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Politik

Brexit-Gespräche: Wenn Welten aufeinanderprallen

Robert Mudge kkl
21. August 2019

Vor seinem Treffen mit Angela Merkel am Mittwochabend hat Boris Johnson die EU aufgefordert, weiter über den Brexit zu verhandeln. Die Antwort: Schweigen. Was will Johnson in Berlin bei Merkel noch erreichen?

Boris Johnson
Bild: picture-alliance/dpa/AP/F. Augstein

Wenn Boris Johnson zu Angela Merkel nach Berlin kommt, um über die Sackgasse zu sprechen, in der der Brexit feststeckt, treffen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite steht der britische Premier, ein Mann mit impulsivem, oft flegelhaftem Benehmen, mit populistischer Rhetorik und einer Tendenz zum sparsamen Umgang mit der Wahrheit. Auf der anderen Seite steht die Kanzlerin, der Inbegriff des methodischen, analytischen, nüchternen Herangehens an schwierige Situationen. Sogar unter optimalen Umständen ist es schwer vorstellbar, dass die beiden viele Gemeinsamkeiten finden. Angesichts der hitzigen, turbulenten Diskussionen um den Brexit scheint eine Annäherung so unwahrscheinlich wie nie.

Wenn nicht in letzter Minute noch eine Wende kommt, dürften Johnsons Gespräche mit Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den er am Donnerstag treffen wird, kaum einen Durchbruch bringen.

Methodisch, nüchtern - und Europäerin: Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/S. Rousseau

"Zynisch betrachtet, ist es nichts weiter als eine Vorstellung für sein Publikum zuhause, wenn [Johnson] sagt, er würde einen letzten Versuch unternehmen. Die EU wird sagen: Nein, das Austrittsauskommen bleibt, wie es ist. Und dann kommt er mit dieser Extra-Legitimation nach Hause", sagt Charlotte Galpin, Dozentin für Deutsche und Europäische Politik an der Universität von Birmingham.

Wer ist woran schuld - und warum?

Der britische Premier übt sich jetzt schon in Schuldzuweisungen und stellt Merkel, Macron und die EU vor die Wahl, entweder neu zu verhandeln oder zu akzeptieren, dass das Vereinigte Königreich die EU ohne Abkommen verlässt. Die Antwort, die er darauf bekommen wird, ist aller Wahrscheinlichkeit die gleiche wie immer: Wir machen das Austrittsabkommen nicht wieder auf, und wir verzichten ganz sicher nicht auf den Backstop.

Der Backstop, ein Schlüsselbestandteil des bereits ausgehandelten Abkommens, soll in Kraft treten, wenn bis Ende 2020 kein langfristiges Handesabkommen zwischen Großbritannien und der EU zustande gekommen ist. Mit dem Backstop wird verhindert, dass es zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland eine harte Zollgrenze gibt; das bedeutet, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleiben muss - auf womöglich unbestimmte Zeit. Für die Brexit-Hardliner auf der Insel ist das unannehmbar. Entsprechend schroff ist Johnsons Replik: In diesem Fall, sagt er, hätte er keine Bedenken, Großbritannien am 31. Oktober ohne Deal aus der EU ausscheiden zu lassen.

Auf beiden Seiten wird der Ton schärfer, besonders aber auf der britischen. "[Johnson und sein Team] verwenden gerne eine militärische Ausdrucksweise, die das Abkommen als eine Art Krieg darstellt, davon spricht, dass wir in die Schlacht ziehen, dass Großbritannien nicht kapitulieren dürfe, dass die [Brexit-] Gegner im Vereinigten Königreich Kollaborateure der EU seien. Ich denke, diese Treffen gehören zu dieser Art Darbietung", sagt Charlotte Galpin.

Die deutsche Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben für den Fall eines No-Deal-Austrittes gemacht. Eine Analyse des Finanzministeriums nannte kürzlich einen solchen Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober "sehr wahrscheinlich"; es sei "undenkbar", dass Johnson in seiner Haltung zum Backstop auf der irischen Insel nachgeben würde. In dem Papier wird Berlins Gegnerschaft zu jeder Art von Nachverhandlung unterstrichen, wie sie der britische Premier fordert; es heißt darin, es sei "entscheidend", dass alle EU-Mitgliedsstaaten jetzt auf einer Linie blieben und nicht angesichts der Möglichkeit eines ungeordneten Ausstiegs der Briten "die Nerven verlieren".

Junge Nordirin demonstriert für den Verbleib in der EU (März 2019)Bild: picture-alliance/dpa/N. Carson

Deutschland hat schon mehr als 50 Gesetze und andere Maßnahmen verabschiedet, um für einen No-Deal-Brexit gerüstet zu sein. Darin findet sich auch eine Übereinkunft zwischen der deutschen Bankenaufsicht BaFIN und ihrem britischen Gegenstück FCA, die grenzüberschreitende Finanzgeschäfte regelt. Berlin hat außerdem 900 zusätzliche Zollbeamte eingestellt, die sich um den erwarteten Rückstau bei der Bearbeitung der Zollformalitäten an den neuen Grenzen kümmern sollen.

Wer braucht wen?

Einer verbreiteten Meinung nach glaubt Johnson, dass Deutschland mehr auf Großbritannien angewiesen ist als umgekehrt. Das Vereinigte Königreich ist tatsächlich ein wichtiger Handelspartner Deutschlands, aber auch nicht mehr. "Für Deutschland sind der gemeinsame Markt und der Handel mit den 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten wichtiger. Es gibt also eine Grenze für das, was Deutschland anbieten wird. Und dann ist da noch die Tatsache, dass die Brexit-Verhandlungen seit ihrem Beginn die Aufgabe von Michael Barnier und seiner Kommission sind; Deutschland allein hat deshalb nicht viel Einfluss auf den Brexit-Prozess", sagt Galpin.

Offenbar glaubt Johnson, wenn er Angela Merkel zu Zugeständnissen bewegen könne, würden die übrigen EU-Staaten schon mitziehen. "Die Idee ist, dass die deutsche Kanzlerin viel flexibler und offener für ein nachgiebigeres Herangehen an die Verhandlungen ist. Frankreich ist da sicher weniger beweglich. Wenn er also Zugeständnisse von Merkel erreichen könnte, hätte er Chancen auf neue Verhandlungen mit der EU - das ist, glaube ich, Johnsons Gedankengang", sagt Hussein Kassim von der Denkfabrik "UK in a Changing Europe".

Schon bei einer Brexit-Simulation gab es Staus vor dem Hafen von Dover (Januar 2019)Bild: Reuters/T. Melville

Angesichts der Tricks und Gegentricks, der kaum verhüllten Drohungen, der "Ihr seid am Zug"-Haltung, die das Vereinigte Königreich bisher an den Tag legt, ist es durchaus eine Leistung, dass die EU auf ihrer Position verharrt hat. "Die EU-27 blieben in dieser Sache bemerkenswert einig. Wenn man bedenkt, wie zerstritten sie in anderen Fragen sind, denen sich Europa zu stellen hat, ist es wirklich erstaunlich, dass sie in dieser Frage auf einer Linie geblieben sind", sagt Charlotte Galpin.

Johnson hofft, so Hussein Kassims Überlegung, zumindest ein paar Zweifel unter den EU-Staaten zu säen und im Übrigen für seine Unterstützer zuhause zu spielen, wo die Debatte ganz anders verläuft. "Die britische Öffentlichkeit, die politische Klasse oder auch die Medien haben nicht wirklich einen Eindruck davon, was genau vor sich geht. Deshalb glaube ich, dass [Johnsons] diplomatische Mission unter diesen Umständen für bare Münze genommen wird. Die Leute werden sie nicht in Frage stellen, nicht in einer vorhersehbaren Art und Weise."