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Verfassungsgericht soll gegen Extremismus abgesichert werden

Ben Knight | Ralf Bosen
23. Juli 2024

Die Parteien der Mitte wollen das oberste deutsche Gericht immun machen gegen Veränderungen, wie sie in Polen oder Ungarn geschehen sind.

Frauen und Männer in roten Roben und mit roten Hüten stehen nebeneinander, eine Frau liest von einem Blatt ab
Wer die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts ernennt, kann damit politische Macht ausübenBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die regierende Ampelkoalition und die oppositionelle Union geeinigt: Das Bundesverfassungsgericht, das sicherstellt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland gewahrt bleiben, soll besser vor politischer Einflussnahme geschützt werden. Dies hatten unter anderem Verfassungsexperten wegen Entwicklungen wie in Polen und Ungarn sowie dem Erstarken der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland gefordert. In landesweiten Umfragen geben inzwischen rund 17 Prozent der Befragten an, die AfD wählen zu wollen.

Reformvorschläge im Grundgesetz festschreiben

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sowie Parlamentarier von SPD, Grünen, FDP sowie CDU/CSU stellten in Berlin die Eckpunkte der geplanten Gesetzesänderung vor. Demnach soll die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate von je acht Richterinnen und Richtern zukünftig im Grundgesetz festgeschrieben werden. Ebenfalls verankert werden soll, dass die sechzehn Richter höchstens zwölf Jahre und bis zu einer Altersgrenze von 68 Jahren im Amt sind. Mit der Verankerung ins Grundgesetz können die Strukturen des Gerichts nicht wie bisher mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geändert werden. Künftig ginge das nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat.

Gut gelaunt: Justizminister Marco Buschmann stellt die Reform zum Schutz des Verfassungsgerichts vorBild: Achille Abboud/IMAGO

Auch die Richterwahl soll reformiert werden: Bereits im Grundgesetz festgelegt ist, dass die Richterinnen und Richter je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Hier wollen die Ampel-Parteien und die Union eine sogenannte Öffnungsklausel einfügen: Wenn es eines der Parlamente nicht schafft, eine vakante Richterstelle rechtzeitig neu zu besetzen, soll das jeweils andere Organ das Wahlrecht ausüben können. So soll ausgeschlossen werden, dass in Teilen extremistische Parteien wie die AfD bei komplizierten Mehrheitsverhältnissen im Parlament Entscheidungen dauerhaft blockieren können.

"Das Bundesverfassungsgericht ist Schutzschild der Grundrechte, aber sein eigener Schutzschild braucht noch mehr Widerstandskraft", erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann auf der Pressekonferenz. Die "leidenschaftlich" geführten Diskussion über die Reformpläne, sei "ein Zeichen der Qualität unserer demokratischen Kultur".

Negativbeispiele Polen und Ungarn

Die Notwendigkeit der Änderungen begründeten Buschmann und die beteiligten Parlamentarier nicht mit der Erstarkung der AfD oder der Gründung populistischer Parteien wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW. Vielmehr verwiesen sie auf Bestrebungen in einigen europäischen Ländern, die Unabhängigkeit der Justiz in Frage zu stellen. Wie das beispielsweise im Nachbarland Polen geschehen war. Die von 2015 bis 2023 regierende nationalkonservative PiS-Regierung, hatte nach ihrem Amtsantritt aufgrund ihrer absoluten Mehrheit im polnischen Parlament, Sejm, das Justizwesen umgebaut. Ein erster Schritt war die Nichtanerkennung dreier vor ihrer Machtübernahme ernannter Verfassungsrichter und die Besetzung der Posten mit eigenen Kandidaten.

Protest gegen die Beschränkung der Medienfreiheit in WarschauBild: Attila Husejnow/SOPA Images/Zuma Press/picture alliance

Das löste Massenproteste aus. Trotzdem schuf die PiS-Regierung 2019 eine neue Kammer des Verfassungsgerichts, die sogenannte Disziplinarkammer. Zudem änderte die Regierung das Gesetz so, dass sie den Präsidenten des Verfassungsgerichts ernennen und entlassen konnte. Der Europäische Gerichtshof urteilte 2019, dass die Reform europäischem Recht widerspreche und die Unabhängigkeit der Justiz untergrabe. Ähnlich war es in Ungarn. Reformen der Fidesz-Partei 2013 wurden international kritisiert, sie schwächten die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Justiz.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte mit Blick auf diese Entwicklungen: "Wir sind eine wehrhafte Demokratie und müssen alle Instrumente nutzen, um diese vor ihren Feinden zu schützen." Der Rechtsstaat dürfe nicht von innen heraus sabotiert werden. "Wenn autoritäre Kräfte die Demokratie angriffen, sei die Justiz oft ihr erstes Ziel. Das haben wir in europäischen Nachbarstaaten gesehen."

Aus dem Bundestag dürfte schon bald ein Gesetzentwurf für die Reform in Sachen Verfassungsgericht eingebracht werden. Länder, Verbände und auch das Bundesverfassungsgericht sollen in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Angestrebt ist eine Verabschiedung noch vor der wahrscheinlichen Bundestagswahl im Herbst 2025.

Auch Anwaltverein fordert mehr Schutz für Justiz

Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und ein führender deutscher Verfassungsrechtler, begrüßt die geplanten Gesetzesänderungen: "Die Gespräche zwischen der Union und Vertretern der Ampel haben zu wichtigen und klugen Vorschlägen geführt, mit denen die Unabhängigkeit des Gerichts unterstrichen und dessen Richterinnen und Richter vor politischen Übergriffen geschützt werden", schreibt er der DW. "Wichtig ist, dass künftige Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und insbesondere die Quoren für Richterwahlen und Bundesverfassungsgerichts-Entscheidungen nicht länger mit einer einfachen Mehrheit des Bundestages abgeändert werden können", urteilt Karpenstein.

Stefan Martini, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Kiel, rät jedoch zur Vorsicht: "Ich würde damit sehr behutsam umgehen. Es kann schon sinnvoll sein, bestimmte Regeln über das Bundesverfassungsgericht ins Grundgesetz zu schreiben, aber ich würde das auf sehr grundlegende Regeln beschränken", sagte er der DW der Vorstellung der Reformpläne.

Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe während einer UrteilsverkündungBild: Uwe Anspach/AFP via Getty Images

Martini warnt, es sei nicht unbedingt positiv, Gesetzesänderungen zu erschweren. "Wenn eine illiberale Regierung abgewählt wird und eine neue, progressivere Regierung bestimmte Dinge wieder ändern möchte, dann ist sie auch gegebenenfalls davon abhängig, dass man Regelungen mit einer einfachen Mehrheit wieder ändern kann. Und das wird schwieriger, wenn man bestimmte Dinge in die Verfassung schreibt."

Bundesverfassungsgericht als Anker der Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht spielt eine zentrale Rolle im deutschen Rechtssystem. Seine Entscheidungen sind bindend für alle anderen Gerichte und staatlichen Institutionen. Es hat bedeutende Urteile gefällt, die die politische und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands maßgeblich beeinflusst haben, beispielsweise im Bereich der Corona-Hilfen, der Meinungsfreiheit, der Parteienfinanzierung, des Datenschutzes und der Gleichberechtigung. Seine Unabhängigkeit ist entscheidend, um die Kontrolle der Staatsgewalt und den Schutz der Bürgerrechte zu gewährleisten.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und weitgehend aktualisiert.

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