Das Jazzfest Berlin startet
4. November 2015 Miles Davis, Chet Baker, Stan Getz, John Lennon und Bruce Springsteen - sie alle und viele weitere namhafte Größen der Jazz- und Popmusikszene hat der Brite Richard Williams als Musikjournalist interviewt. Neben seiner Arbeit für große Publikationen wie "The Melody Maker", "The Times", "The Guardian" und "Down Beat" schrieb er zahlreiche Bücher, unter anderem über Bob Dylan, Miles Davis und Phil Spector, und unterhält den Blog "thebluemoment.com". Parallel zur Musik schreibt Williams leidenschaftlich über Sport und berichtete in der Vergangenheit über fünf Olympische Spiele und sechs Fußballweltmeisterschaften. Jetzt stellt er sich einer neuen Herausforderung und übernimmt für die nächsten drei Jahre die musikalische Leitung des renommierten Jazzfest Berlin.
Musik in ständiger Bewegung
Es ist das allererste Mal für Richard Williams, dass er die Aufgabe als musikalischer Leiter eines Festivals übernimmt. Dabei ist das Jazzfest Berlin (5. bis 8.11.) auch die einzige Veranstaltung dieser Art, für die er diesen Job angenommen hätte, wie er im Interview mit der DW erklärt. Für ihn, der das Festival seit 1969 immer wieder besuchte, sei das Jazzfest Berlin nach wie vor etwas ganz Besonderes: "Das Festival hat stets eine sehr hohe Qualität und macht keine Kompromisse. Das Publikum ist nicht nur äußerst treu, sondern kennt sich auch gut aus und ist sehr fordernd. Es will herausgefordert werden und möchte etwas Interessantes hören, das es über Jazz nachdenken lässt."
Nachdem im letzten Jahr beim 50. Jubiläum das Thema "Freiheit" auf dem Plan stand und Bert Noglik, der vorherige musikalische Leiter, die Spannung zwischen traditionellem und modernem Jazz reflektierte, möchte Williams dieses Jahr den Fokus auf die Gegenwart richten und einen kleinen Blick in die Zukunft wagen. Jazz sei für ihn "wie ein Virus" und hätte einen Spirit, der Menschen auf eine ganz bestimmte Art und Weise berührt und mitreißt, erzählt er in einem kurzen Video über das diesjährige Festival. Das Faszinierende am Jazz ist für ihn, wie sich die Musik in ihrer gut 100-jährigen Geschichte ständig weiter entwickelt hat und es immer noch tut. Diese Faszination spiegelt sich auch im von ihm zusammengestelltenProgramm wider.
Zwischen Berlin und der Welt
Das Ziel, neuartige Musik zu präsentieren, verbindet Williams unter anderem mit dem Wunsch, eine stärkere Beziehung zum multikulturellen Standort Berlin zu etablieren. Dazu hat er für das Eröffnungs- und Abschlusskonzert zwei großformatige Ensembles eingeladen: Sowohl das "Splitter Orchester" als auch die Gruppe "Diwan der Kontinente" bestehen aus Mitgliedern verschiedenster Kulturen, die zurzeit alle in Berlin leben.
Im Jazz-Club "A-Trane" dreht sich dieses Jahr alles um das Klavier-Trio, eine Formation, die Williams als das "Streichquartett des Jazz" beschreibt. An drei Abenden werden drei verschiedene Bands zu sehen sein - die Gruppe "Plaistow" und die beiden Trios um Julia Kadel und Giovanni Guidi. Alle drei spielen sehr unterschiedliche Musik, wodurch Williams auch hier zeigen möchte, wie sich traditionelle Ensemble-Besetzungen des Jazz auf immer neuen Wegen weiterentwickeln.
Wie sein Vorgänger Bert Noglik, bietet Richard Williams auch unbekannteren Künstlern die Möglichkeit, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Der US-amerikanische Tenorsaxophonist Charles Lloyd ist dieses Jahr wohl der international renommierteste Musiker beim Jazzfest. Die Quartett-Besetzung wird dabei durch eine griechische Lyra - eine kleine, gebogene Fidel - und das ungarische Instrument Zymbal - eine Art Hackbrett - ergänzt.
Gegen den Trend
Williams sieht die Fusion von volkstümlichen Instrumenten unterschiedlicher Kulturen mit konventionellen, westlich geprägten Instrumenten als eine gute Möglichkeit, Jazz in neue Kontexte zu setzen. Wo andere Festivals, wie zum Beispiel das bekannte Montreux Jazzfestival oder auch die Leverkusener Jazztage, sich vermehrt der Popmusik öffnen, betont Richard Williams, dass dies auch in den nächsten Jahren vom Jazzfest Berlin nicht zu erwarten sei.
Hier bleibt das Festival seiner seit 50 Jahren bestehenden Linie treu. Schon immer stand es für reinen, wenn auch sehr unterschiedlichen Jazz. Um neue Aspekte der Musik zu entdecken, so Williams, sei Popmusik nicht der einzige Schlüssel. Viel mehr lasse sich über das Zusammenbringen von verschiedenen Kulturen oder zum Beispiel das Aufeinandertreffen von Klassik- und Jazzmusikern frischer Wind in die Szene bringen.
Ausgeschlossen ist aber nichts. So kann sich Richard Williams zum Beispiel gut vorstellen, Künstler wie den zurzeit hoch gelobten Jazzsaxophonisten Kasami Washington einzuladen, der in den letzten Jahren mit dem Rapper Kendrick Lamar und dem Hip-Hop-Produzenten Flying Lotus kollaborierte. Es bleibt also spannend, wie sich das traditionsreiche Jazzfest Berlin in den kommenden Jahren entwickeln wird.