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Politik

Das Balkanwunder

Norbert Mappes-Niediek
8. November 2019

Die Länder des Westbalkans tun sich schwer mit der wirtschaftlichen Kooperation. Zölle, schlechte Infrastukrur und Spannungen zwischen den Nachbarn hemmen den Markt. Das soll sich ändern.

Nord-Mazedonien Zoran Zaev, Ministerpräsident & Aleksandar Vucic, Präsident Serbien
Seid nett zueinander! - Zoran Zaev (Nordmazedonien) und Aleksandar Vucic (Serbien) im Mai 2019 Bild: Regierung Nord-Mazedonien

Das Unmögliche wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger: Die alte Scherz-Parole überlasteter Handwerker schießt einem in den Kopf, wenn man verfolgt, was drei mächtige Männer auf dem Balkan sich in diesen Tagen vorgenommen haben. Gerade erst hat die EU mit französischem Veto weitere Beitrittsverhandlungen abgelehnt. Und ausgerechnet jetzt, da Warnungen vor neuer Spannung in der Region sich häufen, gehen Serbien, Albanien und Nordmazedonien dem Anschein nach mit Riesenschritten auf eine wunderbare Einigung zu.

Jahrelang war es Brüssel, das auf engere Kooperation der Balkanländer gedrängt hat - zuletzt vor zwei Jahren beim Balkantreffen in Triest. Ausgerechnet jetzt, da Brüssel kaum noch mit Beitrittshoffnungen locken kann, scheint es auf einmal zu funktionieren. In Ohrid in Nordmazedonien findet jetzt schon das zweite regionale Gipfeltreffen (10. und 11.11.) in nur einem Monat statt. Nicht nur die drei Länder vertragen sich blendend. Sie laden auch die anderen drei ausgesperrten Staaten ausdrücklich ein, sich anzuschließen darunter, man staune, sogar das Kosovo. Was ist da bloß los?

100 Prozent Zollaufschlag

Kooperation oder "Konnektivität", wie die EU-Fachleute das nennen, täte dem Balkan tatsächlich dringend not. An den vielen Grenzen stehen die LKWs, wenn sie Waren aus einem konkurrierenden Land geladen haben, oft tagelang. Zölle und Administrative schirmen die viel zu kleinen Märkte gegen den jeweiligen Nachbarn ab.

Rekord! - Strafzölle des Kosovo gegen serbische Waren.Bild: I. Mitić

Weltweit unerreicht sind die hundert Prozent Aufschlag, die Kosovo auf Waren aus Serbien erhebt. Auch für Privatleute werden, vor allem in der Sommerzeit, Reisen zum Hindernislauf: "Smena" heißt das Schreckenswort, Schichtwechsel am Grenzhäuschen, wenn wieder einmal eine Stunde lang nichts weitergeht. Wirtschaftlich wirkt sich das alles fatal aus. Für Investoren sind die kleinen Länder mit ihrer niedrigen Kaufkraft uninteressant, und auch als Lieferanten für fremde Märkte taugen sie mit ihren schikanösen Abfertigungen schlecht.

In ihrem Wettlauf in Richtung EU haben die Balkanländer einander immer wieder von der Aschenbahn gerempelt. Jetzt, so scheint es, wollen sie fest untergehakt vorwärts schreiten. Erst im Oktober im serbischen Novi Sad haben Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und die Regierungschefs von Albanien und Nordmazedonien, Edi Rama und Zoran Zaev, gemeinsam das Ziel formuliert, auf dem Balkan die "vier Freiheiten" einzuführen, wie sie in der EU schon gelten: Freizügigkeit für den Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen. Ein "Mini-Schengen", wie Vučić es nennt, soll Reisen ohne Pass, nur mit dem Personalausweis ermöglichen. Konkret werden sollen die Ideen schon am Sonntag, Wirklichkeit werden schon 2021.

Eine balkanische "Mini-EU"?

Aber der Balkan wäre nicht der Balkan, wenn der Teufel nicht im Detail stecken würde. Die drei neuen Freunde umschließen mit ihren Grenzen fast vollständig ein viertes: Kosovo. Hindernisfreie Reisen "von Serbien nach Albanien", wie Vučić sie in Aussicht gestellt hat, müssten, solange nicht auch der von Serbien nicht anerkannte Staat einbezogen ist, über lange Umwege führen. Viele von den Problemen, die nach den Ankündigungen der drei Staatenlenker in der balkanischen "Mini-EU" gelöst sein sollen, sind im zähen Dialog über praktische Fragen, die Belgrad und Prishtina miteinander führen, entweder heftig umstritten oder nur theoretisch erledigt, praktisch aber nicht umgesetzt: die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen zum Beispiel. Wie sechs Länder nun schaffen sollen, was schon zwei von ihnen nicht zu Wege bringen, steht in der Sternen.

Auch die angestrebte Zollunion steht bei näherem Hinsehen vor schwer überwindbaren Hürden. Schon bevor Kosovo seine astronomischen Strafzölle auf serbische Waren einführte, herrschte dort die Furcht, Serbien könne mit seiner überlegenen Wirtschaftskraft die zart aufblühende Unternehmenslandschaft im Kosovo erdrücken. Dessen angehender Regierungschef Albin Kurti fing jahrelang mit der Forderung nach einem Totalboykott serbischer Waren Stimmen. Das reichere Montenegro wiederum fürchtet sich vor serbischer Billigkonkurrenz.

Edi Rama (Albanien), Aleksandar Vucic (Serbien) und Zoran Zaev (Nordmazedonien) Mitte Oktober in Novi Sad. Bild: Getty Images/AFP/O. Bunic

Ganz ungelöst ist zudem, wie sich die Zollunion mit dem Freihandelsabkommen verträgt, das Serbien neuerdings mit Putins Eurasischer Wirtschaftsunion verbindet. Sollen alle Balkanstaaten künftig frei mit Russland, Kirgistan oder Armenien Handel treiben? Und wie verträgt sich die eurasische Freihandelszone mit den Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, die alle Balkanstaaten mit der EU geschlossen haben?

Das unlösbare Problem Kosovo

Kern der angestrebten "Balkan-EU" ist die neue Achse Belgrad-Tirana. Mit der Inszenierung einer "historischen Versöhnung zwischen Serben und Albanern" vor drei Jahren verschafften sich sowohl der Serbe Vučić als auch sein albanischer Widerpart Rama Vorteile. Beide Länder haben kaum Probleme miteinander und bräuchten sich gar nicht groß zu versöhnen. Tun sich aber "die Serben" und "die Albaner" zusammen, lässt sich das unlösbare Problem des Kosovo kurzschließen: Mit dem freundlichen Tirana verhandelt es sich viel leichter als mit dem sperrigen Prishtina.

Rama wiederum, der sich als "Präsident aller Albaner" sieht, nimmt die dargebotene Führungsrolle gerne an. Kosovos Interessen fallen dabei durch den Rost. Der nordmazedonische Premier Zaev schließlich tut gut daran mitzuspielen: Zum einen braucht er nach der Ohrfeige, die die EU seinem Land auf ihrem Oktober-Gipfel erteilt hat, einen sichtbaren Erfolg. Zum anderen muss er sicherstellen, dass Belgrad und Tirana sich nicht auf seine Kosten einigen und sich auch noch die Verhandlungsmacht über den albanischen Bevölkerungsteil seines Landes anmaßen.

Wunder sind bekanntlich selten, nicht nur auf dem Balkan. Ereignet sich doch einmal eines, steckt meistens ein Taschenspielertrick dahinter.

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