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Das Bundesliga-Jahr ohne Fans

Matt Ford
30. Dezember 2020

Die Vereine der Fußball-Bundesliga mussten 2020 coronabedingt weitgehend ohne ihren größten Rückhalt auskommen: die Fans. Welche längerfristigen Folgen werden die Geisterspiele für die Fankultur haben?

Borussia Dortmund - Eintracht Frankfurt
Bild: picture-alliance/dpa/Revierfoto

"Dortmund, mein Traum", stand auf dem Transparent an der Südtribüne, der berühmten Gelben Wand im Westfalenstadion von Borussia Dortmund. Direkt dahinter: ein gigantischer Wandteppich, handgemalt, mit der Dortmunder Skyline und einem riesigen Stadtwappen. Im Hintergrund hielten 24.000 Fans Plastikschilder in die Höhe, auf denen auf der einen Seite die rot-weißen Farben der Stadt zu sehen waren. Dann wurde die Schilder umgedreht, zu sehen waren nun die schwarz-gelben Vereinsfarben von Borussia Dortmund - der Stadtadler wurde durch das Vereinswappen ersetzt.

Alles nur für wenige Minuten

Eine Choreographie, die komplett von den Ultras des Vereins organisiert worden war. Hunderte von Stunden hatten sie mit der Organisation, den Entwürfen, dem Messen, Schneiden und Bemalen zugebracht - alles nur für diese wenigen, zugegeben spektakulären Minuten vor dem Anpfiff der Partie gegen Eintracht Frankfurt.

Das war mehr als nur die Unterstützung für eine Fußballmannschaft. Es war ein Liebesbeweis der Fans für ihren Verein, für ihre Stadt, ein Ausdruck der Freude und des Gemeinschaftsgefühls - alles in allem ein Stück lebendiger Fankultur, die im deutschen Fußball eine so wichtige Rolle spielt.

Wir schrieben Freitag, den 14. Februar 2020: Dortmund gewann vor 81.365 Zuschauern mit 4:0. Es war übrigens auch das letzte Mal, dass der Autor dieser Zeilen ein Bundesligaspiel mit Fans besuchte. Denn kaum einen Monat später sollte der deutsche Fußball auf Eis gelegt werden. Das Coronavirus breitete sich in Europa aus.

Die Gelbe Wand wurde zum schwarzen Loch.

Keine Fans, nirgends: Geisterspiel des BVB gegen Schalke 04Bild: Reuters/M. Meissner

"Die Pandemie hat die aktive Fanszene in Dortmund und überall in Deutschland hammerhart getroffen", sagt Johannes Bagus, Sozialarbeiter beim Fanprojekt Dortmund. Die Initiative arbeitet eng mit den aktiven BVB-Fans zusammen und organisiert nun schon das ganze Jahr über virtuelle Veranstaltungen, damit die Anhänger in Kontakt bleiben können.

"Der Lebensmittelpunkt von vielen jungen Leuten ist weggebrochen, die an Wochenenden quer durchs Land gereist sind oder unter der Woche quer durch Europa, um die Spiele von Borussia Dortmund zu verfolgen. Das war ein knallharter Schlag ins Gesicht der Fanszene."

Nützlich machen 

Da sie ihre Vereine nicht im Stadion unterstützen konnten, machten sich Fans in ganz Deutschland in ihren Städten und Gemeinden nützlich. Vor Krankenhäusern hingen Transparente zur Unterstützung des medizinischen Personals, während andere Fangruppen anboten, Besorgungen zum Beispiel für ältere Mitbürger zu machen.

"Die Fans haben sich unserer Meinung nach das ganze Jahr lang vorbildlich verhalten", sagt Bagus. "Obwohl befürchtet wurde, dass es Auseinandersetzungen vor den Stadien geben könnte, blieben solche Vorkommnisse komplett aus. Ganz im Gegenteil: Die Fans riefen dazu auf, zu Hause zu bleiben und sich an die Regeln zu halten."

Ruf nach Reformen

Die Fans sahen sich also von ihrem sozialen Leben abgeschnitten. Die Vereine auf der anderen Seite mussten um das finanzielle Überleben bangen, da die Lizenznehmer der Übertragungsrechte drohten, Zahlungen zurückzuhalten. Nach Berichten aus der Szene waren 13 der 36 Vereine in den beiden höchsten deutschen Spielklassen von der Insolvenz bedroht.

Dass nun ausgerechnet diese Multi-Millionen-Euro-Unternehmen plötzlich vor dem wirtschaftlichen Aus standen, war für einige Fans ein weiterer Beleg dafür, dass der moderne Fußball in seiner heutigen Form unhaltbar geworden ist.

Mehr als 2600 Fangruppen, die fast 500.000 Fans repräsentieren, unterzeichneten deshalb die Petition "Unser Fußball". Sie verlangten eine Umstrukturierung der Fußballszene - gerechter, demokratischer, nachhaltiger. In der Arbeitsgruppe "Zukunft Profifußball" wurden Konzepte für eine Reform erarbeitet. Das Ziel: die finanzielle Absicherung der Vereine und gleichzeitig mehr Wettbewerb in der Bundesliga.

Die Fan-Initiative "Unsere Fußball" beim Termin mit DFB-Chef Fritz Keller in Frankfurt/MainBild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Als dann die Entscheidung über die Verteilung der Fernsehgelder für den Zeitraum 2021 bis 2024 fiel, blieb diese hinter den Erwartungen der Aktivisten zurück. "Es ist nicht die Zeit für radikale Lösungen, sondern die Zeit für verlässliche Lösungen", sagte Christian Seifert, der scheidende Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL).

"Wir waren massiv enttäuscht", betonte Manuel Gabler von der Initiative "Unser Fußball". "Man hätte zeigen können, dass man bereit ist, Reformen anzugehen. Es hat sich aber im Grunde fast nichts geändert. Uns ist klar, dass die Corona-Krise auch starke wirtschaftliche Folgen hat und dass man da eventuell eine Übergangsphase machen müsste, von zwei, drei oder vier Jahren. Aber das Signal, das nun gesendet wird, ist fatal. Es geht in die völlig falsche Richtung."

Keine Ultras - kein Problem?

Viele Anhänger sind schon länger frustriert über die Entwicklungen im modernen Fußball, sei es die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auf dem Spielfeld, der Umgang mit den Fans abseits des Platzes oder die als zu stark empfundene Kommerzialisierung des Sports im Allgemeinen.

So verging kaum ein Wochenende in der Liga ohne Protestaktionen - bis die Geisterspiele kamen. Bis dahin hatten die Fußball-Anhänger einige Erfolge erzielt, etwa mit der Kampagne "Kein Zwanni" für bezahlbare Tickets, den Aktionen für die Fortdauer der  50+1-Regel oder für die Abschaffung der Montagsspiele.

Doch reicht das? "Vielleicht bin ich zynisch, aber einige Vereine denken jetzt vielleicht: Es geht auch ohne die Ultras", sagt der Fankultur-Experte und Autor Christoph Ruf. "Das Geld fließt, der TV-Vertrag läuft weiter, wir könnten die Ticketpreise um 20 Prozent erhöhen. Das ist sicher für einige ein verlockender Gedanke."

Und selbst wenn die Fans zurückkehren - der Fußball wird ein anderer sein. Kurzfristig zu beobachten war das bereits im Herbst. Personalisierte Tickets, festgelegte Ankunftszeiten, Abstand zwischen den Sitzplätzen, Gesichtsmasken, kein Alkohol, keine Stehplätze, keine Fangesänge. Das sind kaum Umstände, unter denen eine aktive Fankultur gedeihen kann.

"Ultras sind eine Subkultur, die davon lebt, dass der Fußball spannend und rebellisch ist", betont ein Mitglied des Zusammenschlusses der Ultragruppen aus dem ganzen Bundesgebiet. "Aber wenn das nicht mehr der Fall ist, wird die Anziehungskraft schwinden. Davor müssen wir auf der Hut sein."

Social distancing: das Spiel des BVB bei der TSG 1899 HoffenheimBild: Kai Pfaffenbach/Reuters

Der BVB ohne Südtribüne?

Doch nicht alle sind so pessimistisch. "Ich denke, die Leute haben erkannt, dass die Fans ein fundamentaler Teil dieses Sports sind. Das Spiel auf dem Platz ist immer noch dasselbe, aber es hat nicht dieselbe Bedeutung, wenn keine Leute da sind", sagt Manuel Gabler von der Initiative "Unser Fußball".

In Dortmund hat Fanprojekt-Vertreter Johannes Bagus genau das festgestellt, als er im Oktober zu den 11.500 Zuschauern beim Heimspiel des BVB gegen Freiburg gehörte. "Es war wie ein Theaterbesuch. Da hat man gesehen, dass das Stadionerlebnis von der Stimmung lebt, von der Fankultur. Freunde treffen, Bierchen trinken, das ganze Drumherum, das war nicht gegeben", so Bagus. "Und der Verein weiß das. Was wäre Borussia Dortmund ohne die Südtribüne?"

Angesichts der hohen Infektionszahlen in Deutschland scheint eine Rückkehr zu den vollen Stadien noch in weiter Ferne - auch wenn der Beginn der Impfungen gegen das Coronavirus Grund zur Hoffnung gibt.

"Irgendwann, ich weiß nicht wann, werden wir zur Normalität zurückkehren. Dann wird es eine Explosion der Gefühle geben", sagt Bagus. "Wenn wir endlich wieder alle zusammenstehen können, wenn die Südtribüne wieder voll ist, wenn die Liebe zum Fußball zurückkehrt." Dann seien auch wieder spektakuläre Choreographien der Gelben Wand zu erwarten.

Adaption: Marko Langer

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