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Politik

Das Dilemma der SPD

26. Mai 2019

Als Andrea Nahles vor einem Jahr SPD-Chefin wurde, hatte sie einen großen Plan: den Abwärtstrend stoppen und die SPD zu alter Stärke führen. Das ging schief. Von Sabine Kinkartz, Berlin.

Andrea Nahles, SPD
Bild: imago/U. Gottschalk

Natürlich hatten die Sozialdemokraten bis zuletzt gehofft, dass es für sie bei der Europawahl und bei der Landtagswahl in Bremen glimpflich ausgehen würde. Unermüdlich hatten sie für ihre Partei und ihre Kandidaten getrommelt und geworben - ganz groß zuletzt am Freitag auf dem Wahlkampfabschluss der SPD in Bremen, zu dem eigenes aus Berlin die SPD-Chefin mit zwei Ministern angereist war.

Bremen, der kleine Stadtstaat im Norden Deutschlands, hat für die SPD eine besondere Bedeutung. 73 Jahre lang stellten die Sozialdemokraten hier durchgehend den Bürgermeister. Bremen war immer eine rote Hochburg. Wenn die SPD hier nicht mehr gewinnen kann, dann kann sie es nirgendwo mehr.

Verlorene Wählerschaft 

Die Niederlage lag schon am Freitag in der Luft. In der historischen Bremer Altstadt hatte die SPD ein weißes Zeltdach aufgebaut. Zwar waren die Bankreihen mit rund 200 Zuschauern recht gut gefüllt. Es gab Musik und Gratis-Waffeln. Stimmung wollte trotzdem nicht aufkommen. Die SPD hat spürbar den Draht zu ihren Wählern verloren.

Früher war die SPD die Partei der Arbeiter. Sie trat für höhere Löhne und geringere Arbeitszeiten ein. Heute verspricht der Bremer Bürgermeister bezahlbaren Wohnraum, während auch in seiner Stadt die Mieten steigen. Dafür erntet er Murren unter den Zuschauern, denn jeder weiß, dass die SPD die Entwicklung in den Städten nicht alleine bremsen kann.  

Unbeliebte Parteichefin

Unglücklich agiert auch SPD-Chefin Andrea Nahles. Bei den meisten Bürgern war die 48-Jährige noch nie besonders beliebt. Burschikos und laut tritt sie auf, bringt sich oft scheinbar unüberlegt in peinliche Situationen. In Bremen irritierte sie ihre Zuschauer gleich zu Beginn ihrer Rede mit dem Satz: "Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich Bremen liebe", und lachte dabei etwas unbeholfen. Das nachgeschobene "Weil ich ja die Eifel liebe, wo ich wohne", konnte auch nichts mehr retten. "Die habe ich noch nie gemocht", so ein Zuschauer in Bremen.

Auch innerhalb der SPD gerät Nahles immer weiter unter Druck. Schon länger halten sich Gerüchte, dass sie nach dem nun tatsächlich eingetretenen Wahldesaster den Chefposten in der SPD-Bundestagsfraktion abgeben soll, den sie seit Oktober 2017 inne hat. Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz interessiert sich angeblich für den Posten. 

SPD- Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Wahlabend in BerlinBild: Reuters/F. Bensch

Allerdings machte die Partei- und Fraktionschefin am Wahlabend nicht den Eindruck, als ob sie sich so einfach wird beiseite schieben lassen. "Ich möchte alle SPD-Mitglieder und unsere Anhänger ermutigen, selbstbewusst in die Zukunft zu schauen - auch wenn die Ergebnisse heute schmerzlich sind", sagte Andrea Nahles in der SPD-Zentrale in Berlin. Die Ergebnisse würden zeigen, dass die Partei noch viel zu tun habe. "Ich sage: Kopf hoch in Richtung SPD", so Nahles und man hatte den Eindruck, damit meine sie auch sich selbst.

Versprechen, die sie nicht halten konnte

Nahles war es, die die SPD in die inzwischen dritte Regierungskoalition mit CDU und CSU geführt hat. Innerhalb eines Jahres gelang es ihr aber nicht, ein politisches Profil zu entwickeln, das sich klar von der Union unterscheidet und abgrenzt und - noch viel wichtiger - als solches vom Wähler auch wahrgenommen wird. Für Nahles, die ihrer Partei genau das versprochen hatte, ist das ein Desaster.

Die SPD profitiert nicht von der Zusammenarbeit in der KoalitionBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Eigentlich wollten die Genossen nach der verlorenen Bundestagswahl 2017 in die Opposition gehen. "Die SPD wird gebraucht!", warb Nahles stattdessen für eine Neuauflage der Großen Koalition. Sie wollte die Partei reformieren und gleichzeitig erfolgreich regieren. "Es wird uns gelingen, Leute. Gemeinsam sind wir stark. Wir packen das. Das ist mein Versprechen."

Farblos, statt leuchtend rot

In der Folge besann sich die SPD wieder auf ihr Kerngeschäft: die soziale Gerechtigkeit. In der Großen Koalition setzte sie für Familien, Arbeiter und Rentner finanzielle Verbesserungen durch. Doch bei den Bürgern wird das nicht als Leistung der Genossen anerkannt, sondern der gesamten Koalition zugeschrieben - also auch der CDU, die dadurch zusätzliche Kompetenz im sozialen Bereich gewinnt. Die SPD scheint am Ende gar nicht so wichtig für die Politik und den Erfolg der Koalition zu sein.

Hinzu kommt, dass Andrea Nahles, als sie im April 2018 zur SPD-Chefin gewählt wurde, eine Partei im freien Fall übernahm. Im September 2017 hatten die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl mit 20,5 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Unter Nahles ging es in den Umfragen weiter bergab, zeitweise bis auf 14 Prozent.

Revolte von links

Im Oktober 2018 erlebte die SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ein Desaster. In Bayern erreichte die Partei nur noch neun Prozent der Stimmen. In der SPD-Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, suchte die SPD-Vorsitzende händeringend nach Worten und Erklärungen, wirkte dabei ratlos und frustriert. Die Stimmen derer in der SPD, die in die Opposition gehen und sich dort politisch erneuern wollten, wurden in den folgenden Wochen wieder lauter.

Juso-Chef Kevin Kühnert sitzt Andrea Nahles im NackenBild: picture alliance/dpa/M. Becker

Vor allem vom linken Flügel und dem Parteinachwuchs unter Kevin Kühnert, dem Vorsitzenden der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, bekam Nahles erheblichen Druck. Die SPD-Vorsitzende reagierte, indem sie den laufenden innerparteilichen Reformprozess beschleunigte. Statt erst Ende 2019 ein Ergebnis zu liefern, sollte bereits Anfang des Jahres ein neues politisches Konzept vorliegen.

Ein (folgenloser) Schritt nach links

Tatsächlich legte der Parteivorstand im Februar das Programm "Sozialstaat 2025" vor. Im Zentrum steht das Ende von "Hartz IV". So wird die Grundsicherung für Arbeitssuchende genannt, die an strikte Bedingungen geknüpft und mit der Androhung von Sanktionen verbunden ist. Sie ist Teil der "Agenda 2010", die 2003 unter dem damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt wurde und mit der noch immer Parteimitglieder und SPD-Wähler hadern.

Demonstration gegen Sozialkürzungen im Oktober 2004Bild: picture-alliance/U. Baumgarten

Viele Genossen empfinden die Agenda 2010 als sozial ungerecht und machen sie für den Niedergang der Sozialdemokratie verantwortlich. Mit dem Sozialstaatskonzept will die SPD weg von den Kontrollen und Sanktionen. Stattdessen soll der Staat als helfender Partner wahrgenommen werden. "Wir begegnen den Menschen mit großem Zutrauen", so Andrea Nahles bei der Vorstellung des Konzepts. Tausende Vorschläge habe die Partei für ihren Erneuerungsprozess eingesammelt und mit vielen sozialen und ökologischen Interessenverbänden diskutiert. "Wir sind nun bereit, aus den Erkenntnissen eine neue, sozialdemokratische Politik zu formen."

Nichts als heiße Luft?

Eine Politik, die innerhalb der Großen Koalition aber nicht durchsetzbar ist. Das machten CDU und CSU umgehend klar. Es werde keine über den Koalitionsvertrag hinausgehenden Projekte geben. Dem kurzen Aufwind in den Umfragen, den die SPD für ihr Sozialstaatskonzept erntete, bereitete das ein abruptes Ende.

Der Druck und die Niederlagen haben bei Parteichefin Andrea Nahles sichtbar Spuren hinterlassen. Nahles weiß, dass ihr Stuhl wackelt. Viel Zeit, um ihren Status wieder zu festigen, bleibt ihr angesichts von drei Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst nicht.

In der Großen Koalition weitermachen oder gehen?

Im Dezember muss sich die SPD-Parteivorsitzende auf einem Bundesparteitag zur Wiederwahl stellen. Dann wollen die Sozialdemokraten auch entscheiden, ob sie die Koalition mit der Union fortsetzen oder aufkündigen wollen. Käme es zu Neuwahlen, müsste die SPD in ihrer desolaten Verfassung befürchten, auch im Bundestag weiter dezimiert zu werden. Dann bliebe nur der Gang in die Opposition. Weder ein linkes Bündnis aus Grünen, SPD und der Linkspartei, noch eine erneute Koalition mit der Union hätte nach derzeitigem Stand eine Mehrheit im Parlament.

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