna einnehmen. Während sich dort noch islamistische Gruppen gegenseitig bekämpften, belagerte er 2015 mit seinen Streitkräften die Stadt. Erst 2018 gelang es ihm, die Kontrolle zu übernehmen.

Die Kämpfe in Darna waren brutal, doch die internationale Gemeinschaft wandte ihre Augen ab, denn sie hatte "nichts gegen die Beseitigung einer langjährigen Brutstätte für Islamismus", so McGregor. Selbst als die Gewalt 2018 endete, wurde die weiterhin als aufsässig geltende Stadt von den Machthabern in Ostlibyen ignoriert und vernachlässigt.

"Die Libyer sind schockiert und schieben die Schuld auf eine korrupte Verwaltung. Sie zankt sich um die Macht, anstatt zu regieren, sie unterschlägt die für den Wiederaufbau Darnas nach dem Krieg von 2018 bestimmten Gelder und ignoriert Warnungen zu den Dämmen", schreibt Tarek Megerisi, leitender Analyst beim Nahost- und Nordafrikaprogramm des European Council on Foreign Relations.

Fachleuten zufolge traut Haftar den Bewohnern von Darna noch immer nicht und befürchtet, dass in der Stadt der Samen für eine weitere Revolution schlummert. Tatsächlich wurden Anfang des Monats die Kommunalwahlen in der Stadt abgesagt, was es der LNA ermöglicht, dort an der Macht zu bleiben, erklärt Anas el-Gomati, Direktor der libyschen Denkfabrik Sadeq Institute der DW. "Vor einigen Wochen hätten in Darna kommunale Wahlen stattfinden sollen, doch die wurden zugunsten des Militärs abgesagt, das so weitere fünf Jahre an der Macht bleibt", führt el-Gomati aus. "Aber was haben sie in den vergangenen fünf Jahren getan, außer die Wirtschaft zu plündern, die Stadt zu zerstören und das Altmetall für eine Milliarde Dollar zu verhökern?", fragt er mit Blick auf einen Bericht von 2019, in dem die Global Initiative Against Transnational Crime untersuchte, wie sich die LNA finanziert.

Malerische Landschaft

Auch der malerische Standort Darnas trug zu der Überschwemmung bei, die die Stadt diese Woche verwüstete. Die Stadt mit ihren alten Kirchen und Moscheen, die von Stränden gesäumt und für ihre Landwirtschaft berühmt ist, wurde auf einem sogenannten Schwemmkegel erbaut, also auf Land, das sich durch Sedimente bildet, die von Flüssen und Bächen in Richtung Meer geschwemmt werden. Ein Fluss - beziehungsweise ein Wadi, ein Flussbett, das die meiste Zeit des Jahres trocken ist - teilt die Stadt in zwei Hälften.

Ein Eindruck vor der Flut: Darna ist schon oft überschwemmt wordenBild: AFP via Getty Images

Ein solches Gelände wird häufig überflutet und Darna hat über die Jahre viele Überschwemmungen erlebt. 1941, während des Zweiten Weltkrieges, trug eine Flut deutsche Panzer und Soldaten, die in den Außenbezirken Darnas stationiert waren, davon. Weitere große Überschwemmungen gab es in den Jahren 1956, 1959, 1968 und 1986, wobei die Überschwemmung von 1959 die bisher schlimmste war.

Aufgrund dieser regelmäßigen Überschwemmungen wurden von 1973 bis 1977 von Hidrotehnika-Hidroenergetika, einem Unternehmen aus dem ehemaligen Jugoslawien, zwei Dämme errichtet, Darna und Mansour. Sie dienten laut Unternehmen sowohl dem Schutz vor Hochwasser und Bodenerosion als auch der Bewässerung des umliegenden Ackerlands.

2011 erlebte Darna eine Überschwemmung, als die Behörden erfolglos versuchten, Wasser von den Dämmen abzulassen. Doch schon zuvor war den Bewohnern klar, dass die Dämme schon seit Jahren nicht ordentlich gewartet wurden. Wie lange die jüngste Wartung zurück liegt, weiß niemand. Es könnte 2002 gewesen sein, wie Bewohner vor Ort Journalisten berichteten, oder auch 1983.

Ein Mann klagte der DW gegenüber: "Seit Wochen, nein, seit Jahren warnen wir die Behörden, dass der Damm Risse hat und gewartet werden muss. Wir weisen darauf hin und niemand hört uns zu. Jetzt ist ganz Darna überflutet."

Trotzdem gaben die Dämme einigen Bewohnern Darnas ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Die Stadt ist planlos und ungeordnet gewachsen. Gebäude wurden auf Gebiet errichtet oder erweitert, das zuvor regelmäßig überschwemmt wurde.

Doch die Flut, die jetzt über Darna hereingebrochen ist, geht nicht nur auf mangelhafte Wartung zurück. Hydrologen weisen darauf hin, dass die Dämme schlicht nicht für die Niederschlagsmengen gebaut wurden, die auf Darna niederregneten, denn sie wurden errichtet, bevor sich der Klimawandel bemerkbar machte.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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