Demografie-Monster verliert seinen Schrecken
31. August 2017Das Drumherum beim Demografie-Kongress im Berliner Hotel- und Tagungszentrum Intercontinental erinnert an eine Fachmesse. Zwischen den Tagungssälen sind zwei Dutzend Infostände und Firmenpräsentationen aufgebaut. Es gibt Informationen zu den neuesten Klein-Computern, die gebrechliche Rentner tragen sollen, damit automatisch ein Notruf rausgeht, sollten sie stürzen. Krankenkassen, Pflegevereine und digitale Netzwerke für Senioren werben um Aufmerksamkeit. Bekannte Firmen sind darunter, nicht nur Start-Ups. Aus dem Angstthema demografischer Wandel ist längst ein eigener Wirtschaftszweig geworden - mit dem Älterwerden in Deutschland wird Umsatz gemacht.
Die Politik hat ihren Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet und in den vergangenen zehn Jahren das Thema öffentlichkeitswirksam weit nach vorne geschoben. 2008 gab es die erste Demografie-Beauftragte in einer deutschen Kommune. 2012 hatte Kanzlerin Angela Merkel auf dem ersten nationalen Demografie-Gipfel das Thema als Meta-Thema vergleichbar der Globalisierung definiert. "Nur wenn wir uns aktiv auf den demografischen Wandel einlassen, zeigen sich auch seine Chancen", sagte Merkel damals. Kurz zuvor hatte die Bundesregierung eine erste Demografie-Strategie verabschiedet. Diese frühe Warnung scheint nun Früchte zu tragen.
"Der Untergang ist abgesagt"
Die aktuelle politische Botschaft aus dem Kanzleramt brachte eine echte Überraschung. Die Einwohnerzahl in Deutschland bleibe bis 2060 stabil, das Schrumpfen habe ein Ende, lautet eine neue Prognose der Bundesregierung. Denn es werden wieder mehr Kinder geboren. Auch die normale sowie die außergewöhnliche Zuwanderung der Jahre 2015/16 veränderten statistische Vorhersagen, wie es heißt. Passend lautete der Key-Vortrag von Thomas Straubhaar beim Demografie-Kongress: "Der Untergang ist abgesagt. Vergessen sie alle Schrumpfungsszenarien!", sagte der in der Schweiz geborene Buch-Autor und Ökonom an der Universität Hamburg. Er wolle mit einigen "Mythen" aufräumen."Hören sie auf zu jammern!", rief der 60-Jährige den Teilnehmern des Gipfels zu.
Laut Anmeldung sind 800 Lokalpolitiker, Wissenschaftler, Geschäftsführer und Verbandsvertreter aus dem ganzen Land angereist, um zwei Tage in zahlreichen Foren Neues zu hören und sich auszutauschen. Nicht die Quantität sei entscheidend, sondern die Qualität - also die Arbeitsproduktivität, so Straubhaar. Und die werde sicher steigen, auch durch die Robotik. Dass mit dem Älterwerden sei also gar kein Problem. Denn der volkswirtschaftlich negative Effekt werde dadurch ausgeglichen, dass die Menschen länger arbeiten könnten, weil sie gesundheitlich fitter seien als noch vor 30 Jahren. Wenn dazu noch mehr Frauen und Migranten arbeiteten, dann werde es auch keinen flächendeckenden Fachkräftemangel geben, glaubt Straubhaar, der über seine optimistischen Prognosen 2016 auch ein Buch veröffentlicht hat.
Demografie ist gestaltbar
Von einem Einwanderungsgesetz, mit dem gezielt Fachkräfte aus aller Welt nach Deutschland gelockt werden sollen, halte er nicht viel, machte der Ökonom deutlich. Denn erst einmal müssten die Menschen, die schon hier sind, zum Einsatz kommen. Menschen würden sich in der Regel nicht damit abfinden, als Arbeitskräfte nach Deutschland gerufen zu werden, ohne dass sie auch ein Leben mit Familie haben wollten. "Die ökonomischen Effekte der Zuwanderung werden überschätzt", so Straubhaar. Die Risiken würden unterschätzt, wie er beschrieb: Die "verfehlte Gastarbeiterpolitik" vergangener Jahrzehnte zeige sich in einem Echo-Effekt bei heutigen Integrationsproblemen.
Dass es immer auch Gründe - wie falsche oder fehlende politische Entscheidungen - für aktuelle Probleme gibt, machte Straubhaar auch beim Thema Demografie deutlich. Letztendlich sei das Thema nämlich kein makro-ökonomisches, sondern ein mikro-ökonomisches. Das heißt, in einem kleinen Handwerksbetrieb werde das Thema Fachkräftenachwuchs angegangen, im anderen nicht.
Rente mit 70?
In Ostdeutschland, wo der demografische Wandel besonders früh einsetzte, lassen sich Beispiele für Straubhaars These finden. In manchen Kommunen dort, wie zum Beispiel in der brandenburgischen Kleinstadt Calau macht die steigende Geburtenzahl "Probleme". Nämlich weil jetzt plötzlich Kita- und Schulplätze fehlen. Die wurden zuvor abgebaut, weil alle Prognosen von sinkenden Zahlen ausgegangen waren. Andere vergleichbare Städte in der Region sind viel weniger attraktiv für junge Familien. Calau hat über viele Jahre regionalpolitisch Akzente gesetzt, Familien anzuziehen. Dabei arbeiteten Wohnungsunternehmen, Bildungseinrichtungen und Lokalpolitiker eng zusammen. Das zahlt sich nun aus und belegt, wie sehr Demografie auch gestaltbar ist, wenn man dem Thema die Angst nimmt.
Das tat beim Demografie-Kongress dann auch der Wirtschaftswissenschaftler und SPD-Politiker Bernd Rürup. Nach ihm wurde in Deutschland eine private Altersvorsorge benannt. Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre, wie manche in Deutschland diskutieren, werde in der nächsten Legislaturperiode sicherlich kein Thema werden. Denn der 2012 beschlossene Umstieg von 65 auf 67 Jahren habe noch über 30 Jahre Bestand. Wohl frühestens Mitte der 2020-Jahre müsse nachgesteuert werden, meint Rürup. Vertreter der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und Parteien stimmten dem einhellig zu. Der demografische Wandel, wie schwer er auch zu prognostizieren sein mag, scheint in diesem Punkt vielleicht schon verarbeitet zu sein.