Das Dilemma der kosovarischen Fußballer
30. August 2016Ausnahmezustand im Kosovarischen Fußballverband (FFK): Schon am 5. September soll der FIFA-Neuling in einem Qualifikationsspiel für die WM 2018 gegen Finnland antreten - aber keiner weiß genau, welche Fußballer dabei sein werden. Theoretisch könnte der Kosovo wohl jeder Nationalmannschaft Europas Paroli bieten, weil das kleine Land derzeit der größte europäische "Fußballexporteur" ist: 24 Fußballspieler mit kosovarischen Wurzeln spielen aktuell für sechs Nationalmannschaften anderer europäischer Länder.
Die meisten von ihnen sind in der albanischen Nationalmannschaft aktiv: Bei der diesjährigen Europameisterschaft in Frankeich waren es 14. Nach der Aufnahme des Kosovo in die Verbände UEFA und FIFA war es jedoch klar, dass einige von ihnen für die neue Nationalmannschaft spielen würden.
Bisher haben sich vier frühere Mitglieder der albanischen Nationalmannschaft für den Kosovo entschieden - auch Milot Rashica. Der 20-jährige Rechtsaußen-Flitzer von Vitesse Arnhem gilt als albanisches Jahrhunderttalent. Sein Berater, der ehemalige Spielführer von Hannover 96, Altin Lala, sagt, dass auch Bundesliga-Mannschaften und andere europäische Teams Interesse an diesem Spieler haben.
Aus dem aktuellen Kader Albaniens dürften theoretisch auch Spieler wie Mergim Mavraj vom 1. FC Köln, Lorik Cana (Nantes), Torwart Ertrit Berisha (Lazio), Taulant Xhaka (Basel) oder Amir Abrashi (Freiburg) als kosovarische Spieler auflaufen. Doch außer Milot Rashica haben bisher nur noch Alban Meha (Konyaspor), Amir Rrahmani (RNK Split) und Besart Berisha die Nationalmannschaft Albaniens verlassen und sich für den Kosovo entschieden.
"Es darf keinen Druck geben"
Für einige Medien und Beobachter in Albanien war das wie ein Stich ins Herz. Einige haben die Entscheidung von Rashica und den anderen als "Hochverrat" bezeichnet. Andere meinen, dies sei ein normaler Schritt in der Entwicklung einer neuen Nationalmannschaft.
"Wenn die Atmosphäre weiterhin so aufgeheizt ist, werden die künftigen Begegnungen zwischen Albanien und dem Kosovo noch als hochgefährliche Spiele eingestuft", warnt der kosovarische Sportjournalist Milaim Krasniqi.
Der Manager des Kosovarischen Fußballverbands (FFK), Bajram Shala, glaubt allerdings nicht, dass es soweit kommen könnte. "Wir haben sehr gute Beziehungen zum Albanischen Fußballverband. Jeder Spieler darf ja selbst entscheiden, für welche Nationalmannschaft er spielen wird. Es darf keinen Druck geben", sagt Shala im Interview mit der DW.
Grund zur Sorge wegen des möglichen Abgangs von kosovarischen Spielern haben auch die Schweiz, Belgien, Norwegen, Schweden, Finnland und Montenegro. Vier Spieler der Nationalmannschaft der Schweiz könnten theoretisch in Zukunft in der kosovarischen Mannschaft spielen: Valon Behrami (FC Watford), Xherdan Shaqiri (Stoke City), Granit Xhaka (FC Arsenal) und Shani Tarashaj (FC Everton).
"Wir haben all diese Spieler kontaktiert, aber wir gehen davon aus, dass keiner von ihnen die Nationalmannschaft der Schweiz verlassen wird", sagt Manager Shala allerdings. "Xherdan Shaqiri wurde für die nächsten Spiele zwar nicht nominiert. Aber wir gehen davon aus, dass er auch in der Mannschaft der Schweiz bleibt."
Junge Hoffnungsträger für den Kosovo
Der Kosovo hofft, dass der bisherige belgische Nationalspieler Adnan Januzaj (Manchester United, Borussia Dortmund und jetzt AFC Sunderland), der Nationalspieler Finnlands Perparim Hetemaj (Chievo), die Mitglieder der norwegischen Nationalmannschaft Valon Berisha (Red Bull Salzburg) und Veton Berisha (Greuther Fürth), oder der Nationalspieler Schwedens Arber Zeneli (Herennven), künftig für das neue FIFA-Mitglied Kosovo im Einsatz sein werden.
"Valon Berisha aus Norwegen und Arber Zeneli aus Schweden haben uns schon zugesagt. Sie werden demnächst für den Kosovo spielen", sagt Shala.
Für die Fußballer mit kosovarischen Wurzeln ist die Entscheidung für oder gegen die neue Nationalmannschaft nicht nur auf emotionaler Ebene schwierig. Auch finanziell stehen sie vor einem Dilemma: Spieler wie Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri oder Adnan Januzaj haben attraktive Verträge mit Sponsoren der jeweiligen anderen Nationalmannschaften unterschrieben.
Im Kosovo hofft man, jüngere Talente wie Donis Avdijaj (FC Schalke und Sturm Graz), Albion Avdijaj (FC Vaduz) oder Dren Feka (Hamburger SV) zu überzeugen, für den FIFA-Neuling zu spielen. Für den 30-jährigen Mergim Mavraj (FC Köln) steht dagegen fest, dass er weiterhin für Albanien spielen werde. Er sei aber überzeugt, dass sich die jüngere Generation "für den Kosovo entscheiden wird".
Keine Spiele gegen Serbien und Bosnien-Herzegowina
Bei der WM-Qualifikation ist Kosovo in einer Gruppe mit starken Gegnern: Kroatien, Island, Ukraine, Türkei und Finnland. Nationaltrainer Albert Bunjaku weiß noch nicht, mit welchen Spielern er am 5. September bei der ersten Begegnung mit Finnland rechnen kann. "Wir werden alles geben, unser Ziel ist, uns so gut wie möglich zu präsentieren", sagt Teammanager Shala.
Immerhin stehen dem Kosovo schon jetzt mehrere gute Fußballer zur Verfügung - wie Torwart Samir Ujkani (AC Pisa), Enis Alushi (FC St. Pauli), Besar Halimi (Mainz 05), Bersant Celina (Manchester City) oder Fanol Perdedaj (1860 München).
Doch das kleine Balkan-Land steht vor großen wirtschaftlichen und politischen Problemen. Serbien und Bosnien-Herzegowina erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Deswegen darf die kosovarische Nationalmannschaft keine Spiele gegen Serbien und Bosnien-Herzegowina bestreiten. Außerdem hat der Kosovo kein einziges Stadion, das die Standards für ein internationales Spiel erfüllt. Deshalb wird die kosovarische Nationalmannschaft ihr erstes Qualifikationsspiel als Gastgeber in der albanischen Stadt Shkoder bestreiten. Im Kosovo hofft man, dass das Stadion in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina bis Juni 2017 fertig sein wird. Erst dann können sich auch die einheimischen Zuschauer im eigenen Land Qualifikationsspiele ansehen - mit oder ohne Xhaka, Shaqiri und Co.