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Das deutsche Modell in einer globalen Welt

Zhang Danhong3. Juni 2016

Die Soziale Marktwirtschaft hat Deutschland reich und sicher gemacht. Auch gehört das Land zu den Gewinnern der Globalisierung. Dennoch schwindet die Akzeptanz für das deutsche Erfolgsmodell und für die Globalisierung.

Containerschiff CMA CGM Alexander von Humboldt
Bild: picture-alliance/dpa/Ch. Charisius

Mit der Sozialgesetzgebung schuf der "Eiserne Kanzler" Otto von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts die Voraussetzung und Ludwig Erhard, der erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, legte dann mit der Sozialen Marktwirtschaft den Grundstein für das Wirtschaftswunder. Die Vorzüge der freien Marktwirtschaft sollten so mit dem Sozialstaat als Korrektiv verbunden werden.

Ein anderer Grund für Deutschlands wirtschaftlichen Erfolg lag darin, dass seine Unternehmen optische und feinmechanische Produkte (auch Kleinwaffen) an andere Länder verkauften, bevor das Wort "Globalisierung" das Licht der Welt erblickte. Mitte der 1980er Jahre beschleunigten sich dank des technischen Fortschritts und der politisch gewollten Liberalisierung des Handels die internationalen Vernetzungen. Seit dem WTO-Beitritt der Volksrepublik China im Jahr 2001 ist die Globalisierung endgültig nicht mehr aufzuhalten.

Deutschland gehört zu den Ländern, die erfolgreich auf den Wellen der Globalisierung surfen. Deutsche Maschinen erfüllen haargenau die Bedürfnisse der Schwellenländer, deutsche Autos gehen in allen Teilen der Welt weg wie warme Semmel. Die Konsumenten erfreuen sich günstiger Schuhe und Smartphones. Glühende Anhänger des liberalen Welthandels sind die Deutschen deswegen nicht geworden. Im Gegenteil: Immer mehr Menschen stehen der Globalisierung skeptisch gegenüber.

Verlierer der Globalisierung

Das hängt damit zusammen, dass sich viele hierzulande als Verlierer der Globalisierung sehen. So arbeitet jeder dritte Angestellte in der Dienstleistungsbranche unter prekären Verhältnissen. Viele Menschen haben das Gefühl, dass unter dem Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung die soziale Komponente oft zugunsten des Marktes geopfert wird. Noch schlimmer sieht es am Anfang der Lieferkette aus. "Die Tatsache, dass die Konsumenten hier Dinge zu einem sehr niedrigen Preis kaufen können, liegt daran, dass woanders Menschen auf Plantagen oder in Fabriken zu Hungerlöhnen arbeiten", sagt Marion Lieser am Rande einer Veranstaltung des "Denkraum für Soziale Marktwirtschaft" von FAZ und IFOK in Leipzig gegenüber der Deutschen Welle.

Die Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland beklagt die extreme Ungerechtigkeit weltweit. 62 Reiche besäßen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Für diese Entwicklung macht sie vor allem die Politik verantwortlich: "Sie hat sich selbst entmachtet. Sie hat Konzernen Spielräume eröffnet, die nun schwer zu beschränken sind." So sind nach ihrer Darstellung allein 100 Milliarden Dollar an Firmenvermögen in Steueroasen vor dem Fikus versteckt. Das ist mehr als die jährliche Summe der Entwicklungshilfe, die von allen Ländern dieser Welt geleistet wird.

Mario Lieser, Geschäftsführerin von Oxfam DeutschlandBild: DW/D. Zhang

Die zunehmende Ungleichheit sei auch ein Grund für den Flüchtlingsstrom. So hätten vor allem viele aus Nord- und Westafrika keine Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben und würden zur Flucht getrieben, so Marion Lieser. Sie träumen von einer Zukunft in Deutschland. Wolfgang Schäuble nennt die Flüchtlingskrise "unser Rendezvous mit der Globalisierung".

Ausverkauf deutscher Technologie?

Die Globalisierung bringt noch andere Auswüchse mit sich. Da begnügen sich die Chinesen nicht mehr damit, deutsche Maschinen zu kaufen. Sie kommen hierher, um nach deutschen Industrie-Perlen Ausschau zu halten. Erst rissen sie sich Putzmeister unter den Nagel, dann Kion, nun klopfen sie an die Tür des Roboter-Herstellers Kuka. Für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geht das zu weit. Er wünscht sich eine Alternative zu einer chinesischen Kuka-Übernahme.

Erdal Yalcin vom Ifo-Institut sieht darin ein Paradox der Globalisierung: "Erst kritisiert man, dass die Entwicklungsländer ausgebeutet werden. Jetzt hat sich China einen Wohlstand hart erarbeitet und hat das Kapital, Investitionen in Deutschland zu tätigen. Dann entsteht plötzlich eine Angst, dass die Chinesen die deutsche Technologie aufkaufen." Diese Angst sei seiner Meinung nach unbegründet. Solche Investitionen "eröffnen den deutschen Unternehmen Möglichkeiten, auf beiden Kontinenten noch stärker zu wachsen".

Dr. Erdal Yalcin, stellv. Leiter am Ifo-Zentrum für AußenwirtschaftBild: DW/D. Zhang

Globalisierung ist besser als ihr Ruf

Für den Münchner Ökonom ist die Globalisierung besser als ihr Ruf. Wenn Arbeiter in Bangladesch mit einem Euro am Tag vergütet würden, sei dies aus deutscher Sicht schlimm. "Aber man muss es unter einer Zeitdimension sehen, dass diese Menschen Perspektiven gewinnen", sagt Yalcin im Gespräch mit der DW.

Auch Melanie Kreis, Vorstandsmitglied der Deutschen Post DHL Group, verweist auf die Errungenschaften durch die Globalisierung. So seien in den letzten 25 Jahren eine Milliarde Menschen aus der bittersten Armut befreit worden. Die Deutsche Post steht mit ihren 500.000 Mitarbeitern in 22 Ländern sinnbildlich für die globalisierte Welt. Die Werte der Sozialen Marktwirtschaft versuche das Unternehmen auch außerhalb Deutschlands zu verteidigen. Kreis nennt das Beispiel der jährlichen Mitarbeiterbefragung, die auch in nicht-demokratischen Ländern durchgeführt würde. "Allein durch eine solche Erfahrung, dass Mitarbeiter an einer anonymen demokratischen Befragung teilnehmen, erleben sie etwas, was dann vielleicht auch in anderen Bereichen zu Veränderungen führen wird", sagt Kreis zur DW.

Melanie Kreis, Vorstandsmitglied bei der Deutschen PostBild: DW/D. Zhang

Was tun?

Erdal Yalcin vom Ifo-Institut plädiert dafür, die sogenannten gescheiterten Staaten, aus denen die Flüchtlinge strömen, durch privatwirtschaftliche Investitionen zu stabilisieren. "Wir haben Instrumente, um Investitionen in schwierigen Ländern zu versichern. Statt Direktzahlungen zu leisten, kompensiert der deutsche Staat gegebenenfalls Ausfälle." Aus ökonomischer Sicht sei es zudem sinnvoll, multilaterale Institutionen wie die WTO zu stärken.

Marion Lieser von Oxfam will das "Soziale" wieder stärker im Wirtschaftssystem verankert sehen und den entfesselten Markt in die Schranken weisen: "Wir müssen Leitplanken einfordern, dass die Regierungen dafür sorgen, dass es verbindliche Standards gibt. Wir brauchen ein Steuersystem, das die Reichen und die Konzerne stärker in den Fokus nimmt." Global müsste ein Forum gefunden werden, bei dem alle an einem Tisch sitzen, nicht nur G7 oder G20. Es gehe nicht an, dass Deutschland nur die Früchte der Globalisierung ernte und die negativen Seiten ausblende.

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