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Darum steigen die Fälle von Geschlechtskrankheiten

Gudrun Heise
Veröffentlicht 15. Dezember 2023Zuletzt aktualisiert 8. März 2024

Jeden Tag stecken sich weltweit über eine Million Menschen mit einer Geschlechtskrankheit an. Die Zahl von Infektionen mit Gonorrhö, Syphilis und auch Chlamydien nimmt rasant zu.

Chlamydien unter dem Mikroskop
Chlamydien ist die am häufigsten übertragene Geschlechtskrankheit weltweitBild: picture-alliance/OKAPIA KG/G. W. Willis

Als "besorgniserregend" stuft die EU-Gesundheitsbehörde (ECDC) die Entwicklung ein. Allein die Infektionen mit Gonorrhö, auch bekannt als Tripper, sind in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum, EWG, im Jahr 2022 auf nahezu 71.000 Fälle gestiegen. Das sind 48 Prozent mehr als noch 2021.

Auch Infektionen mit Syphilis und Chlamydien verzeichnen einen Anstieg um 34 Prozent, die der Chlamydien um immerhin 16 Prozent. Die Zahlen seien vermutlich nur "die Spitze des Eisbergs".

Unfruchtbarkeit als Folge

Die Zunahme sei u.a. auf verschiedene Testverfahren in den Ländern zurückzuführen. Werden die sexuell übertragenen Krankheiten (STI) früh genug diagnostiziert, können sie behandelt werden. Ist das nicht der Fall, können einige im schlimmsten Fall zu Unfruchtbarkeit führen.

Wichtig ist also eine frühe Diagnose, aber auch, dass es Zugang zu entsprechenden Therapien gibt. Um das zu gewährleisten, seien Aufmerksamkeit und intensive Präventionsmaßnahmen dringend notwendig, so ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Dazu gehört auch eine bessere Aufklärung. Würden diese Angebote ausgeweitet, könne der zurzeit "besorgniserregende Trend" sogar umgekehrt werden, so Ammon.

Steigende Infektionsraten als weltweites Problem

Laut Robert-Koch-Institut hat sich die registrierte Zahl der Syphilis-Infektionen zwischen 2010 und 2022 allein in Deutschland mehr als verdoppelt, von 4077 auf 8309 Fälle. 

Bei der Syphilis zeigt sich auch in den USA und in Kanada ein eindeutiger Trend. "In den letzten zwei, drei Jahren hat es in den USA dramatische Anstiege der Syphilis-Infektionen bei Frauen gegeben, vor allem bei schwangeren Frauen", erklärt Norbert Brockmeyer, Präsident der deutschen Gesellschaft zur Förderung Sexueller Gesundheit. "Im frühen Stadium einer Syphilis-Infektion kann die Schwangere die Erreger auf das Ungeborene übertragen, Fehl- und Totgeburten können die Folge sein oder das Baby kommt blind oder taub zur Welt."

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) registrierte im Jahr 2022 insgesamt 178.000 Fälle von Syphilis, davon etwa 3760 Babys. Das ist verglichen mit 2012 eine Steigerung um das Zehnfache.

Auch Krisen und Kriege als Ursachen

Dramatisch ist auch die Situation in Entwicklungsländern. Während es in den meisten europäischen Ländern relativ verlässliche Zahlen zu den Infektionsraten gibt, finden sich in Entwicklungsländern kaum umfassende Dokumentationen.

Für sexuell übertragbare Infektionen in Afrika liegen zum Beispiel nur geschätzte Daten vor. "Wir können davon ausgehen, dass gerade in afrikanischen Ländern die sexuell übertragbaren Infektionen deutlich angestiegen sind, denn diese Regionen sind stark von Kriegen, von Dürre und von Migration betroffen, und es gibt kaum medizinische Versorgung", beschreibt Brockmeyer die Situation.

Symptome zeigen sich erst verspätet

Bei der Syphilis treten meist in einem Zeitraum von fünf bis 21 Tagen rote Flecken und Knoten dort auf, wo der Erreger in den Körper eingedrungen ist, also am Penis, am After, der Scheide, nach Oralsex auch im Rachen. Bis zu drei Monate nach der Ansteckung können vergehen, bis sich die Infektion auf diese Weise bemerkbar macht. Das erschwert eine schnelle Diagnose der Syphilis, die auch als das "Chamäleon der Medizin" gilt.

Bei einer Infektion mit Gonorrhö zeigen sich zunächst Rötungen und Schwellungen an der Mündung zur Harnröhre. Beim Urinieren haben Infizierte oft Schmerzen. Hinzu kommt eitriger Ausfluss.

Die weltweit am häufigsten übertragene Geschlechtskrankheit ist die Infektion mit Chlamydien. Weltweit kommt es jedes Jahr zu etwa 127 Millionen Neuinfektionen, so die Schätzung der Weltgesundheitsorganisation. Die Erkrankung verläuft häufig ohne Symptome und wird deshalb häufig erst dann diagnostiziert, wenn ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt und deswegen entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden.

Auch andere sexuell übertragbare Infektionskrankheiten nehmen deutlich zu. Darunter Hepatitis B, eine Erkrankung, die ebenfalls oft nicht sofort diagnostiziert wird. Bei etwa 70% aller mit Hepatitis infizierten Personen verläuft die Erkrankung ohne oder mit unspezifischen Symptomen, wie etwa Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Erst im späteren Verlauf können sich Augen und Haut gelb färben, der Urin kann dunkel werden. In den meisten Fällen heilt Hepatitis B von selbst aus. In seltenen Fällen wird die Infektion allerdings chronisch und kann dann zu Leberzirrhose oder Leberkrebs führen. 

Es gibt immer mehr Resistenzen

Verantwortlich für die Infektion mit einer STI sind verschiedene Erreger, meist Bakterien, die mit Antibiotika behandelt werden können. Und hier nehmen die Resistenzen zu. "Die Infektionen mit resistenten Erregern spielen eine enorm große Rolle", so Brockmeyer.

"Bei Gonokokken, den Auslösern der Gonorrhö, sind die Resistenzraten weiter angestiegen, so dass wir immer häufiger Probleme mit der Therapie haben. Die Frage ist: Welche wirksamen Medikamente stehen uns noch zur Verfügung? Bezüglich Gonokokken sind das recht wenige, und die Situation ist weltweit ähnlich."

Sexuelle Gesundheit immer noch Tabuthema

Nicht nur in Entwicklungsländern, auch in Europa sind viele Menschen nicht ausreichend über sexuell übertragbare Infektionen informiert. "Das Wichtigste ist, dass Diagnosen schnell getroffen werden können. Je früher es eine Diagnose gibt, desto früher kann behandelt werden", sagt Brockmeyer. Sexuelle Gesundheit mache einen großen Teil der allgemeinen Gesundheit aus, aber es sei eben noch immer ein Tabubereich.

Der Glaube, bestimmte Krankheiten seien vor allem ein Problem weit entfernter Länder, täuscht in einer globalisierten Welt. "Corona hat gezeigt, dass Infektionen heute in China sind und morgen schon in Südafrika oder bei uns. Wir müssen Verantwortung für andere Länder übernehmen, die Gesundheitssituation dort verbessern und dafür sorgen, dass es weniger Infektionen gibt", erklärt Brockmeyer. "Das sind Präventionsmaßnahmen, von denen alle Länder profitieren."

Sie könnten auch dabei helfen, das Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen. Bis 2030 sollen sexuelle Infektionen stark eingedämmt werden. Bei HIV ist das recht gut gelungen. Da sind die Zahlen sind stabil.

Werden entsprechende Maßnahmen getroffen, könnte das auch zu einem Rückgang der sexuellen Infektionen in Europa und weltweit führen.

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