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"Das Bewusstsein für Tsunamis hat zugenommen"

Irene Quaile 26. Dezember 2014

Welche Lehren können wir aus der Tsunami-Katastrophe 2004 ziehen? Prof. Jakob Rhyner, Experte für Umwelt und menschliche Sicherheit, gibt seine Einschätzung.

Jakob Rhyner
Bild: UNU/EHS

Am 26. Dezember 2004 erschütterte die größte Tsunami-Katastrophe der Geschichte mehrere Kontinente, vor allem Südostasien, schwer. Mehr als 230.000 Menschen wurden getötet, über 1,7 Millionen Menschen mussten vor den hohen Wellen fliehen, die das Seebeben ausgelöst hatte. Experten haben über das Desaster geforscht und Maßnahmen entwickelt, um ähnliche Tragödien in Zukunft zu verhindern.

DW: Professor Rhyner, wenn wir uns den Tsunami 2004 rückblickend anschauen, warum starben dabei so viele Menschen?

Jakob Rhyner: Dafür gibt es zwei Gründe: Einer davon war die große Fläche der Katastrophe. Bei kaum einem anderen Desaster gibt es eine so große Gegend, die betroffen war und die sich über mehrere Kontinente erstreckte. Und der zweite Grund war das nicht vorhandene Bewusstsein der Leute. Kaum jemand wusste, was passiert, einfach weil es eine so seltene Naturkatastrophe ist.

In Bezug darauf, wie gut wir auf solche Katastrophen vorbereitet sind – was hat sich seitdem geändert?

Es hat sich viel verändert. Ganz prinzipiell: Das Wort "Tsunami" ist nun ein Begriff, der allgemein bekannt ist. Viele von uns wussten vor 2004 noch nicht, was ein Tsunami ist, daher ist das Bewusstsein insgesamt gewachsen. Und außerdem fand der Wiederaufbau statt, und auf dem technischen Level wurde viel im Bereich der Frühwarnsysteme getan.

Dezember 2004: Das indonesische Bandah Aceh wurde vom Tsunami schwer getroffenBild: Getty Images/Ulet Ifansasti

Wie funktioniert die Technologie eines Frühwarnsystems?

Bei einer solchen Warnung ist eine große Bandbreite an Technik beteiligt. Zuerst muss man die Quelle des Tsunami entdecken – das ist meistens ein Erdbeben – also benötigt man ein Seismometer. Und dann ist es sehr wichtig, diese Daten sehr schnell zu einem Zentrum zu übermitteln, wo sie ausgewertet werden. Das passiert meist über einen Satelliten. Danach muss man herausfinden, ob dieses Erdbeben in der Lage ist, einen Tsunami auszulösen. Dazu nutzt man Modellrechnungen, also braucht man eine große Computerkapazität. Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Schadenspotential vorhanden ist und es zu einem Tsunami kommen könnte, braucht man Leute, die dieser Nachricht nach außen kommunizieren. Und schlussendlich muss man es schaffen, dass diese Nachricht möglichst viele Menschen erreicht.

Das bedeutet wahrscheinlich auch, sehr eng mit den Gemeinschaften vor Ort zusammenzuarbeiten?

Ja, es gibt das Konzept der "Letzten Meile" - das ist der Moment, an dem eine Warnung den Hightech-Bereich verlassen hat und die Leute erreichen soll. Zu allererst müssen die Menschen wissen, dass es überhaupt so etwas wie Warnungen geben kann und dass es ein Warnsystem gibt. Dann, wenn die Menschen die Warnung bekommen, müssen sie sie verstehen und akzeptieren. Man trifft allerdings auch auf Menschen, die glauben, dass ein so großes, gefährliches Ereignis Schicksal ist, das von Gott geschickt wurde – und diese Menschen akzeptieren nicht unbedingt die Meldung eines Frühwarnsystems. Es kann kulturelle Hürden geben, die überwunden werden müssen. Wenn Menschen diese Warnung aber akzeptiert haben, dann müssen sie auch noch wissen, was zu tun ist, wohin sie rennen können, wo sie Zuflucht finden. Also muss sich eine Stadt organisieren, um auf die Warnung angemessen reagieren zu können.

Ein Erdbeben, das einen Tsunami auslöst - seismographisch dargestelltBild: dapd

Thailand war eines der Länder das am härtesten getroffen wurde. Den Behörden dort wird vorgeworfen, die Gefahren eines erneuten Tsunami herunterzuspielen, um die Tourismusindustrie nicht zu schädigen. Wirkt sich so etwas auf das Frühwarnsystem aus?

Ja. Wenn die Gefahren heruntergespielt werden, wirkt sich das auf die Sicherheitsqualität aus. Das gibt es aber nicht nur in Thailand. In der Schweiz, meinem Heimatland, haben wir Fälle beobachtet, in denen Tourismusdirektoren versucht haben, Naturgefahren - in diesem Fall Schneelawinen in den Alpen - zu verharmlosen.

Aber insgesamt denke ich, dass es eine gute Entwicklung gibt in dem Sinne, dass die Menschen mehr und mehr die Möglichkeiten entdecken, Sicherheitkonzepte zu vermarkten. Sie versuchen nicht, Gefahren herunterzuspielen, sondern sagen "Ja, es gibt Gefahren, aber wenn Sie zu uns kommen, passen wir darauf auf. Wir haben Frühwarnsysteme und informieren sie gut darüber, zum Beispiel mit Broschüren". Es hat etwas damit zu tun, wie man generell mit Gefahren umgeht, daher braucht es so viel Zeit, ein effektives Frühwarnsystem aufzustellen.

Frauen in Südindien gedenken der Opfer des TsunamisBild: Reuters

Wurden die zerstörten Gebiete so wieder aufgebaut, dass sie jetzt besser auf Tsunamis vorbereitet sind?

Es ist viel passiert bezüglich des Wiederaufbaus von Häusern und Infrastruktur. Aber ich würde sagen, dass die Gesamtresultate gemischt sind – nicht was die Geschwindigkeit des Aufbaus aufgeht, die war gut - sondern im Sinne des Schutzes vor Tsunamis. Nach einem solchen Desaster hat man riesige Geldmengen zur Verfügung und wegen der Mechanismen, mit denen dieses Geld gesammelt wurde, muss es auch wieder schnell ausgegeben werden. Es wäre besser, wenn man sich mehr Zeit nehmen würde, um die Spenden und Fördermittel auszugeben. Denn wenn man sich keine Zeit lässt, tendiert man dazu, die Häuser an den Stellen aufzubauen, an denen sie vorher standen. Das ist nicht immer am sinnvollsten.

Zu dieser Zeit des Jahres sind viele Menschen durch die Erinnerung an dieses furchtbare Ereignis bedrückt und machen sich Sorgen, dass so etwas noch einmal passieren könnte. Gibt es etwas, was Sie diesen Menschen sagen könnten, um die Angst zu mindern?

Diese Angst ist ein Zeichen dafür, dass das Bewusstsein zugenommen hat. Und wenn man sich einer Gefahr bewusst ist, hat man das Risiko schon reduziert. Wenn das nächste Mal jemand nach Thailand fährt und sieht, dass sich das Meer zurückzieht, weiß er, dass das ein Grund ist, wegzurennen. Das ist eine Lektion, die wir aus diesem Tsunami gelernt haben. Unsere Angst ist also ein Hilfsmittel für ein reduziertes Risiko. Das ist die gute Nachricht.

Dr. Jakob Rhyner ist Physiker und leitet das Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn.

Das Interview führte Irene Quaile.

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